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Dienstag, 15. 7., 10.00 Uhr
KHK Mona Seiler hieß die Chefin der Mordkommission 1, die diesen Fall übernehmen würde. David hatte sie schon vor dem Babylon gesehen, als sie später zu den Kollegen von der Todesermittlung hinzugekommen war, aber nur kurz mit ihr gesprochen. Sie hatte eine heisere Stimme und schien nicht gerade jemand zu sein, der gern viele Worte machte. Sie galt, wusste David aus der Gerüchteküche, als Typ, der sich durchbiss und keinen Humor hatte. Aber das sagte man hier von allen Frauen, die es zum Ärger nicht beförderter Kollegen geschafft hatten, ein paar Stufen in der Polizeihierarchie aufzusteigen. Er nahm dieses Gerede nicht ernst.
David saß wartend in KHK Seilers Büro im Dezernat 11. Die Morgensonne fiel durch das gekippte Fenster und heizte den kleinen, nüchternen Raum unangenehm auf. An den Wänden standen Metallregale voller Aktenordner, die braune Schreibtischplatte aus lackiertem Pressspan war dagegen leer bis auf die absolut unverzichtbaren Dinge: den PC, einen Plastikbecher mit Kugelschreibern und Bleistiften, eine kleine Stehlampe und das Telefon. Kein Foto auf dem Schreibtisch, keine Pflanze am Fenster. Nichts Privates, an dem der Blick hängen bleiben konnte, um die Fantasie auf Touren zu bringen. Es hätte irgendein Büro sein können in irgendeiner Behörde, irgendwo auf der Welt. Das machte es in Davids Augen wiederum interessant. Der internationale Prototyp eines Büros. David gähnte und rieb sich die Augen.
Von draußen dröhnte der Verkehr mit einer Lautstärke, als befände man sich mittendrin und nicht in einem Raum drei Stockwerke darüber. Trotz seiner Müdigkeit ging David schließlich zum Fenster und betrachtete durch die staubigen Scheiben das Treiben am Hauptbahnhof. Es roch nach Benzin und aufgeheiztem Teer. Eine Straßenbahn hielt unentwegt bimmelnd und mit kreischenden Bremsen – Metall auf Metall -, und David war versucht, sich wie ein Kind die Ohren zuzuhalten. Schließlich machte er das Fenster trotz der Treibhaustemperaturen zu und begab sich wieder an seinen Platz vor dem Schreibtisch.
Auf dem Gang wurden Männerstimmen laut. David setzte sich unwillkürlich gerade hin, aber die Stimmen passierten das Büro und entfernten sich wieder. Erneut herrschte Stille, bis auf den nun einigermaßen gedämpften Straßenlärm. David sah zum zehnten Mal auf die Uhr. Vier nach zehn. Ob er sich bei Sandy melden sollte? Aber er hatte keine Lust auf weitere Vorhaltungen, und es gab auch nichts Neues mitzuteilen. Er wusste selbst nicht, wie lange das alles hier noch dauern würde. Die Leiche des Jungen, dessen Identität noch nicht festgestellt war, befand sich schon seit Stunden im Institut für Rechtsmedizin und wurde obduziert. Am Tatort – wenn er es denn war, das wurde noch geprüft – hatte der Gerichtsmediziner weitere Stichverletzungen in Rücken und Bauch festgestellt, die dem Jungen post mortem beigebracht worden waren. Auch die Zunge war dem Jungen wahrscheinlich erst herausgeschnitten worden, als er bereits tot war.
David war mehrfach von unterschiedlichen Kollegen der MK 1 befragt worden, er hatte seiner Ansicht nach alles gesagt, was es zu sagen gab, und viel wusste er ja ohnehin nicht. Er hatte also gehofft, dass man es dabei bewenden lassen würde und er nicht auch noch im Dezernat vernommen werden musste, aber diese Mona Seiler hatte darauf bestanden.
Vielleicht war sie wirklich so, wie ihre Untergebenen sagten. Penibel und unlocker. Penibel und unlocker. Die beiden Worte vollführten Kapriolen in seinem Hirn, sein Kinn sank ihm auf die Brust, und er nickte ein.
In diesem Moment sprang die Tür auf.
David fuhr hoch, KHK Seiler kam herein, im Schlepptau jene zwei Männer, die bereits vor dem Club mit ihm gesprochen hatten. Der eine war Ende zwanzig und ziemlich großspurig und selbstbewusst, der andere sah aus wie achtzehn, wirkte sehr sensibel und litt, das hatte David beim Gespräch vor dem Babylon festgestellt, unter einem nervösen Augenzucken. David versuchte, sich an die Namen zu erinnern, aber sie fielen ihm nicht ein.
»Hallo, bleiben Sie sitzen«, sagte Mona Seiler im Vorbeigehen. Die Männer lehnten sich an die geschlossene Tür hinter David, sie setzte sich hinter ihren Schreibtisch. David sammelte sich. Wenn er jetzt kurz und präzise blieb, könnte er in einer Stunde im Bett sein.
»Kann ich rauchen?«, fragte er.
Sie sah ihn prüfend an. Ihre Augen waren braun, ihr Gesicht schmal und ungeschminkt. »Sie schlafen sonst ein, was?«
»Ja. Ich war die ganze Nacht unterwegs und...«
»Okay. Patrick holst du bitte einen Aschenbecher.« Der jüngere der beiden Männer verließ den Raum.
»Habt ihr euch schon vorgestellt?«, fragte sie.
»Also...«
»Das ist KK Hans Fischer. Der, der gerade rausgegangen ist, ist KK Patrick Bauer. Ich bin KHK Mona Seiler. Wir sind alle von der MK 1. Ihr Name...«
»KK David Gerulaitis, Drogenfahndung.«
»Sie arbeiten verdeckt?«
Das hatte er alles schon vor dem Babylon erzählt. Einmal diesem Hans Fischer und einmal dem mit dem Tick, Patrick Bauer.
»Ja«, sagte er, und hoffte, dass es nicht gereizt klang.
»Kennen Sie den Jungen, den Toten irgendwoher? Haben Sie ihn schon mal gesehen?«
»Nein.«
»Bei einer Ihrer Razzien? Ist er nie von Ihnen gefilzt worden? Irgendjemand aus dem Dealermilieu?«
»Kann schon sein. Aber ich kenn ihn nicht.«
»Haben Sie ein gutes Gedächtnis für Gesichter?«
»Eigentlich schon. Ich meine...«
»Ja?«
»Also vielleicht habe ich ihn mal gefilzt oder was, aber wenn, dann kann ich mich nicht erinnern. Ein großer Fisch ist er jedenfalls nicht. Soviel ich weiß«, fügte er noch hinzu, um nicht angeberisch zu wirken.
»Was ist mit Ihrem Partner?«
»Janosch Kleiber. Keine Ahnung, ob er ihn kennt.«
»Okay.« Sie dachte nach. Schließlich bat sie ihn um eine Zigarette. Danach lehnte sie sich zurück, rauchte und schwieg eine halbe Minute lang. Auch Hans Fischer sagte kein Wort. Patrick Bauer kam mit einem Aschenbecher herein und stellte ihn vorsichtig zwischen David und sie auf den Schreibtisch.
»Irgendwie komisch«, sagte sie schließlich.
»Was?«
»Sie haben gesagt, Sie haben regelmäßig vor diesem Club, diesem...«
»Babylon
»... Sie haben da immer mal wieder vorbeigeschaut und ein-, zweimal auch einen Deal kassiert. Vielleicht kannte Sie da jemand.«
David sah sie erstaunt an. »Wie meinen Sie das?«
»Vielleicht ist die Leiche Ihretwegen ausgerechnet da abgelegt worden. Als eine Art schräger Botschaft. An Sie. W – A – R – S – T. Sagt Ihnen das was?«
»Nein.«
»Deswegen wollte ich wissen, ob Sie den Toten kennen. Wenn nicht... Tja...«
Deswegen hatte sie ihn also hier behalten? »Ich glaube wirklich nicht, dass ich den kenne. Sicher nicht. Wenn das eine Botschaft an mich gewesen sein soll, dann ging die voll daneben. Weiß man inzwischen, wer er ist?«
»Nein. Aber das wird nicht lang dauern. Dann reden wir noch mal, okay?«
»Sicher. Kann ich jetzt gehen?«
Sie lächelte zum ersten Mal und sagte das übliche Sprüchlein auf. »Wenn Ihnen was einfällt, egal was, rufen Sie bitte an.«
»Ja.« David stand erleichtert auf, und sie reichte ihm ihre Karte.
»Patrick fährt Sie nach Hause. Ist das okay, Patrick?«
»Äh, klar. Kein Problem.«
»Das ist nicht nötig«, sagte David. »Ich hab das Auto hier abgestellt, ich kann selber fahren.«
»Patrick macht das.« Sie sah ihn so lange an, bis David schließlich doch klein beigab und aufstand. Patrick schaute nach unten, als er ihm die Tür aufhielt.
»Konferenz ist um eins«, sagte KHK Seiler. Dies schien ein Signal zu sein, ihr Büro zu verlassen, denn auch Hans Fischer ging nach draußen. Auf dem Gang verabschiedete er sich kurz und unfreundlich und marschierte in die entgegengesetzte Richtung davon.
Damals warst du still
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