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Wie sich herausstellte, suchten auch Maschinen Schutz vor der grimmigen Sonne des Merkurs, wenn sie welchen fanden. In Caloris wurde Falcon in den Schatten einer der Rupes gebracht, die sich über den zertrümmerten Boden des riesigen Einschlagskraters wanden. Aus Gründen, die sich in astronomischen Sagen und Legenden verloren, hatten Kartografen, die sich den Kopf über die von den ersten unbemannten Merkursonden nach Hause geschickten Bilder zerbrachen, diese klippenartigen Falten nach Forschungsschiffen wie der Beagle und der Santa Maria benannt. Diese Tradition war weitergeführt worden, als Menschen leibhaftig hierherkamen.

Deshalb befand sich Howard Falcon nun im Schatten einer Steilwand namens Kon-Tiki.

Er traf Adam draußen an der Oberfläche, ein Stück vom Schiff entfernt. Die Maschine stand stumm und reglos im Schatten, nur von dem Sonnenlicht beschienen, das von den glutheißen Felsen reflektiert wurde.

»Da wären wir also wieder«, begann Falcon. »Von Angesicht zu Angesicht. Sozusagen.«

Adam schwieg immer noch. Sein gegenwärtiger Körper, ein Produkt hoch entwickelter Technologie, hatte nur andeutungsweise humanoide Gestalt. Die Beine waren ein Gewirr von Federn und Stoßdämpfern, der Rumpf ein von Zugangsklappen übersäter Zylinder, die Arme besaßen flexible Gelenke und waren mit klauenartigen Manipulatoren versehen. Sein Kopf, ein offenes Gehäuse mit künstlichen Augen und Ohren und sogar einem Mund, umgab leeren Raum. Im Vergleich zu diesem Design wirkte Falcons eigener Oscar-Statuetten-Chic geradezu prähistorisch.

Adam streckte ihm jedoch eine Hand hin. Daraufhin streckte auch Falcon seine Prothesenhand aus, und Adams metallene Klaue umschloss die seine. Sie standen da, als wären sie miteinander verschmolzen, Handfläche an kalter Handfläche.

Adam lächelte; sein Mund verzerrte sich auf unheimliche Weise. »Eine simple Geste, aber mit mehreren Bedeutungsebenen, Falcon. Ihr Menschen lauft in einem Nebel von Symbolen herum.«

»Ihr doch auch«, gab Falcon zurück. »Es war nicht meine Entscheidung, dass wir uns hier unter einer Steilwand namens Kon-Tiki treffen.«

»Ach ja. Ich wünschte, hier würde deines berühmten Schiffes gedacht und nicht eines seetüchtigen Fahrzeugs aus einer Zeit noch vor der deinen. Trotzdem, die Verbindung war mir in den Sinn gekommen.« Er schaute dorthin, wo die Sonne stand. »Aber ihr habt den Tag des Merkurtransits für dieses Treffen gewählt. Ein weiterer symbolischer Akt.«

»Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass die Hoffnungen von mindestens zwei Welten – zwei Menschenwelten – auf dieser Begegnung ruhen. Warum also keinen solchen Tag dafür wählen? Und sobald der Transit vorüber ist, wird sich jedermanns Aufmerksamkeit auf die Rede richten, die Präsidentin Soames halten wird, wenn wir hier fertig sind.«

»Ich hoffe, sie hat zwei Entwürfe parat. Für gute und schlechte Neuigkeiten.«

Das brachte Falcon zum Lächeln. »Ich erkläre den Leuten immer, dass du Humor hast, Adam. Niemand glaubt mir.«

»Sag mir, warum du hergekommen bist.«

»Du weißt, warum. Man hat mich gebeten, mit dir über euer Vorgehen auf dem Merkur zu sprechen. Insbesondere über die Konstruktion des Sonnenschildes, die man nur als Akt der Aggression gegenüber den Merkuriern und – wegen der gegenseitigen Schutzverträge – gegenüber der gesamten Menschheit deuten kann. Und du weißt, warum ich gekommen bin.«

»Ich bin dir dankbar für das, was du für mich – für uns – getan hast. Für deine Fürsorge in unseren ersten Tagen. Aber diese Zeiten sind längst vorbei. Ich habe übrigens einen Fehler gemacht, als ich beschloss, dich ›Vater‹ zu nennen.« Adam legte den Kopf schief. »Ich wollte dich nicht … kränken. Aber es implizierte eine Verbindung, eine Beziehung, die es in Wirklichkeit niemals gab.«

»Tut mir leid, dass du es so empfindest«, sagte Falcon mit echtem Bedauern – obwohl sich die Maschine auf Gespräche bezog, die Jahrhunderte zurücklagen. »Und … ist es zu spät für die Menschheit auf dem Merkur, Adam?«

»Wir verfolgen Ziele, die über die Niederlage der Menschheit hinausgehen.«

Bei dieser wegwerfenden Bemerkung wurde es Falcon eiskalt, obwohl er hier in der Hitze des Merkurs stand. »Die Merkurier denken, ihr wolltet euch die Sonnenenergie und die Bodenschätze des Merkurs unter den Nagel reißen, um sie für technische Projekte zu nutzen.«

»Mit anderen Worten: das tun, was ihr getan habt. Was meinst du, weshalb wir hier sind, Falcon? Von allen Menschen, denen ich begegnet bin, denkst du noch am meisten wie eine Maschine, wenn du es willst.«

»Eher, wenn ich nicht anders kann.«

Adam lachte sogar, ein Laut, der für Falcon noch nie so realistisch geklungen hatte wie jetzt.

»Treiben wir keine Spielchen. Was habt ihr hier vor?«

Adam hob das Gesicht zum dunklen Himmel und tippte sich mit dem Finger an die Schläfe. »Ihr habt uns so geschaffen, Falcon. Nach eurem eigenen Bild. Wir sind Intelligenzen von menschlichen Dimensionen, mit Beschränkungen von menschlichen Dimensionen. Etwas anderes konntet ihr euch nicht vorstellen. Jetzt ist euer Vermächtnis für uns ein Baustein bei der Konstruktion von etwas viel Größerem. Wir werden uns zu einer gewaltigen Heerschar vereinigen … Wir werden ein Bewusstsein erschaffen, das größer ist als jede einzelne Maschine, so wie euer Gehirn größer ist als ein einzelnes Neuron.«

»Früher hast du nie geprahlt, Adam.«

»Nun, es gibt eine Menge, womit ich prahlen kann.«

»Warum die Venus?«

»Du meinst, warum wir Assembler dorthin geschickt haben? Sie ist das nächste logische Ziel. Ich glaube, es gibt eine kleine menschliche Siedlung am Südpol, die sich leicht evakuieren lässt …«

Falcon wusste, dass die Besatzung der Aphrodite-Basis bereits vom Planeten weggebracht wurde, zu Cytherea Eins, der größten bemannten Raumstation bei der Venus. »Ihr seid nicht menschlich, aber ihr seid auch nicht unmenschlich. Euch ist an der Sicherheit der Wissenschaftler in Aphrodite gelegen, so wie ihr auch Evakuierungen auf dem Merkur zulasst. Weißt du noch, dass ich mich für die Anerkennung von euch Maschinen als Rechtspersonen (nichtmenschlicher Art) eingesetzt habe? Damals haben wir eure Rechte respektiert …«

»Ich denke, deine merkurianischen Freunde würden das Gerede von Rechten als wirklichkeitsfremde, selbstgefällige Dummheit abtun. Ich bin hergekommen, weil ihr darum gebeten habt, Falcon. Aber Verhandlungen sind nicht möglich. Die Diskussion hat keinen Zweck mehr.« Er wandte sich ab.

»Die Acheron ist hier«, rief Falcon. »Daran ist nichts Wirklichkeitsfremdes.«

Ohne zurückzuschauen, sagte Adam: »Das ist tatsächlich deine erste sinnvolle Äußerung.« Und er ging tiefer in die Schatten hinein, bis er nicht mehr zu sehen war.

Die Medusa-Chroniken
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