20
Freitag, 25. 7., 11.00 Uhr
Da Monas Dienstwagen in der Garage des Dezernats 11 stand, nahm sie einer der Schupos mit in die Stadt. Sobald Mona auf dem Beifahrersitz im Streifenwagen Platz genommen hatte, schlief sie ein, den Kopf ans geschlossene Fenster gelehnt, die strahlende Sonne ignorierend, die einen heißen Tag ankündigte. Um Viertel vor zwölf wachte sie davon auf, dass sie jemand an der Schulter rüttelte. Sie schreckte hoch und sah in das besorgte Gesicht ihres Fahrers. »Geht’s Ihnen gut?«, fragte er. Sie parkten in zweiter Reihe vor dem Gebäude des Dezernats. Mona war verschlafen, durchgeschwitzt und hatte das Gefühl, schlecht zu riechen: Es ging ihr nicht gut, ganz und gar nicht. In ihrem Mund war ein scheußlicher Geschmack nach kaltem Rauch. Und wann hatte sie zum letzten Mal ihre Kleider gewechselt? Sie wusste es nicht mehr.
»Danke, ist schon in Ordnung«, sagte sie, während sie eilig die Beifahrertür öffnete. Autolärm und Benzingestank gaben ihrem Kreislauf fast den Rest, aber sie stieg aus, reckte sich und verabschiedete sich mit Handschlag von dem Polizisten, der netterweise ebenfalls ausgestiegen war. Sie winkte ihm zu, als er wieder im Auto Platz nahm, und ging durch die Glastür in den hässlichen Sechzigerjahre-Bau, in dem sich das Dezernat 11 nun schon seit vielen Jahren befand, ungeachtet der Zusage der Stadt, diesem und den anderen hier ansässigen Dezernaten ein neues, moderneres Gebäude zu errichten. Sie drückte auf den Knopf an der Lifttür, und im Liftschacht begann es zu rumpeln wie bei einem beginnenden Erdbeben.
Alles wie immer.
Das hatte auch etwas Beruhigendes.
Der Lift kam, und Mona stieg ein. Sie hatte noch zehn Minuten Zeit bis zur Konferenz, und die wollte sie nutzen, indem sie Berghammers Sekretärin Lucia bitten würde, ihr ein frisches T-Shirt und frische Unterwäsche zu besorgen. Nein, das ging nicht. Lucia hatte, genauso wie der Rest der Belegschaft, keine Ahnung, dass Mona ihre ursprüngliche Wohnung nur noch zu Tarnzwecken hielt und in Wirklichkeit bei Anton lebte. Lucia durfte die Wohnung nicht sehen, in der sich außer ein paar ausrangierten Möbeln nichts mehr befand. Sie musste woanders frische Kleidung besorgen. In dieser Gegend gab es genug Jeans-Shops, in denen man T-Shirts für zehn bis zwanzig Euro bekam. Mona zuckte zusammen, als der Lift mit einem Ruck im dritten Stock hielt. Sie war im Stehen eingenickt. Gähnend stieß sie sich von der Wand ab und drückte die Tür auf. Ihre müden Augen fielen auf das »Keine Macht den Drogen«-Plakat an der Wand des mit grüner Schutzfarbe gestrichenen Gangs, auf dem ein melancholisch aussehendes Mädchen in Schwarz-Weiß abgebildet war. Das Poster befand sich schon so ewig an dieser Stelle, dass es an den Rändern vollkommen vergilbt war.
Wenn man länger nicht hier war, merkt man erst, wie furchtbar alles aussieht, dachte Mona, ungeachtet der Tatsache, dass sie erst gestern den ganzen Tag im Dezernat verbracht hatte, von längerer Abwesenheit also keine Rede sein konnte. Aber die letzte Nacht und dieser entsetzliche Morgen hatten so viel verändert, dass es ihr vorkam, als sei eine halbe Ewigkeit vergangen. Sie ging zu Lucia und beauftragte sie, T-Shirts und Unterwäsche zu kaufen, und brachte als lahme Ausrede an, dass es bei ihr zu Hause so schrecklich aussehe, dass sie diesen Anblick niemandem zumuten könne. Lucia bedachte sie mit einem seltsamen Blick, dann zuckte sie die Schultern, nahm Monas Geld und ihre eigene voluminöse Handtasche und machte sich sofort auf den Weg. Mona ging in ihr Büro und suchte dort ein sauberes Handtuch. Sie fand eins, das halbwegs sauber roch, und wusch sich mit einem Rest Seife an ihrem Waschbecken. Das Wasser war glücklicherweise trotz der Hitzewelle eiskalt geblieben. Sie hielt ihr Gesicht unter den Strahl, so lange, bis sie wieder einigermaßen munter war. Dann rief sie Anton an.
»Wann kommst du heim?«, war seine erste Frage.
»Ich weiß nicht. Wir sind mittendrin.«
»Mittendrin? Du bist seit fast zwei Wochen mittendrin!«
»Ja. Tut mir Leid. Wie geht’s Lukas?«
»Wer ist Lukas? Ich kenn keinen Lukas.«
»Witzig. Ist er in der Schule?«
»Nein, in der Pilsbar zum Bierholen.«
»Anton. Jetzt sei nicht sauer. Ich muss das hier zu Ende bringen.«
»Du bist überhaupt nicht mehr zu Hause.«
»Das ist mein Job. Sobald du einen hast, der präsentabel ist, gebe ich meinen auf. Dann bin ich immer da.«
»Hör auf mit dem Scheiß.« Aber sie hörte, wie er grinste, und atmete auf. Schlachten an der Heimatfront würden sie jetzt überfordern.
»Bis dann«, sagte sie knapp, bevor er es sich anders überlegte, und unterbrach die Verbindung. Eine Minute lang saß sie an ihrem Schreibtisch, die Hände hinter ihrem feuchten Haar verschränkt, und drehte sich in ihrem vertrauten Gedankenkarussell. Anton war als Partner nicht perfekt, aber als Vater sehr wohl. Sie wusste, sie konnte sich auf ihn verlassen. Und sie wusste, das war mehr, als man von anderen Männern mit respektableren Berufen behaupten konnte und letztlich alles, was zählte, wenn man einen gemeinsamen Sohn hatte.
Oder? Oder?
Es klopfte an der Tür, und Lucia kam herein, bewaffnet mit einer riesigen Tüte.
»Das ging schnell«, sagte Mona überrascht.
»Sonderangebot gleich hier um die Ecke«, sagte Lucia und stellte die Tüte auf Monas Schreibtisch. »Ich hab einfach mal drei genommen, kannst dir eins aussuchen. Plus Unterhosen und BH. Macht fünfzig Euro sechzig. Geht auf Kostenstelle. Mir fällt da schon was ein.« Sie zwinkerte Mona zu und drückte ihr ihren Hunderteuroschein wieder in die Hand.
»Super. Danke.«
»Kein Problem. Brauchst du sonst noch was?«
»Nein. Wie geht’s Martin?«
»Nicht gut. Er ist immer noch in Marburg.«
»Nicht transportfähig?«
»Nein. Seine Frau ist jetzt bei ihm. Sie hat mich vorhin angerufen.«
»Wie geht’s ihr? Wie kommt sie klar?« Mona hatte Frau Berghammer im Laufe der vielen Jahre vielleicht fünf-, sechsmal gesehen. Eine kleine, nervöse Frau mit sorgfältig onduliertem Haar und wachsamem Blick, die aussah, als lebte sie in permanenter Erwartung einer Katastrophe.
»Nicht so besonders«, sagte Lucia. »Sie hat sehr geweint.«
»Hm. Na ja. Kann ich verstehen.«
»Wenigstens ist ihr älterer Sohn bei ihr.«
»Das ist gut.«
»Ja«, sagte Lucia. »Das finde ich auch. Da ist sie wenigstens nicht allein mit alldem. Konferenz ist um zwölf?«
»Ja.« Mona sah auf die Uhr. »Ich zieh mich nur noch um, dann fangen wir an. Die anderen sollen schon mal in den Konferenzraum. Sagst du ihnen das?«
»Sicher. Bis dann.« Lucia verließ das Büro. Mona wechselte hastig ihre Kleider, bis auf die Jeans. Nächsten Dienstag begannen Lukas’ große Ferien. Bis dahin musste der Fall gelöst sein, denn sie wollten nächsten Mittwoch gemeinsam in Urlaub fahren. Das war einfach so, basta. Sie wollten in Urlaub fahren, und deshalb musste die Sache schnell über die Bühne gehen.
Mona nahm ihre Unterlagen und ging hinaus.
Damals warst du still
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