66

Abbey steuerte die Marea II an den kleinen Steg im Owls Head Harbor. Jackie sprang von Bord und machte fest. Der Hafen war verlassen, ein paar Boote lagen an ihren Plätzen, und Möwen beobachteten sie von den hohen Pfählen aus. Die Sonne war gerade untergegangen und der Himmel voll zarter orangeroter Wolken, die ihr Vater »Federwolken« nannte – sie kündigten schlechtes Wetter an.

Wyman Ford nahm seinen Aktenkoffer, betrat den knarrenden Steg, strich seinen zerknitterten Anzug glatt und versuchte, sich mit den Fingern das Haar zu kämmen.

»Vergessen Sie’s, Sie sehen immer noch aus, als kämen Sie von einer Sauftour«, sagte Abbey lachend. »Werden Sie wieder ein Auto klauen?«

»Ich hoffe doch, das wird nicht nötig sein. Wo geht es in den Ort?«

»Immer die Straße lang. Sie können ihn nicht verfehlen. Beeilen Sie sich lieber, da kommt ein Sturm.«

»Woher wissen Sie das?«

Sie blickte nach oben. »Der Himmel.«

»Bleiben Sie auf der Insel, bis Sie wieder von mir hören. Wenn ich mich in fünf Tagen noch nicht gemeldet habe, bedeutet das, dass ich festgenommen wurde. In diesem Fall fahren Sie so weit ans Festland heran, dass Sie Handyempfang haben, und rufen diese Nummer an.« Er reichte ihr einen Zettel. »Er wird Ihnen helfen.« Er zögerte. »Ich habe beschlossen, diese Informationen öffentlich zu machen.«

»Dann wird die Kacke aber am Dampfen sein.«

»Es gibt keine andere Möglichkeit. Die Welt muss das erfahren.« Ford legte Abbey freundschaftlich eine Hand auf die Schulter und blickte auf sie herab. Das schwarze Haar stand ihr wirr vom Kopf ab, und die grauen Augen sahen ihn fest an. »Versprechen Sie mir, dass Sie auf der Insel bleiben und sich versteckt halten. Fahren Sie nicht mit dem Boot herum. Sie haben genug Vorräte für eine ganze Woche.«

»Machen wir.«

Er drückte ihre Schulter. »Viel Glück, Abbey. Sie waren eine großartige Assistentin. Es tut mir leid, dass Sie in all das mit hineingezogen wurden.«

Abbey schnaubte. »Kein Problem, ich klaue gern Autos und werde beschossen.«

Er wandte sich ab, und sie sah zu, wie er den Steg entlangging, über den Kai und hoch zur Straße. Gleich darauf verschwand seine große, hagere Gestalt um eine Kurve, und sie fühlte sich plötzlich auf seltsame Weise einsam.

»Tja, da geht er hin, Mr. CIA-Agent«, sagte Jackie. »Du hast noch nicht mit ihm geschlafen?«

»Jackie, lass das. Er ist doppelt so alt wie ich. Du hast nur Sex im Kopf.«

»Wer nicht?«

Sie legten ab, und Jackie zündete einen Joint an, sobald sie aus dem Hafen heraus waren. Abbey fuhr langsam und genoss den Abend. Vor ihnen ragte der massige Umriss von Monroe Island auf, mit Bäumen bedeckt. Die leichte Dünung brach sich an Cutters Nubble, einem Riff hinter der Südseite der Insel, und das Brausen war so gleichmäßig wie ein überlautes Uhrwerk. Abbey machte einen großen Bogen um das Riff, und als sie um die Insel kamen, ging der buttergelbe Vollmond über dem Meer auf. Ein Grüppchen Lummen auf dem Heimweg flog schnell und tief übers Wasser dahin wie Kugeln, während weit über ihnen ein Fischadler zu seinem Nest zurückkehrte, einen noch zappelnden Fisch in den Klauen.

»Mann, sieh dir das an«, sagte Jackie, die den Vollmond im Osten bestaunte. »Sieht aus, als könnte man ihn beinahe berühren.«

Abbey gab langsam Gas, drehte am Steuer und nahm Kurs auf die Muscle Ridge Islands, eine Reihe schwarzer Buckel am Horizont, vier Meilen weit entfernt. Alles wirkte so friedlich, so perfekt, so zeitlos … Es erschien ihr unwirklich, dass irgendwo da oben auf einem fernen kleinen Mond eine Waffe stehen könnte, die gerade jetzt auf die Erde zielte. Und dass dies alles im Bruchteil einer Sekunde vernichtet werden könnte.

Der Krater
cover.html
haupttitel.html
navigation.html
chapter1.html
chapter2.html
chapter3.html
chapter4.html
chapter5.html
chapter6.html
chapter7.html
chapter8.html
chapter9.html
chapter10.html
chapter11.html
chapter12.html
chapter13.html
chapter14.html
chapter15.html
chapter16.html
chapter17.html
chapter18.html
chapter19.html
chapter20.html
chapter21.html
chapter22.html
chapter23.html
chapter24.html
chapter25.html
chapter26.html
chapter27.html
chapter28.html
chapter29.html
chapter30.html
chapter31.html
chapter32.html
chapter33.html
chapter34.html
chapter35.html
chapter36.html
chapter37.html
chapter38.html
chapter39.html
chapter40.html
chapter41.html
chapter42.html
chapter43.html
chapter44.html
chapter45.html
chapter46.html
chapter47.html
chapter48.html
chapter49.html
chapter50.html
chapter51.html
chapter52.html
chapter53.html
chapter54.html
chapter55.html
chapter56.html
chapter57.html
chapter58.html
chapter59.html
chapter60.html
chapter61.html
chapter62.html
chapter63.html
chapter64.html
chapter65.html
chapter66.html
chapter67.html
chapter68.html
chapter69.html
chapter70.html
chapter71.html
chapter72.html
chapter73.html
chapter74.html
chapter75.html
chapter76.html
chapter77.html
chapter78.html
chapter79.html
chapter80.html
chapter81.html
chapter82.html
chapter83.html
chapter84.html
chapter85.html
chapter86.html
chapter87.html
chapter88.html
chapter89.html
chapter90.html
chapter91.html
chapter92.html
chapter93.html
chapter94.html
chapter95.html
chapter96.html
chapter97.html
chapter98.html
chapter99.html
chapter100.html
chapter101.html
chapter102.html
chapter103.html
info_autor.html
info_buch.html
impressum.html
hinweise.html