58

Aus dem Fenster? Sind Sie irre?« Abbey blieb in der Tür zum Badezimmer stehen, die Hände in die Hüften gestemmt.

Ford ignorierte sie. Er schob das billige Aluminiumfenster im Bad auf. Er wuchtete Abbeys Koffer hinaus, dann seinen eigenen. »Jetzt Sie.«

»Das ist doch verrückt.« Doch Abbey gehorchte, schob den Kopf vorneweg und wand sich aus dem Fenster. Ford reichte ihr Laptop und Festplatte und quetschte sich dann selbst durch. Sie waren jetzt hinter dem Hotel. Da waren eine von Unkraut überwucherte Fahrspur, ein Maschendrahtzaun, ein Entwässerungskanal und dann der große Parkplatz eines schmuddeligen Einkaufszentrums. Der Himmel war grau, und es nieselte leicht.

Abbey griff nach ihrem Koffer. »Und jetzt? Rufen wir ein Taxi?«

»Wir gehen in das Einkaufszentrum.«

»Das ist noch geschlossen.«

»Wir wollen nicht einkaufen. Kommen Sie einfach mit.«

»Warum laufen wir schon wieder davon?«, fragte Abbey. »Was haben Sie gemacht?«

»Später.«

Abbey folgte Ford über die Fahrspur. Er warf ihre Koffer und seine Aktentasche über den Zaun. »Los.«

»Das ist doch lächerlich.« Abbey krallte sich in den Zaun, kletterte hinüber und ließ sich auf der anderen Seite fallen. Ford kletterte ebenfalls darüber.

»Weiter, schnell.«

Er joggte über einen vermüllten Streifen Gras, sprang über den Abflussgraben und lief auf den Parkplatz zu. Abbey hörte Reifen quietschen, drehte sich um und sah einen gelben New Beetle die Fahrspur hinter dem Hotel entlangrasen. Mit kreischenden Reifen blieb er stehen, die Tür ging auf, ein Mann sprang heraus und kniete sich hin.

Ford packte sie am Arm und zerrte sie hinter einen geparkten Wagen. Sie hörte einen dumpfen Knall, und das Seitenfenster zersprang zu einem Scherbenregen.

»Heilige Scheiße!«

Ein weiterer dumpfer Schlag, als die nächste Kugel den Wagen traf.

»Unten bleiben. Vergessen Sie die Koffer. Folgen Sie mir.«

Ford huschte tief geduckt los, von Wagen zu Wagen. Gleich darauf hörte Abbey wieder Reifen quietschen, und der Beetle fuhr los. Sie konnte ihn auf die Hauptstraße zurasen sehen.

»Er kommt außen herum hierher«, sagte Ford. »Laufen Sie, und das meine ich ernst.«

Er sprintete über den Parkplatz dorthin, wo die Autos dichter beieinanderstanden. Sein Jackett flatterte hinter ihm her, und er hatte immer noch seinen Aktenkoffer in der Hand. Abbey rannte hinter ihm her. Sie blickte über die rechte Schulter zurück und konnte den gelben Beetle auf der Hauptstraße sehen. Mit quietschenden Reifen bog er auf den Parkplatz des Einkaufszentrums ab und donnerte auf sie zu.

»Runter.«

Sie duckten sich hinter einen zerbeulten alten Ford Pick-up, und Ford machte sich sofort am Türschloss zu schaffen. Schnell hatte er es geöffnet. »Rein da, unten bleiben.«

Abbey gehorchte, kroch zum Beifahrersitz und hielt den Kopf unterhalb des Fensters. Ford stieg neben ihr ein, schob den Aktenkoffer hinter den Sitz, klappte das Handschuhfach auf und wühlte darin herum. Er holte einen Schraubenzieher heraus, löste die Abdeckung am Zündschloss und legte den Zündschalter dahinter frei. Er steckte den Schraubenzieher hinein, drehte ihn – und der Wagen sprang an.

Abbey hockte mit eingezogenem Kopf auf dem Boden vor dem Beifahrersitz.

»Okay«, sagte Ford. »Festhalten und unten bleiben.«

Sie hörte den Motor brüllen, der Boden vibrierte, und der Wagen schoss los. Abbey wurde nach hinten geschleudert. Reifen quietschten, als der Truck abbog, und der Motor heulte schrill auf, als Ford das Gaspedal durchdrückte.

Sie hörte das Pop-pop von Schüssen und spürte, wie der Pick-up ins Schleudern geriet, hinten ausbrach, heftig in die Gegenrichtung schleuderte und weiterfuhr.

»O Gott!«, rief sie und versuchte, sich irgendwo festzuhalten.

»Tut mir leid.«

Ein weiteres fernes Pop-pop.

Mit kreischenden Reifen schlitterte der Pick-up seitwärts, prallte gegen ein Hindernis, das ihn in die Luft schleuderte, und landete dann mit einem fürchterlichen Krachen wieder auf den Reifen. Jetzt holperte und wackelte der Wagen entweder eine unbefestigte Straße entlang oder durch die Botanik, sie wurde hochgeschleudert, durchgeschüttelt, alles Mögliche hüpfte und kullerte um sie herum.

»Sie können jetzt hochkommen.«

Abbey hielt sich fest, zog sich hoch und fiel auf den Sitz. Tatsächlich, der Pick-up raste über ein Feld auf einen Bahndamm zu. Ford bog ab und folgte parallel zu den Schienen einem Feldweg, der nach einem knappen Kilometer auf eine erhöhte, unbefestigte Landstraße stieß, die den Bahndamm querte. Er jagte den Wagen die Böschung hoch, schlitterte herum, überquerte die Schienen und raste mit etwa achtzig, neunzig Sachen die unbefestigte Straße entlang.

»Abbey, sehen Sie nach, ob wir ihn abgehängt haben.«

Abbey drehte sich um. Sie sah nichts außer der Straße, dem großen Stoppelfeld und in der Ferne einen durchbrochenen Zaun und den Feldweg, von dem sie gekommen waren. Abbey glaubte, am Straßenrand gerade noch einen gelben Fleck erkennen zu können.

»Er ist weg.«

»Großartig.« Ford fuhr langsamer, und bald erreichten sie eine geteerte Straße. Er bog ab.

»Herr im Himmel«, sagte sie und zog sich eine alte Fritte aus dem Haar.

Zum ersten Mal konnte sie sich in dem Wagen umsehen. Der alte Pick-up stank nach schalem Zigarettenrauch und saurer Milch. Sie war furchtbar schmutzig, denn auf dem Boden häuften sich Essensreste, Verpackungen und Müll. Sie kamen an einem Schild vorbei, das auf die Interstate hinwies, und bald rollten sie bequem dahin.

»Das gefällt mir nicht«, sagte Abbey. »Das gefällt mir überhaupt nicht.«

»Es tut mir aufrichtig leid, Abbey. Ich bringe Sie in Sicherheit, jetzt sofort.«

»Ich kündige. Dieser Job ist beschissen. Ich will nach Hause.«

»Das geht noch nicht. Es tut mir leid.«

»Haben wir gerade diesen Pick-up gestohlen? Oder ist das eine dumme Frage?«

»Beide Male ja.«

Sie schüttelte den Kopf und wischte sich die Augen, die unerklärlicherweise voller Tränen standen. »Das ist ja wie in einem schlechten Film.«

»Ja.«

»Und, wo fahren wir hin?«

»Weiß ich noch nicht genau. Ich bringe Sie irgendwohin, wo Sie absolut sicher sind, und lasse Sie dort, bis ich dieses Problem aus der Welt geschafft habe.«

Abbey richtete sich auf, kramte im Handschuhfach herum, fand eine Packung Taschentücher und putzte sich die Nase. »Mein iPod war in dem Koffer.«

»Das ist im Moment Ihr geringstes Problem.«

»Aber meine ganzen Songs!«

»Ich muss Sie in Sicherheit bringen. Ich denke da an eine Hütte in New Mexico, die in der Vergangenheit sehr nützlich war …«

»Sie wollen bis New Mexico fahren? In einem gestohlenen Wagen? Das schaffen wir nie.«

»Haben Sie denn eine bessere Idee?«

»Ja, habe ich. Der Familie meiner Freundin Jackie gehört eine Insel vor der Küste von Maine mit einer Fischerhütte darauf. Die hat eine kleine Solaranlage, Regenwassertonne – der perfekte Ort, um eine Weile zu verschwinden.«

Der Wagen summte die Interstate entlang. »Und Jackie?«

»Sie kommt mit. Sie ist in Ordnung. Und sie kennt das Meer und unsere Boote wie sonst niemand.«

Ford wechselte die Spur und nahm die nächste Ausfahrt. »Und wie kommen wir zu dieser Fischerhütte?«

»Wir borgen uns das Boot meines Vaters und fahren nachts raus.«

»Das könnte funktionieren«, sagte Ford. »Aber, Abbey, Ihnen ist doch klar, dass ich Sie eine Weile dort allein lassen muss, bis ich diese Sache geklärt habe? Ich kann nicht bleiben. Sie werden ganz auf sich allein gestellt sein.«

»Ich verstecke mich nur zu gern. Es macht überhaupt keinen Spaß, wenn Leute auf einen schießen.«

»Gut. Dann fahren wir nach Maine.«

»Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, Ihnen das zu sagen«, begann Abbey und holte tief Luft. »Ich habe auf dieser NPF-Festplatte etwas ziemlich Abgefahrenes entdeckt.«

Ford sah sie erstaunt an. »Wie haben Sie denn die geknackt?«

»Ich habe das Passwort erraten. Sie werden es nicht glauben – da sind Fotos von irgendeinem Ding auf Deimos drauf. Einem unnatürlichen Ding. Und es ist sehr alt. Corso hat es in der Beschriftung als Deimos-Maschine bezeichnet.«

Ford starrte sie an. »Ach, kommen Sie.«

»Ach, kommen Sie doch selber. Da ist eine ganze Serie von Aufnahmen von dem Ding. Auf dem Grund eines Kraters namens Voltaire, halb im Schatten versteckt, kaum zu sehen. Das ist irgendeine Art Maschine. Im Ernst.«

»Es könnte eine natürliche geologische Formation sein. Oder ein wissenschaftlicher Scherz, ein Streich.«

»Unmöglich.«

Ford sah sie an, und seine hellblauen Augen blickten durchdringend in ihre. »Wie sieht das Ding aus?«

»Es ist ein rundes Ding wie ein Rohr, ein Zylinder, oder vielleicht die Öffnung zu einem Tunnel. Es sind ein paar Kugeln daran befestigt. Es ist halb unter Staub begraben.«

Ford starrte sie an. »Moment mal. Wollen Sie damit sagen, dass das Ding außerirdisch ist?«

»Genau das will ich damit sagen.«

Der Krater
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