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Mittwoch, 16. 7., 14.37 Uhr
Nach der Vernehmung Brennauers und ihrer Rückkehr
ins Dezernat ließ sich Mona von Lucia einen Döner holen, weil sie
dachte, sie müsse etwas zu sich nehmen, schon um den penetranten
Leichengeruch aus der Nase zu bekommen. Als sie den letzten Bissen
hinuntergeschluckt hatte, war ihr bereits übel von dem fetten,
würzigen Fleisch, das nicht in die glühende Hitze passte, in der
man besser nur Obst und Eis aß. Während sie noch überlegte, ob sie
sich ein Glas Wasser holen sollte, klopfte es an der Tür.
»Herein«, rief sie. Patrick Bauer öffnete die Tür
und sagte zu einer Person hinter ihm: »Hier ist sie.« Hinter
Patrick Bauer erschien ein großer, dunkelhaariger Mann, der sich
mit Stefan Heitzmann vorstellte.
»KHK Mona Seiler«, sagte Mona. »Sind Sie der
Journalist von der AZ?«
Heitzmann nickte.
»Setzen Sie sich«, sagte Mona und gab Bauer ein
Zeichen, dass er gehen könne. Gehorsam schloss er die Tür hinter
sich. Einen Moment lang überlegte sie, Fischer zu holen, aber dann
entschied sie sich dagegen. Fischer würde den armen Kerl nur wieder
anfahren, und dann würde die Vernehmung doppelt so lange dauern,
weil den Leuten nichts einfiel, solange sie Angst hatten.
Heitzmann sah allerdings nicht so aus, als würde er
sich von jemandem wie Fischer einschüchtern lassen. Mona schätzte
ihn auf Anfang dreißig. Vielleicht auch jünger. So ein Schnurrbart
gab leicht noch fünf Jahre dazu, und vielleicht war ja genau das
der Sinn der Sache.
»Macht es Ihnen was aus, wenn ich das Band
einschalte?«
»Ist mir egal«, sagte Heitzmann mürrisch. Gesicht
und Hals waren leicht gerötet und feucht von Schweiß. »Kann ich
rauchen?«, fragte er und zog im selben Moment seine Marlboros aus
den khakifarbenen Hosen.
»Nein«, sagte Mona, warum, wusste sie selbst nicht.
Heitzmann sah sie hasserfüllt an, aber er steckte die Zigaretten
wieder weg.
»Sie haben diesen Artikel über Frau Martinez
geschrieben?«, begann Mona.
»Ja und?«
»Die Frau ist tot. Wir haben sie heute
gefunden.«
In Heitzmanns Gesicht regte sich etwas, wenn auch
nicht viel. »Hä?«
»Ermordet. Der Hausmeister hat uns von Ihrem
Artikel...«
»Sagen Sie mal, gute Frau, wollen Sie mir was
anhängen?«
Diesem Kerl hätte sie Fischer geradezu
gewünscht.
»Das kommt darauf an, wie kooperativ Sie sind.« Er
wollte Kampf, er bekam ihn. Heitzmann stand auf. »Wissen Sie was?
Rufen Sie meinen Anwalt an.«
»Setzen Sie sich wieder hin! Sofort!«
Heitzmann hielt mitten in der Bewegung inne.
Schließlich nahm er wieder Platz. Mona hielt seinem zornigen Blick
stand, bis er die Augen senkte.
»Wollen Sie was sehen?«, fragte sie mit ruhiger
Stimme.
Heitzmann antwortete nicht. Die Röte auf seinem
Gesicht hatte sich vertieft, voller Wut auf sich selbst, dass er
nachgegeben hatte. Mona holte ein paar Polaroids der ermordeten
Sonja Martinez aus ihrer Schublade und warf sie Heitzmann hin.
Heitzmann sah widerwillig darauf. Fast im selben Moment sprang er
auf und wich zurück bis zur Tür. Mona fiel ein, dass er nicht zu
den Polizeireportern gehörte, die Aufnahmen dieses Kalibers gewöhnt
waren.
»Scheiße! Was soll das!« Seine Stimme klang
brüchig.
Mona sammelte die Fotos wieder ein und verstaute
sie in der Schublade. »Das war Frau Martinez, Ihre
Interviewpartnerin. So sieht sie heute aus. Verstehen Sie?«
Heitzmann näherte sich langsam im Krebsgang wie ein
verängstigtes Tier ihrem Schreibtisch. Er wirkte erheblich weniger
selbstbewusst als noch vor ein paar Minuten. »Warum muss ich mir
diese Scheiße anschauen?«
»Weil Sie mit ihr geredet haben. Vielleicht als
Letzter vor dem Mörder.«
»Was?«
»Was hat Sie Ihnen erzählt? Und setzen Sie sich
wieder hin.«
»Sie hat uns angerufen«, sagte Heitzmann. Er setzte
sich wieder und stützte seinen Kopf in beide Hände. Der Schweiß
lief ihm jetzt in Bächen den Nacken herunter in den Hemdkragen
hinein.
»Sie angerufen? Wieso?«
»Nicht mich. Den Lokalchef. Sie hätte eine
Geschichte für uns.«
»Welche Geschichte?«
»Dieser Psycho-Fritze da. Plessen. Der, der im
Fernsehen war bei diesen ganzen Talkshows. Der hätte ihr gesagt,
sie soll ihre Familie verlassen.«
»Das hat sie einfach so behauptet, und
Sie...«
»Machen darüber’ne Geschichte, bloß weil sich eine
verrückte Hausfrau was ausdenkt? Nein.«
»Was, nein?«
»Der alte Plessen hat ihr das schriftlich gegeben.
Das macht er nämlich immer. Handschriftlich auf seinem Briefbogen.
Immer am Ende eines, äh, Seminars. So’ne Art
Abschiedsbeurteilung.«
»Aha.«
»Die Martinez hat uns das gezeigt. Sie kam in die
Redaktion und zeigte uns das Papier, und wir fanden das den Hammer.
Gute Geschichte, wenn sie stimmt. Okay, Plessen ist kein A-Promi,
aber er ist durch alle Talkshows geschleift worden, viele Leute
kennen ihn jetzt, und seine Kurse, oder wie man das nennt, sind
seitdem ausgebucht. Wäre fast’ne Seite drei geworden, aber dann kam
was Aktuelles dazwischen.«
»Es hat gestimmt? Er hat wirklich...«
»Plessen hat’s nicht abgestritten. Er hat zwar
gesagt, sie hätte das falsch verstanden und so weiter, aber auf dem
Papier stand’s schwarz auf weiß. Ihr Weg ist das Alleinsein oder so
ähnlich.«
»Da stand drauf, die Martinez soll ihren Mann
verlassen?«
»Martinez und seine Tochter seien so was wie eine
Einheit. Die sie zerstören würde. Das stand drauf. Und dass sie
freiwillig gehen solle. Wegen ihrer Ursprungsfamilie. So ähnlich.
Ich hab nicht genau verstanden, was damit gemeint war,
aber...
»Sonja Martinez soll ihre Familie verlassen,
weil...«
»So stand das auf dem Papier. Die Kopien sind in
der Redaktion. Und Plessen hat’s, wie gesagt, nicht abgestritten.
Er hat gesagt: Das ist meine Handschrift. Aber sie hätte das
eventuell nicht richtig verstanden. Er hat angeboten, es ihr noch
mal zu erklären. Aber das war dann nicht mehr unsere Sache.«
Mona überlegte. »Wann war das?«, fragte sie.
»Vor ungefähr drei Wochen. Die Geschichte lag ein
paar Tage, dann kam sie ins Blatt.«
»Ich versteh das nicht«, sagte Mona. »Sie macht
diesen..., diesen Kurs, kommt zu Ihnen in die Redaktion... Ich
versteh das nicht. Sie musste dem doch nicht Folge leisten. Sie
hätte doch bei ihrer Familie bleiben können.«
»Die Martinez kam, weil ihr Mann sie
verlassen hatte. Sie hat geglaubt, ihr Mann hat sie verlassen weil
sie bei Plessen war.«
»Wieso, hat ihr Mann ihr das verboten?«
»Nein, aber... Sie hat sich das eben so
eingebildet, wahrscheinlich weil es kurz danach passiert ist. Wir
dachten natürlich erst, die spinnt. Aber dann haben wir eben diese
Aufzeichnungen gesehen.«
»Wann war dieser Kurs?«
»Weiß ich nicht mehr genau. Vor’nem Monat oder so.
Nee, länger. Sechs bis acht Wochen ist das her.«
Vor sechs Wochen, hatte der Hausmeister erzählt,
war Robert Martinez gemeinsam mit seiner Tochter ausgezogen.
Vielleicht war Martinez noch einmal zurückgekommen. Vielleicht
brauchte er Geld. Vielleicht gab es als Motiv die übliche
Lebensversicherung, von seiner Frau unterschrieben und ausgestellt
auf seinen Namen. Bauer, Schmidt und Forster waren dabei, das zu
ermitteln. Die eingeritzten Buchstaben auf dem Bauch der toten
Sonja Martinez konnten eine Finte sein.
Schon wieder eine?
»Sie können gehen«, sagte Mona zu Heitzmann, der
erleichtert aufstand. »Ich ruf Sie an, wenn wir noch was wissen
müssen.«
»Ja. Ich freu mich schon.« Heitzmann ließ die Tür
hinter sich ins Schloss fallen, und in Monas Büro blieb ein
penetranter Schweißgeruch zurück. Sie öffnete das Fenster, und ein
Schwall feuchtheißer, abgasgesättigter Luft drang in den Raum.
Fluchend machte sie das Fenster wieder zu.