26

Es war Trayne, der das anomale Radiosignal zuerst bemerkte.

Falcon lauschte Orpheus’ Worten mit einer Mischung aus Verwunderung und Neid. »›Momentan fühle ich mich jedoch wohl.‹ Ein Lakoniker, wie er im Buche steht. Verdammt, man könnte schwören, dass Orpheus genauso menschlich ist wie Young oder Hilton – und genauso kaltblütig.«

»Kann sein«, sagte Trayne geistesabwesend. Er deutete auf eine Anzeige. »Schauen Sie sich das an, Commander. Einer von Ihren Filtern fängt ein anderes Signal auf. Es hat nichts mit Orpheus zu tun. Ist das eine Ihrer Medusen?«

Falcon schaute zu dem Monitor hinüber. Tatsächlich, die riesigen Antennensysteme der Ra fingen kurzwellige Radioimpulse auf, und er erkannte das grundlegende Modulationsmuster sofort. Hastig aktivierte er die Übersetzungsprogramme, die er im Lauf der Jahrzehnte – jetzt schon der Jahrhunderte – seines Kontakts mit den Jupiterbewohnern zusammengebastelt hatte.

Trayne runzelte die Stirn. »Ich kann nicht erkennen, wie weit die Quelle entfernt ist.«

»Das lässt sich anhand der Signalstärke abschätzen, und die Peilung liegt auch bald vor …«

Eine seelenlose, geschlechtslose synthetische Stimme verlas ohne jegliche Veränderung des Tonfalls die erste Rohübersetzung des Signals. Der Große Manta ist zurückgekehrt. Der Große Manta ist unter uns. Betet zum Großen Manta, dass ihr verschont werdet. Betet zum Großen Manta, dass ihr nicht verschont werdet …

Traynes Augen waren groß. »Ist das …?«

»Eine Meduse. Jede Wette.«

»Und ich wette, ich weiß, wer es ist – das heißt, welche Meduse. Ceto, ja? Diejenige, der wir schon begegnet sind. ›Der Große Manta.‹ Sie haben gesagt, dass sie von dem gesprochen hat. Ging es da nicht um die Vorstellungen einer Meduse vom Tod und von Ausrottung?«

»Ja – ein mehrdeutiger Mythos. Medusen sind empfindungsfähige Beutetiere. Sie verstehen, dass sie untrennbar zu einem umfassenderen ökologischen System gehören, in dem die Mantas und andere Räuber eine zentrale Rolle spielen. Deshalb akzeptieren sie den Verlust eines gewissen Prozentsatzes ihrer eigenen Gattung, als Tribut an die Ökologie, die sie erhält – und doch beten sie gleichzeitig zu einem Manta, er möge sie nur heute verschonen … Irgendetwas geht da vor. Sie ist in Schwierigkeiten.« Er zögerte. »Sie ruft um Hilfe. Sie bittet mich um Hilfe. Sonst würde sie nicht auf dem Kurzwellenband rufen.«

Trayne musterte ihn. »Und Sie wollen ihr helfen, nicht wahr?«

Falcon schnitt eine Grimasse. »Warum? Weil Ihre Kinderbuchversion eines Helden das täte? Weil er seinen Posten verlassen und davonstürzen würde, um einer hilflosen jungen Dame zur Seite zu stehen? Einer zwei Kilometer großen Dame …«

Trayne wirkte indigniert. »Nein. Bloß weil ich Sie kenne, zumindest ein wenig. Und wenn sie nach Ihnen ruft, haben die Schwierigkeiten, in denen sie steckt, vielleicht etwas mit Menschen zu tun.«

Daran hatte Falcon noch gar nicht gedacht. »Vielleicht haben Sie recht«, räumte er widerwillig ein. »Die Ortung wird präziser. Sie ist viele Tausend Kilometer entfernt. Selbst wenn wir uns davonmachen würden, wie könnten wir rechtzeitig dorthin kommen? Die Ra ist wie die Kon-Tiki im Grunde dazu gedacht, sich vom Wind treiben zu lassen. Sie soll keine Geschwindigkeitsrekorde aufstellen.«

Trayne zuckte die Achseln. »Dann werfen wir eben den Auftriebskörper ab. Die Gondel hat ihr eigenes Fusor-Antriebssystem …«

»Das uns aus der Atmosphäre in die Umlaufbahn zurückbringen soll. Für Ausflüge in die Wolkenbänke ist es nicht gedacht.«

»Klar. Aber wir haben jede Menge überschüssige Energie. Und das Triebwerk ist ein Ramjet, ein Staustrahltriebwerk – es benutzt die Außenluft als Reaktionsmasse –, also ist es nicht so, als würde uns der Treibstoff ausgehen.« Auf Falcons überraschten Blick hin sagte er etwas zaghafter: »Ich habe mir die technischen Daten der Ra gründlich angesehen, bevor wir von Amalthea aufgebrochen sind.«

»Ach wirklich?«

»Ich bin kein verwöhnter Terraner, Commander. Sondern Marsianer. Ich bin unter einer Kunststoffkuppel auf einem Planeten aufgewachsen, der mich als Strafe für den kleinsten Fehler töten wird. Natürlich habe ich sie mir angesehen.«

»Okay. Ich bin beeindruckt, auch wenn ich es ungern zugebe. Aber wir haben hier einen Auftrag zu erfüllen. Wir sind eine Relaisstation für Orpheus …«

»Der Auftriebskörper kann die Stellung halten. Er hat ein eigenes Ersatz-Kommunikationssystem. Außerdem sind die Signale von Charon 2 auch ohne uns wahrscheinlich stark genug, um von Charon 1 oben in NGB-4 direkt aufgefangen zu werden.«

»Das haben Sie sich auch alles angesehen, stimmt’s?«

Trayne grinste.

Falcon drehte sich zu seinen Steuerelementen um. »Na schön. Sie haben’s nicht anders gewollt. Überprüfe Deuterium-Helium-3-Mischungsverhältnis …« Gurte legten sich um seinen Körper und fixierten ihn an der Struktur der Ra. »Vergewissern Sie sich, dass Ihr Exposit eingeschaltet ist und fest in seiner Halterung sitzt. Ich werde Ihnen die Beschleunigung nicht ersparen.«

»Würde mir nicht im Traum einfallen, Sie darum zu bitten.« Trayne trat zur Wandstation seines Anzugs zurück.

»Überprüfe Temperatur der Jet-Kammer.« Falcon ließ den Blick ein letztes Mal über seine Instrumente schweifen. Dann entfernte er das Sicherheitssiegel über der Reißleinentaste. »Zünde Stress-Stufe.«

»Was?«

»Nicht so wichtig.« Er drückte auf die Taste.

Ein scharfer Knall, als Sprengbolzen die Gondel von der Gashülle trennten, ein kurzes Gefühl des Fallens – jetzt gab es kein Zurück mehr –, und dann sprang der Ramjet-Antrieb an. Sie spürten den Beschleunigungsdruck. Die Gondel hatte sich in ein unabhängiges Fahrzeug in der Jupiterluft verwandelt, in eine Kerze, die auf einer Säule aus ultrahocherhitztem Wasserstoff-Helium ritt.

»Alles in Ordnung, Marsianer?«

»Ging mir nie besser.«

»Lügner. Ich programmiere unsere Flugbahn ein. Und das Kontrollzentrum auf Amalthea verlangt schon eine Erklärung, wie ich sehe. Das überlasse ich Ihnen …«

Die Medusa-Chroniken
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