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Willkommen. Ich bin beauftragt worden, Nachforschungen anzustellen.«
Von wem?, fragte sich Falcon sofort. Gab es Fraktionen innerhalb der Maschinen-Gemeinschaften?
»Natürlich haben wir deine Funkbotschaften registriert. Wir haben deinen Anflug und deinen Eintritt in unsere Atmosphäre verfolgt und uns schließlich geeinigt, dich durch den äußeren Schirm zu lassen, obwohl ich nicht behaupten kann, dass es eine einmütige Entscheidung war. Einige von uns hielten es für sicherer, dich sofort zu eliminieren.«
»Freut mich, dass der Antrag nicht angenommen wurde.«
»Über dein Schicksal ist noch nicht entschieden. Es bestand Übereinstimmung darin, dass weitere Informationen nützlich sein könnten. Deshalb haben sie mich ausgesandt, um mich mit dir zu treffen.«
Falcon fiel auf, dass er sie statt wir sagte … gab es Uneinigkeit unter den Maschinen? »Um dich mit mir zu treffen oder mich zu töten?«
Es dauerte einen Moment, bis Adams Antwort kam. »Dein Schicksal hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Deine Absichten sind dabei nicht ganz unwichtig.«
»Meine Absichten sind ziemlich simpel. Ich bin hergekommen, um über Frieden zu sprechen.«
Auf dem Gesicht mit den leeren Augen erschien ein trauriges Lächeln. »Damit meinst du unsere Kapitulation? Eure Anführer haben dich doch hergeschickt, um uns dazu aufzufordern.«
»Ein Waffenstillstand. Das ist das Einzige, was mich interessiert.«
»Und die Bedingungen für diese zeitweilige Einstellung der Feindseligkeiten?«
»Ich habe sie bei mir. Als physisches Dokument. Du kannst gern einen Blick darauf werfen.«
»Warst du an der Abfassung dieses Dokuments beteiligt?«
»Nein. Und ich spreche nicht für die Regierung. Aber ihr müsst verstehen, dass sie mittlerweile zu allem entschlossen sind.«
»Müssen wir das?«
»Sie sind drauf und dran, etwas Schreckliches zu tun.«
»Und dieses Schreckliche hätte etwas mit Io zu tun, nicht wahr? Uns entgeht nicht viel, schon gar nicht, wenn ein trägheitsloser Antrieb getestet wird.«
Falcon war weder schockiert noch überrascht, dass die Roboter von der Io-Waffe wussten. »Ich glaube, die physikalischen Grundlagen haben sie euch gestohlen …«
»Natürlich.«
»Die Io-Waffe ist eine letzte, verzweifelte Maßnahme. Sie werden nur dazu greifen, wenn alle anderen Optionen ausgeschöpft sind.«
»Und du bist eine dieser ›anderen Optionen‹? Schmeichelt es dir, dass sie dich immer noch nützlich finden?«
»Glaub mir, wieder in die menschlichen Angelegenheiten hineingezerrt zu werden, war das Letzte, was ich wollte.«
»Wir haben deine Abwesenheit registriert.«
»Behaltet ihr die Entwicklungen so genau im Auge?«
»Wir haben uns Sorgen um dich gemacht, Falcon. Nach der Demontage der Erde hast du einige unbesonnene Dinge gesagt. Wir fürchteten um deine emotionale Objektivität.«
»Wenn man sieht, wie der eigene Heimatplanet in Schutt und Asche gelegt wird, raubt das dem ganzen Nachmittag den Glanz.«
»Aber ihr wurdet verschont, nicht wahr? Und wir hatten der Menschheit fünfhundert Jahre Zeit gegeben, sich darauf vorzubereiten … Nun, mein lautes Geschrei über die Leere hinweg – obwohl es eindrucksvoll ist, findest du nicht? – hat seinen Zweck erfüllt. Darf ich die Gondel betreten?«
»Habe ich eine Wahl?«
»Ich frage nur aus Höflichkeit. Behalte deine Höhe bei.«
Der Mund öffnete sich weiter, und dann schob sich groteskerweise eine schwarze Zunge in die sengend heiße, alles zermalmende Jupiterluft hinaus und streckte sich in die Länge wie eine freitragende Brücke. Die Zunge durchquerte einen Kilometer freien Raum und stieß mit ihrer surfbrettförmigen Spitze gegen die Gondel.
Der Kontakt brachte die Kon-Tiki ins Schaukeln.
Falcon schaltete diverse Alarmanlagen aus und beschloss, Adam zu vertrauen. Die Maschinen hatten weitaus mehr Erfahrung darin als er, unter solchen Druckverhältnissen zu agieren, und es würde nichts an seinem kleinen Fahrzeug geben, was ihnen unbekannt war, keinen Makel und keine Schwachstelle, die sie nicht bereits einkalkuliert hatten.
Und plötzlich befand sich Adams Gestalt im Innern der Gondel und nahm den wenigen Raum ein, der neben Falcon und seinen Instrumenten noch blieb. Einen Moment lang war die Maschine vollkommen glanzlos und schwarz, als ob sie aus der Wirklichkeit ausgeschnitten worden wäre. Dann floss eine goldene Welle von Adams Fußspitzen bis zu seinem Scheitel empor.
»Na also. So ist es viel besser, nicht wahr?«
Draußen zog sich die Zungenbrücke in das schemenhaft aufragende Gesicht zurück, und das Gesicht selbst verschwand wieder in der glatten Oberfläche des Fahrzeugs, das sich nun entfernte und wieder zu den größeren Formationen der Stadt hinabsank.
Ein hauchfeines Lächeln ging über Adams Gesicht. Er streckte eine goldene Hand aus. »Warum hast du dich von ihnen herschicken lassen, Falcon?«
»Weil ich wie alle alten Narren nicht weiß, wann ich aufgeben muss.« Mit einer gewissen Wachsamkeit streckte Falcon ebenfalls die Hand aus; ihre Fingerspitzen hingen Zentimeter voneinander entfernt in der Luft, bis irgendein Impuls die beiderseitige Vorsicht überwand und ihre Handflächen sich berührten. »Und du anscheinend auch nicht. Aber zumindest hörst du dir an, was ich zu sagen habe, nicht wahr?«
»Auch wenn es nur wenig nützen wird.«
Falcon zog die Hand zurück. Die Berührung war kalt, aber nicht unangenehm gewesen. »Hören wir auf mit der Geheimnistuerei. Ich bin verdammt sicher, ihr wisst, dass sie fähig sind, Io auf euch stürzen zu lassen. Und ich weiß auch das: Wenn ihr die Hoffnung hättet, sie aufhalten zu können, dann hättet ihr es bereits getan.«
Adam dachte darüber nach. Dann machte er eine Handbewegung zum Fenster. »Du bist tiefer herabgekommen als irgendein menschlicher Beobachter vor dir, aber nur, weil wir es zugelassen haben. Wir hatten nichts dagegen, dir unsere schwebenden Befestigungsanlagen zu zeigen.«
»Ich bin beeindruckt. Ich würde lügen, wenn ich etwas anderes behaupten würde. Dieser Plasmavorhang, diese Geschützgebirge! Und außerdem befinden wir uns in einer Tiefe von fünfhundert Kilometern! Obwohl die Kon-Tiki über acht Jahrhunderte hinweg immer wieder nachgerüstet wurde, hat sie jetzt ihre Zerstörungstiefe schon fast überschritten, und ihr habt hier unten komplette schwebende Städte erbaut. Wegen eurer Abschirmungen hatten wir nicht einmal eine Ahnung, dass es sie gibt. Städte, Adam! Wie ist das überhaupt möglich? Woraus bestehen sie?«
»Zumeist aus Wasserstoff«, sagte Adam, als wäre das kein großes Geheimnis. »So stark komprimiert, dass er metastabil wird. Dann kann man den Druck reduzieren, ohne dass er in seine molekulare Form zurückfällt. Wir haben sogar eine Möglichkeit gefunden, Schwarze Mini-Löcher und magnetische Monopole in das Kristallgitter einzubinden. Das bietet uns eine Fülle struktureller Möglichkeiten – ein komplettes Periodensystem neuer Elemente und Formen … Wir nennen es protonische Materie. Du wärst überrascht, wie viel wir schon allein mit dem Rohmaterial der Jupiteratmosphäre bewerkstelligen konnten.«
»Nein«, sagte Falcon wahrheitsgemäß. »Du hast mir vor all diesen Jahren von 90 erzählt, weißt du noch? Dem Einstein der Maschinen. Nach so langer Zeit würde mich nichts überraschen, was ihr auf der Grundlage seiner Erkenntnisse erreicht habt. Und gibt es angesichts dieses neuen Potenzials, dieser planetarischen Stadt, die ihr baut, Raum für eine Einigung mit der Menschheit?«
Nach einem kurzen Schweigen sagte Adam: »Das möchte ich hoffen.«
»Ist das deine persönliche Meinung, oder sprichst du im Namen der Maschinen?«
»Sie halten mich für einen Idealisten.« Sie, schon wieder.
Adam zeigte ihm ein goldenes Lächeln. »Ich – idealistisch. Eine solch menschliche Eigenschaft. Ist das zu glauben? Aber ich habe durchaus Verbündete. Moderate Stimmen. Obwohl ich nicht behaupten würde, dass wir die Mehrheit sind.«
Falcon dachte an seinen eigenen bescheidenen Einfluss, das Gefühl, dass er in zunehmendem Maße allein dastand. »Wenn das so ist, haben wir einiges zu tun, du und ich.«
»Ja.«
»Du hast mich doch bestimmt überprüft. Dieser Handschlag war kein Zeichen deiner Wertschätzung, nicht wahr? Du hast diverse Proben genommen – was, Blut, DNA? – und dich vergewissert, dass ich kein Material für einen nanotechnischen Anschlag in mir trage. Ebenso wenig wie das Vertragsdokument. Du hättest dir keine Sorgen zu machen brauchen. Die Springers haben mir erklärt, sie hätten den Versuch aufgegeben, auf diese Weise einen Schlag gegen euch zu führen.«
»Und das hast du ihnen geglaubt?«
»Ich finde, du solltest dir das Abkommen ansehen. Wenigstens kann ich euch damit noch etwas Zeit erkaufen.«
»Du denkst noch immer, wir wären diejenigen, die Schutz brauchen?«, sagte Adam belustigt. »Na schön – zeig mir das Dokument. Es wird sicher unterhaltsam sein, die logischen Fehler zu finden, die primitiven Manipulations- und Desinformationsversuche. Oder haben die Springers dich auch im Hinblick auf diese Front beruhigt?«
»Ich bin lediglich die Brieftaube.«
Falcon trat an den eisernen Behälter, der das Vertragsdokument enthielt. Er bückte sich auf seinem Untergestell, um den schweren Schraubdeckel zu öffnen, griff hinein und holte das Dokument – einen schweren Zylinder – heraus. Adam sah zu, wie Falcon den massiven Kern hervorzog. Er war nur geringfügig schmaler als das Gehäuse. Das Dokument schimmerte im Licht der Kabine – Rosa-, Smaragd- und kräftige Blautöne spielten flüssig darüber hinweg. Die Oberfläche war mit so feinen Gravuren übersät, dass prächtige Beugungsmuster entstanden, wie bei einem Insektenflügel. Für ein Artefakt, das mit Krieg zu tun hatte, war es verblüffend hübsch. »Wie eine Miniaturausgabe der Trajanssäule«, sagte Falcon leise.
Adam brauchte einen Moment, wie es schien, um über diese Bemerkung nachzudenken. »Hast du es gelesen?«, fragte er schließlich.
»Was glaubst du wohl? Das ist eure Sache.«
Adam streckte beide Hände aus.
Falcon reichte ihm den Wolfram-Kern und trat dann so weit zurück, wie es die Kabine erlaubte, damit Adam Platz hatte, um das Dokument zu prüfen. In den starken goldenen Händen des Roboters wirkte es leichter und kleiner. Adam drehte es hin und her, ließ es sogar zwischen den Fingern herumwirbeln und betrachtete eingehend erst das eine und dann das andere Ende des Kerns – strich sogar mit einer Miene hochgradiger Konzentration darüber, fast wie ein Musiker.
»Nun, eine Bombe ist es nicht«, sagte er schließlich. »Es gibt keine Mechanismen, keine inneren Strukturen oder Dichteunterschiede. Das Gravitationsfeld entspricht genau dem eines massiven Wolfram-Klumpens.
Was die Markierungen betrifft, so ist die Codierung kompliziert, aber mühelos lesbar. Die Informationsmenge ist jedoch enorm groß. Wenn dies in Textform umgewandelt würde, sodass du es lesen könntest, bräuchte man dafür rund zehn Millionen Druckseiten. Es gibt zahlreiche Abschnitte, Unterabschnitte, Klauseln, Anhänge, Zusätze …« Adam strich mit einem Finger über die Seite des Kerns. »Allein schon das hier. Fast tausend Seiten, in denen es ausschließlich darum geht, wer Sonnenneutrinos nutzen darf und wer nicht!«
»Es hat wohl nicht viel Sinn, ein Waffenstillstandsdokument abzufassen, ohne auch die Details festzulegen.«
»Trotzdem ist es außergewöhnlich komplex. Hast du eine rasche Antwort erwartet, Falcon? Ein simples Ja oder Nein?«
»Ich habe gar nichts erwartet.«
»Gut, denn es gibt sehr viel zu verarbeiten. Nicht dass dies etwas anderes als das unverblümteste Ultimatum wäre, aber die Form, die bewussten und unbewussten Annahmen, die in den Text eingebettet sind – ob es deinen Herren gefällt oder nicht, sie haben ihrer eigenen psychologischen Verfassung einen Spiegel vorgehalten. Einen dunklen, verdrehten Spiegel! Und daraus können wir etwas lernen, nicht wahr? Nämlich wie wir ihrer Meinung nach denken, und daraus können wir alles Wünschenswerte darüber lernen, wie sie denken – sie denken – sie denken wir denken sie denken …«
Adam erstarrte.
Falcon war sofort beunruhigt. »Adam?«
Der Kopf der Maschine drehte sich einmal um sich selbst.
Falcon hatte das Gefühl, als würde seine Welt mit ihm herumwirbeln. Alles hatte sich plötzlich verändert. Und er dachte sofort an Surgeon-Commander Tem. Verdammt, hatte sie zu seiner Überraschung gesagt – die leuchtende Farbe ihres Blutes …
»Adam, sprich mit mir.«
»Da ist … etwas. Etwas in mir, was vorher nicht in mir war.«
Und in diesem Moment wusste Falcon, dass er und die Maschinen letztlich doch hereingelegt worden waren.
Das hätte mir gerade noch gefehlt, dass Ihre archaische DNA mich kontaminiert.
Tem hatte versucht, ihn zu warnen.
»Isoliere dich«, blaffte er Adam an. »Von den Maschinen, von deiner Stadt. Sofort.«