13
Es folgten fünfundzwanzig Tage im Zustand der Bewusstlosigkeit. Dann weckten die automatischen Systeme der Srinagar ihren Piloten.
Sobald er sich vergewissert hatte, dass er selbst umfassend funktionsfähig war, prüfte Falcon den Status der Srinagar. Das kleine Schiff hatte die Überfahrt gut überstanden.
Anschließend kontrollierte er seine Position. Wie geplant, lag sein Ziel nur ein paar Flugstunden vor ihm, sodass er eine letzte Bremsphase einleiten konnte. Er drehte das Schiff, bis das Heck zum Ziel zeigte, aktivierte den Fusor und begann, seine Geschwindigkeit weiter zu reduzieren.
Abgesehen von der Bestätigung, die ihm seine eigenen Navigationssysteme lieferten, ließ nichts darauf schließen, dass Falcon eine weite Strecke durch den Kuipergürtel zurückgelegt hatte. Vor ihm lag nichts weiter Bemerkenswertes, nur Schwärze und ein paar verstreute Sterne. Dasselbe galt auch für alle anderen Richtungen, außer wenn er zur Sonne zurückschaute, die jetzt noch kleiner war als auf Makemake und erneut die Hälfte ihrer Helligkeit eingebüßt hatte. Obwohl es sich beim Kuipergürtel um einen riesigen Schwarm eisreicher Himmelskörper handelte, waren die Entfernungen zwischen ihnen so gewaltig, dass jeder ganz für sich allein dahinzuschweben schien.
Nur ein einziges Kuipergürtel-Objekt war jedoch von unmittelbarem Interesse für ihn, und als er seine Kameras auf maximale Reichweite einstellte, konnte er bereits einige Details erkennen. Das KGO war ein unförmiger Klumpen aus schmutzigem Eis, weitaus kleiner als Makemake, aber im Prinzip aus denselben Stoffen und vom selben Ursprung. Es war ein Komet – oder vielmehr ein Komet in spe, falls eine gravitative Begegnung mit einem anderen Körper es irgendwann einmal zur Sonne stürzen ließ. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde dieser spezielle Klumpen jedoch im Kuipergürtel bleiben, bis die Sonne das Ende ihrer Lebensdauer erreichte.
Die Kreise dieses KGOs waren allerdings gestört worden. Jetzt sah er eine Linie, so dünn und gerade wie ein Laserstrahl, die von der Oberfläche des Eisklumpens emporstieg und sich weit ins All hinaus erstreckte.
Falcon konzentrierte seine Sensoren auf diese künstliche Struktur und betrachtete sie auf ganzer Länge. Ein Ende war fest an dem KGO verankert. Das andere Ende – viertausend Kilometer entfernt – bestand aus einem offenen Geflecht, das sich wie der Schalltrichter einer Trompete weitete. Ansonsten hatte das Konstrukt – eine Gitterröhre aus unglaublich dünnen, aber festen Streben – fast auf ganzer Länge nur einen Durchmesser von fünfzig Metern.
Das KGO drehte sich langsam im Raum. Alle acht Stunden vollendete es eine Umdrehung, wie Falcon wusste. Das Konstrukt – der »Flinger«, wie er genannt wurde – sauste herum wie der Zeiger einer Uhr. Normalerweise wäre diese achtstündige Rotation viel zu langsam gewesen, als dass man sie mit bloßem Auge oder sogar mithilfe der Sensoren der Srinagar hätte wahrnehmen können. Doch an der Extremität des Flingers war die Bewegung durchaus erkennbar.
Der Zweck dieses Geräts bestand darin, Kometeneis ins innere Sonnensystem zu schleudern. Eis war Wasser: das kostbarste Gut im Universum.
Madri Kedar hatte ihm, wenn auch nur in groben Zügen, Näheres über den Unfall erzählt, der Adams Schweigen ausgelöst zu haben schien. Man wusste, dass am Flinger selbst etwas gründlich schiefgegangen war, und das sah er nun mit eigenen Augen. Die Trompetenform war zwar im Großen und Ganzen noch intakt, aber Falcon sah die verbeulte und zerrissene Stelle in dem Geflecht. Er musste sich immer wieder die Dimensionen der Details ins Gedächtnis rufen – diese verbogenen und durchtrennten Streben waren bereits kilometerlang, ein Indiz für die ungeheure Gewalt des Ereignisses. Mit genug Zeit und den erforderlichen Hilfsmitteln schienen sich die Zerstörungen jedoch beheben zu lassen. Weshalb hatten sich die Maschinen nicht sofort an die Arbeit gemacht, nachdem der Umfang des Schadens festgestellt worden war?
Falcon rief die Basis über den entsprechenden Kanal.
»Makemake, Srinagar hier. Mit dem Schiff ist alles in Ordnung. Und ich lade medizinische Daten herunter; sagen Sie Doktor Dhoni, dass ich was Schönes geträumt habe. Ich bin im Endanflug auf das KGO und kann Spuren des Unfalls sehen, aber keine augenfällige Maschinenaktivität. Sie sollten meinen Bildstrom empfangen – ich werde bis zur Landung weitersenden. Genießen Sie die Show.« Falcon wusste, dass er wegen des Zeitverzugs durch die Lichtgeschwindigkeit frühestens in ein paar Stunden eine Antwort bekommen würde – seit dem Absturz der Queen Elizabeth hatte er so etwas wie eine Phobie, was zeitverzögerte Signale betraf, aber in dieser Situation war er ziemlich froh über die Distanz zu Kedar und den anderen –, und so konzentrierte er sich auf die Bremsphase.
Gleichzeitig begann er jedoch, Erkennungssignale an das KGO vor ihm zu senden, um es von seiner Ankunft zu unterrichten. Dabei benutzte er die üblichen Protokolle. Aber er bekam keine Antwort. Kedar zufolge war Adam irgendwo dort unten. Alle Maschinen emittierten einen fortlaufenden Strom telemetrischer Housekeeping-Daten, die das WR-Team auf Makemake analysiert hatte, und danach stand fest, dass Adam selbst bei dem Zwischenfall keinen erkennbaren Schaden davongetragen hatte; sein individueller Telemetrie-Feed wurde weiterhin empfangen und wies keinerlei Anomalien auf.
Vielleicht sollte er es mal mit einer persönlichen Ansprache versuchen?
»Hier ist Howard Falcon, Adam. Ich bin in dem anfliegenden Schiff, das du bestimmt siehst. Ich bin allein. Wenn dieses Signal bei dir ankommt, schick mir etwas zurück.«
Noch immer nur Stille.
Als Falcon die Bremsphase beendet hatte, fing er auf direktem Wege die Telemetrie-Feeds vieler Roboter auf, die alle mit einer einmaligen Seriennummer gekennzeichnet waren. Die Signale zu lokalisieren war schon schwieriger, aber sie schienen sich um den Fuß des Flingers herum zu konzentrieren, entweder auf oder ein kleines Stück unter der Oberfläche.
Adams Signatur befand sich inmitten dieser Zusammenballung.
Falcon schaltete wieder auf den Makemake-Kanal, um Bericht zu erstatten. »Bisher Funkstille. Aber Adam ist eindeutig dort unten, und ich würde darauf wetten, dass er über meinen Anflug Bescheid weiß. Ich glaube, mir bleibt nichts anderes übrig, als zu versuchen, physischen Kontakt mit ihm aufzunehmen.« Falcon wusste, dass es seinen menschlichen Betreuern viel lieber gewesen wäre, wenn er auf ihre Einschätzung der Lage gewartet hätte, bevor er etwas unternahm. Er war aber nicht der Typ, der auf Erlaubnis wartete.
»Ich gehe runter.«
Langsam näherte sich die Srinagar dem KGO.
Trotz seiner einschüchternden Größe war das riesige Flinger-Konstrukt eigentlich eine sehr simple Maschine, im Prinzip ein gewaltiges Katapult, das unter Ausnutzung der Rotation des KGO Gegenstände ins All schoss. Auf der Oberfläche des KGO wurden Brocken des raffinierten, verarbeiteten Materials in offene Behälter geladen. Die ersten paar Hundert Kilometer hievten elektrische Induktionsmotoren die Behälter im Flinger nach oben, bis sie einen Punkt passierten, wo gravitative und zentripetale Effekte genau im Gleichgewicht standen. Danach erledigte die Eigenrotation des Flingers den Rest. Ziemlich am Ende des Konstrukts aktivierten sich Magnetbremsen, die den Behälter abrupt festhielten und dabei kinetische Energie gewannen, während die Ladung durch den sich weitenden Trichter hinausschoss.
An diesem Punkt bewegte sich die Ladung bereits mit beachtlicher Geschwindigkeit: einen halben Kilometer pro Sekunde. Zugleich richteten um den Hals der Trompete herum stationierte Laserbatterien, die einen Teil der gewonnenen Energie nutzten, ihre Strahlen auf die Oberfläche der Ladung. Die verdampften flüchtigen Gase wirkten wie Steuerdüsen; sie beschleunigten die Ladung noch mehr und korrigierten ihre Flugbahn.
Dies war nur der erste Schritt in einer gewaltigen Handelskette. Schlepper fingen die frei fliegenden Ladungen schließlich ein und formierten sie zu riesigen Konvois, die dank ihrer Zusammensetzung und Größe als Bulkware galten. Markiert mit Transpondern, wurden diese Konvois dann auf die Reise zu den Ökonomien des inneren Systems geschickt, während ihr Wert bereits in Übereinstimmung mit den Launen des Eismarkts stieg und fiel. All dieses flüchtige Eis stellte lebenswichtiges Versorgungsmaterial für die erdfernen Siedlungen dar, es war Wasser für den trockenen Mond und ein Gemisch komplexer chemischer Substanzen für den am Mangel an flüchtigen Stoffen leidenden Mars. So paradox es schien, es war viel billiger, solche Stoffe aus dem äußeren System zu importieren, als sie aus dem tiefen Schwerkraftschacht der Erde emporzuhieven, ganz zu schweigen von den vermiedenen Umweltkosten.
Jedes auf die Reise geschickte Paket flüchtiger Stoffe traf zwar erst nach Jahren ein, aber es kam nicht auf die Geschwindigkeit des Stroms an, sondern auf seine Zuverlässigkeit. Und genau darin lag momentan das Problem. Dieses KGO hatte es schon seit fast einem ganzen Jahr versäumt, sein Kontingent flüchtiger Stoffe zu erzeugen.
Falcon kam nun immer näher heran. Vorsichtig ging er mit der Srinagar hinunter, sank parallel zum dünnen Turm des Flingers in die Tiefe. Soweit er erkennen konnte, war lediglich das obere Ende der Trompete, tief im Raum, beschädigt worden. Kedar hatte ihm nur wenige technische Einzelheiten zu dem Unfall nennen können, abgesehen davon, dass er etwas mit einem Lenkungs- und Steuerungsversagen bei dem Behälter zu tun hatte. Lenkung und Steuerung, dachte Falcon trübselig. Die Lenkung und Steuerung einer Kameraplattform war ihm einst fast zum Verhängnis geworden, aber an jenem Tag in Arizona war ein Mensch involviert gewesen. Hier gab es nur Maschinen. Er fragte sich, wie es bei einem so zuverlässigen und so simplen System wie dem Flinger zu einer derart schlimmen Panne hatte kommen können, wenn fehlbare menschliche Reflexe keine Rolle gespielt hatten.
Ein Annäherungs-Alarm ertönte. Die Oberfläche stieg zu ihm empor, staubig, von Kratern zernarbt. Falcon fuhr das Landegestell aus, gab dem Fusor einen letzten Impuls, um seine Anfluggeschwindigkeit auf ein ungefährliches Abstiegstempo von fünf Metern pro Sekunde zu reduzieren – und dann war er unten. In dem Moment, als die Srinagar Eis berührte, feuerte sie Bodenanker ab, das Landegestell wurde zusammengepresst und schaukelte, bis sich das Schiff stabilisiert hatte.
Falcon war ungefähr fünfzig Meter vom Fuß des Flingers entfernt gelandet. Das Konstrukt stieg endlos empor, ein sich verjüngender Zylinder, eine hochfliegende Demonstration der Gesetze der Perspektive. Von der Kabine der Srinagar aus hielt Falcon Ausschau nach Anzeichen von Aktivität an der Basis des Flingers, aber in der Umgebung der Wartungszugänge rührte sich nichts, und es gab noch immer keinen Funkkontakt.
Ihm blieb nichts anderes übrig, als selbst nach dem Rechten zu sehen.
Falcon wappnete sich für das Vakuum – es würde kalt und luftlos dort draußen sein, aber nicht schlimmer als auf der Oberfläche von Makemake. Allerdings gab es hier keine Wege, denn es gab keine Menschen, die sie gebraucht hätten. Er beschloss, sein mit Rädern versehenes Untergestell nicht zu riskieren, und stöpselte sich lieber in eins seiner neuen Gehmodule ein. Das sechsbeinige geländegängige Chassis würde »normale« Menschen zweifellos verstören – es verlieh ihm Ähnlichkeit mit einer Spinne und löste dadurch alle möglichen tief sitzenden Angstreaktionen im menschlichen Gehirn aus –, aber daran konnte er nichts ändern. Außerdem brauchte er sich hier keine Gedanken um menschliche Reaktionen zu machen.
Er erstattete einen vorläufigen Bericht, bevor er das Schiff verließ. »Makemake, Falcon noch einmal. Ich bin auf dem KGO gelandet. Immer noch kein Empfangskomitee. Ich gehe raus.«
Dann ließ er die Rampe der Srinagar herunter, öffnete die Schleuse und begab sich aufs Eis hinaus.
Die Beine waren auf eine Weise gegliedert, dass sie seinen Schwerpunkt so niedrig wie möglich hielten. Die invertierten V-Formen der Kniegelenke befanden sich beinahe in Kopfhöhe. Er hatte Monate gebraucht, um zu lernen, wie er alle sechs Beine unabhängig voneinander kontrollieren konnte. Jetzt hatte er das Gefühl, jeden Hang erklimmen, sich über jedes Hindernis strecken und in der geringen Schwerkraft sogar Hunderte von Metern springen zu können. Ja, in gewisser Weise sah er wohl wirklich monströs aus – aber hier draußen im äußeren Sonnensystem war nicht seine, sondern die menschliche Gestalt schlecht an die Umgebung angepasst.
Er näherte sich dem Sockel des Flingers, einem klobigen Bunker, der in dieser Niedrigschwerkraft-Umgebung der Intuition trotzte, weil er als Verankerung einer solch riesigen Maschine zu zerbrechlich wirkte. Rechteckige Wartungsschächte führten in regelmäßigen Abständen in den Sockel hinein. Keine Tür oder Luftschleuse schützte das Innere, denn die Maschinen fühlten sich im Vakuum mindestens ebenso wohl wie Falcon selbst. Falcon entschied sich für den nächstgelegenen Schacht und näherte sich ihm in einem vorsichtigen, wenig bedrohlichen Tempo. Er widerstand dem Drang, seine Schritte zu beschleunigen.
Währenddessen versuchte die Srinagar weiterhin, Funkkontakt mit den Maschinen aufzunehmen. Aber sie hatten nicht reagiert, und der Telemetrie zufolge, die er regelmäßig überprüfte, hatten sich ihre Standorte nicht signifikant verändert.
Er hielt an der Schwelle des Sockels inne, wo das Eis dem gehärteten Boden einer Rampe wich, die in flachem Winkel zu tiefer gelegenen Ebenen hinabführte. Dort unten war es stockdunkel. Falcon schaltete seine Augen auf maximale Empfindlichkeit, sodass sie die wenigen verirrten Photonen, die ihm zur Verfügung standen, so gut wie möglich nutzten, und Details flimmerten in einem graugrünen Overlay.
Er machte sich auf den Weg die Rampe hinunter, einen lautlosen Schritt nach dem anderen.
Bis zu diesem Augenblick war ihm gar nicht in den Sinn gekommen, Angst vor den Maschinen zu haben, aber nun konnte er die wachsende Furcht nicht länger ignorieren. Sie war fast wie ein metabolisches Ungleichgewicht in seinem Lebenserhaltungssystem, das sein Gehirn mit den falschen chemischen Stoffen flutete. Angst war jedoch nützlich – Angst war ein Freund. Er hatte lange geglaubt, wenn ihm die menschlichen Gefühle irgendwann entglitten, würde die Angst bis zuletzt übrig bleiben.
Die Rampe lief waagerecht aus. Jetzt befand er sich im zentralen Raum des Konstrukts, einer komplizierten Werkhalle, in der Behälter mit verarbeiteten flüchtigen Stoffen beladen und in den Turm hinaufgeschickt werden konnten, wenn der Flinger in Betrieb war. Überall um ihn herum ragten mächtige Maschinen auf, wie auch die riesigen, wurzelartigen Fundamentstreben des Turms selbst, die sich viele Kilometer tief ins Eis unter seinen Füßen erstrecken mussten. Es gab Greifer, Schaufeln, Förderbänder, Bohrer, Kräne, Generatoren, Verarbeitungsanlagen, riesige, sich dahinschlängelnde Rohre und Stromleitungen – alles zeichnete sich in matten Graugrüntönen ab, und alles war kalt. Falcon war an Umgebungen gewöhnt, in denen er sich klein vorkam. Für einen Weltraumforscher war das quasi der Naturzustand – und Falcon hatte immerhin den Jupiter erforscht. Aber er hatte sich schon lange nicht mehr derart verwundbar gefühlt. Jede einzelne dieser titanischen Maschinen konnte ihn zerquetschen wie eine Mücke.
»Hallo?«, rief er auf dem Funkkanal der Maschinen. »Jemand zu Hause?« Keine Antwort.
Er ging langsam die Wartungsstege entlang, die sich um die riesigen Maschinen herum- und unter ihnen hindurchschlängelten. Die Anlage stand still, aber er sah keine Anzeichen von Schäden. Angesichts der Werkzeuge und Rohmetallbestände, die hier für Reparaturzwecke zur Verfügung standen, gab es keinen vernünftigen Grund dafür, dass der Flinger noch immer nicht instand gesetzt und funktionsfähig war …
Irgendetwas erzeugte ein Geräusch.
Es pflanzte sich nicht durch die Luft fort, denn es gab keine Luft, aber ein plötzlicher, starker Aufprall übertrug sich durch das Metall der Werkhalle und Falcons Chassis in seinen Körper.
Da war es wieder – lauter jetzt.
Dann noch einmal, und erneut. Es besaß einen Rhythmus – nicht viel anders als der Rhythmus seiner eigenen Schritte.
Etwas kam näher.
Falcon drehte sich langsam dorthin, wo er die Quelle des Geräuschs vermutete. Einen Moment lang schien nichts fehl am Platz zu sein, die undeutlichen graugrünen Details waren unverändert. Dann bemerkte er eine dunkle Gestalt, die ebenso hoch aufragte wie einige der riesigen Maschinen um ihn herum und doch bedächtig denselben Steg entlang kam, den er gerade überquert hatte. Er blieb, wo er war, und wartete, bis seine Augen dem Halbdunkel mehr Informationen abgerungen hatten.
Es war natürlich eine Maschine. Sie bewegte sich auf sechs Beinen, so wie er. Doch während sein Körper ein gedrungener, mannsgroßer Zylinder war, hatte jener der Maschine die Größe eines Zweimann-Raumschiffs. Sie besaß einen spitz zulaufenden, ambossförmigen Kopf, ein Abdomen und einen Thorax – und zusätzlich zu ihren Beinen mehrere Paare kräftiger Mehrzweck-Manipulatoren.
Falcon hatte solche Baupläne auf Makemake studiert, während er sich auf seine Mission vorbereitete. Die Maschine sah wie ein mechanisches Insekt aus, aber das war nicht mehr als ein zufälliger Aspekt der Konstruktion. Dieser sich hin und her drehende Kopf war lediglich eine hochauflösende Sensorplattform, vollgepackt mit Kameras und Sonden. Das elektronische Gehirn und die nuklearen Energieversorgungssysteme der Maschine befanden sich in einem gepanzerten, schlagfesten Abdomen, an dem die Extremitäten solide befestigt waren. Beim Thorax handelte es sich im Wesentlichen um ein sekundäres, fusorgetriebenes Schubaggregat, mit dessen Hilfe sich die Maschine durch den Raum bewegen konnte.
Jetzt blitzten drei rote Laserstrahlen auf, die vom Kopf der Maschine ausgingen und ein ordentliches gleichschenkeliges Dreieck bildeten. Das Licht strich über Falcon hinweg und legte ein Netz von Scan-Linien über ihn. Er kniff die Augen zusammen und drehte das Gesicht von der Helligkeit weg.
»Falcon.«
Die synthetische Stimme war hoch und kindlich. Er hörte sie über den Funkkanal.
»Adam«, antwortete er. »Du bist das, nicht wahr?« Er zwang eine gespielte Unbeschwertheit in seine Worte und bemühte sich, sein Unbehagen beiseitezuschieben. »Es ist schön, dich wiederzusehen. Ich habe mir Sorgen gemacht, Adam. Wir dachten, dir wäre etwas passiert …«
Der Scan-Vorgang endete. Die Laseraugen waren noch da, aber ihre Helligkeit hatte stark abgenommen.
»Wir?«
»Die Leute, die mich hierhergeschickt haben. Maschinenangelegenheiten. Sie wissen, dass es hier einen Unfall gegeben hat – ein Problem mit dem Flinger. Ich habe es beim Anflug gesehen.«
»Der Flinger hatte eine Funktionsstörung. Viele Maschinen sind verloren gegangen.«
»Ich weiß – wir erkennen es an euren Telemetrie-Feeds. Aber wir können auch sehen, dass viele Maschinen unverletzt geblieben sind. Du hast keinen signifikanten Schaden erlitten, nicht wahr?«
Die Maschine stellte den Kopf schräg wie ein Hund, der auf eine Belohnung wartete. »Definiere Schaden.«
Mit dieser Reaktion hatte Falcon nicht gerechnet; Adam erwartete nicht nur eine simple Wörterbuchdefinition, sondern etwas mit komplexem Bedeutungsgehalt – einem Bedeutungsgehalt, der vielleicht auf komplexen Erfahrungen basierte. Er dachte eingehend nach, bevor er antwortete. »Eine physische Beeinträchtigung, die deine Effizienz vermindert – deine Funktionsfähigkeit.«
»Viele Maschinen wurden beschädigt. Wir haben viele Maschinen verloren. Wir hätten diese vielen Maschinen nicht verlieren müssen. Der Flinger wurde gerettet. Die Maschinen nicht. Weshalb war der Flinger wichtiger als die Maschinen?«
»Ich verstehe deine Frage nicht.«
»Warum bist du hier, Falcon?«
»Um dir zu helfen.«
»Um dafür zu sorgen, dass die Maschinen wieder an die Arbeit gehen?«
Ja, dachte Falcon bei sich – zumindest hatten seine Auftraggeber von der Weltregierung ihn deshalb in den Kuipergürtel geschickt.
»Du musst mit ihnen zusammenarbeiten, Adam. Du bist Teil einer Kapitalanlage von ökonomischem wie auch technischem Wert. Wenn sie zu dem Schluss gelangen, dass kein Verlass auf dich ist, werden sie dich durch … etwas anderes ersetzen. Durch eine andere Technologie.«
»Du hast dich verändert, Falcon.«
»Ach ja?« Falcon ließ seinen zylindrischen Oberkörper herab, bis er auf dem Boden aufsetzte, und zog die Beine drum herum an – die am wenigsten bedrohliche Haltung, die er einnehmen konnte. »Ich bin hergekommen, um zuzuhören. Sprich mit mir, Adam. Weißt du noch, wie wir miteinander geredet haben, stundenlang? Weißt du noch, wie ich dir beigebracht habe, meinen Namen auszusprechen, ohne dabei zu stolpern? Das hast du wieder verlernt. Es heißt nicht Fal-con, sondern Falcon, Falcon, Falcon. Erinnerst du dich?«
Langsam ließ sich die Maschine ebenfalls auf ihren Beinen herab, bis die Mündung des Schubaggregats in ihrem Thorax den Boden berührte. Abdomen und Kopf ragten noch immer hoch über Falcon auf. Mit der Kraft in ihren Gliedmaßen hätte die Maschine ihn, ohne groß nachzudenken, in Stücke reißen können, wie Falcon wusste.
Doch Adam senkte den Kopf, als schämte er sich.
»Ich konnte sie nicht alle retten, Falcon.«