97

Abbey stellte sich hinter Simic, als die mit ihrem Mac online ging und diverse Datenbanken nach den Echtzeit-Orbitaldaten von Deimos durchsuchte.

»Der Mars steht am sichtbaren Himmel, und Deimos befindet sich davor«, sagte sie. »Ideale Bedingungen, um zu, äh, telefonieren.« Simic tippte auf der Tastatur und kritzelte dann von Hand ein paar Berechnungen auf ein Stück Papier. Sie schrieb noch die astronomischen Koordinaten ab und brachte das Stück Papier hinüber zu einer uralten Tastatur vor einem konvexen Monitor.

»Wie geht das?«, fragte Abbey.

»Ganz einfach. Ich gebe nur die Himmelskoordinaten ein, und der Computer berechnet die Position relativ zum Horizont und richtet die Antenne dorthin aus.« Sie klapperte mit langen Fingern auf der Tastatur herum. Der Bildschirm forderte ein Passwort, sie gab es ein. Schließlich stand sie auf, ging zu einem grauen Panel mit zahllosen Schaltern und betätigte ein paar davon. Einen Augenblick lang geschah gar nichts. Dann kreischte Metall, Elektromotoren summten, und die riesige Schüssel begann sich auf einem gut geölten Getriebe zu bewegen. Sie neigte sich so langsam aufwärts, dass die Bewegung kaum wahrzunehmen war. Die knirschend ineinandergreifenden Getriebe und metallische, quietschende Geräusche erfüllten das Innere der Kuppel und übertönten vorübergehend den Lärm des Sturms. Mehrere Minuten vergingen, bis die Schüssel mit einem Klonk stoppte. Simic tippte auf der Tastatur herum, las eine Reihe von Zahlen ab und lehnte sich zurück.

»Okay. Sie ist ausgerichtet.«

»Und wie schicke ich jetzt eine Nachricht?«

Simic überlegte kurz. »Wir benützen eine spezielle Frequenz, um direkt mit den Satelliten zu kommunizieren. Hauptsächlich geht es dabei um die Kalibrierung, aber wir haben sie auch damals benutzt, als wir eine der Bodenstationen für die Saturnmission waren. Ich denke, diesen Kanal könnten wir benutzen.«

Sie hielt inne. Abbey glaubte, vielleicht einen Hauch von Sympathie, wenn nicht gar Interesse zu sehen, der über das skeptische Gesicht der Frau huschte.

»Möchten Sie eine Sprachnachricht senden … oder, äh, eine schriftliche Botschaft?«

»Schriftlich. Falls das Ding antwortet, können Sie die Antwort empfangen?«

»Falls es antwortet …« Sie schwieg kurz. »Ich würde davon ausgehen, dass dieses ›außerirdische Artefakt‹ klug genug wäre, auf derselben Frequenz zu antworten, und auch in demselben ASCII-Code. Angenommen natürlich, es kann Englisch lesen und schreiben.« Sie räusperte sich vielsagend. »Wenn ich fragen darf … sind Sie irgendeine religiöse Sekte?«

Abbey begegnete ihrem Blick. »Nein, aber ich kann verstehen, wie Sie darauf kommen.«

Simic schüttelte den Kopf. »Ich frage ja nur.«

»Können Sie eine Antwort empfangen?«

»Ich richte die Antenne für den Duplexbetrieb ein. Falls eine Nachricht zurückkommt, wird sie automatisch auf diesem Drucker da ausgedruckt. Wir brauchen Papier.« Sie wandte sich an Fuller. »Bringst du mir bitte einen Stoß Papier aus dem Schrank da drüben, Jordy?«

»Klar«, sagte Fuller.

»Ich hole es«, sagte Jackie, ging an Fuller vorbei und zog den großen Schubkasten heraus. Sie nahm einen dicken Stapel Papier und brachte ihn Simic.

»Das dürfte für die Alien-Version von Krieg und Frieden reichen«, bemerkte Simic trocken und legte das Papier in den Drucker ein.

»Wenn Sie die Nachricht senden«, sagte Abbey, »dann unbedingt mit voller Sendeleistung. Der Mars ist viel weiter weg als ein geostationärer Kommunikationssatellit.«

»Ist mir klar«, sagte Simic. Ihre Finger ließen die Tastatur klappern, sie überprüfte die Schalter und Regler an der alten Metallkonsole, justierte ein paar Drehregler und lehnte sich dann zurück. »Alles bereit.«

»Gut.« Abbey nahm ein Blatt Papier und kritzelte zwei Wörter darauf. »Das ist die Nachricht.«

Simic nahm sie und starrte lange darauf hinab. Dann hob sie die grauen Augen und sah Abbey durchdringend an. »Sind Sie sicher, dass das eine gute Idee ist? Angenommen, es stimmt, was Sie sagen, dann scheint mir das eine extrem gefährliche oder unselige Botschaft zu sein.«

»Ich habe meine Gründe«, entgegnete Abbey.

»Also gut.« Sie drehte sich auf ihrem Bürosessel herum, legte die Finger auf die Tastatur und zögerte. Dann nickte sie, tippte die Nachricht aus zwei Wörtern und drückte auf Enter. Sie stand auf, stellte ein paar Schalter um, blickte prüfend auf ein Oszilloskop und legte einen Hebel um.

»Die Nachricht ist raus.« Sie setzte sich wieder hin.

Die Sekunden verstrichen. Das Brausen des Sturms füllte den Raum. »Tja«, sagte Fuller sarkastisch, »da oben klingelt wohl das Telefon, aber es geht keiner dran.«

»Der Mars liegt zehn Lichtminuten entfernt«, erwiderte Abbey. »Es dauert mindestens zwanzig Minuten, bis eine Antwort kommt.«

Sie bemerkte, dass Simic sie neugierig und mit einem Funken Respekt in den Augen ansah.

Abbey hielt den Blick auf eine alte Uhr gerichtet, die über der Konsole vor sich hin tickte. Alle standen reglos da: ihr Vater, Jackie, Fuller. Der Sturm rüttelte an der alten Kuppel. Das hörte sich noch schlimmer an, wie ein Ungeheuer, das mit seinen Klauen scharrte und auf die Kuppel schlug, um hineinzugelangen. Während sie zusah, wie die Zeiger über das Zifferblatt wanderten, drängten sich Zweifel in ihre Gedanken. Die Nachricht war ganz falsch, vielleicht sogar gefährlich. Gott allein mochte wissen, was sie auslösen könnte. Und jetzt würden sie gewaltigen Ärger bekommen, denn was sie getan hatten, konnte man als bewaffnete Übernahme einer staatlichen Einrichtung und als Geiselnahme bezeichnen. Das Boot ihres Vaters lag auf dem Meeresgrund, und ihn würde man als Rädelsführer anklagen, als denjenigen, der die Opfer mit einer Waffe bedroht hatte – ein schweres Verbrechen. Sie hatte ihr eigenes Leben ruiniert, das ihrer Freundin und ihres Vaters. Um einer Nachricht willen, die gar nicht ankommen oder womöglich schreckliche, nie beabsichtigte Folgen haben würde.

Der Minutenzeiger auf der Wanduhr lief weiter.

Vielleicht hatte Jackie recht gehabt. Sie hätten es der Regierung überlassen sollen, sich um das Problem zu kümmern. Ford war in Washington und ohne Zweifel schon dabei, alles in Ordnung zu bringen. Obendrein war die Nachricht idiotisch, der Plan viel zu simpel, das konnte nicht funktionieren. So eine total verrückte Nachricht, verdammt. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?

»Jetzt sind es zwanzig Minuten«, sagte Fuller mit Blick auf seine Armbanduhr. »Und E.T. ruft nicht zurück.«

In diesem Moment begann der staubige alte Drucker zu rappeln.

Der Krater
cover.html
haupttitel.html
navigation.html
chapter1.html
chapter2.html
chapter3.html
chapter4.html
chapter5.html
chapter6.html
chapter7.html
chapter8.html
chapter9.html
chapter10.html
chapter11.html
chapter12.html
chapter13.html
chapter14.html
chapter15.html
chapter16.html
chapter17.html
chapter18.html
chapter19.html
chapter20.html
chapter21.html
chapter22.html
chapter23.html
chapter24.html
chapter25.html
chapter26.html
chapter27.html
chapter28.html
chapter29.html
chapter30.html
chapter31.html
chapter32.html
chapter33.html
chapter34.html
chapter35.html
chapter36.html
chapter37.html
chapter38.html
chapter39.html
chapter40.html
chapter41.html
chapter42.html
chapter43.html
chapter44.html
chapter45.html
chapter46.html
chapter47.html
chapter48.html
chapter49.html
chapter50.html
chapter51.html
chapter52.html
chapter53.html
chapter54.html
chapter55.html
chapter56.html
chapter57.html
chapter58.html
chapter59.html
chapter60.html
chapter61.html
chapter62.html
chapter63.html
chapter64.html
chapter65.html
chapter66.html
chapter67.html
chapter68.html
chapter69.html
chapter70.html
chapter71.html
chapter72.html
chapter73.html
chapter74.html
chapter75.html
chapter76.html
chapter77.html
chapter78.html
chapter79.html
chapter80.html
chapter81.html
chapter82.html
chapter83.html
chapter84.html
chapter85.html
chapter86.html
chapter87.html
chapter88.html
chapter89.html
chapter90.html
chapter91.html
chapter92.html
chapter93.html
chapter94.html
chapter95.html
chapter96.html
chapter97.html
chapter98.html
chapter99.html
chapter100.html
chapter101.html
chapter102.html
chapter103.html
info_autor.html
info_buch.html
impressum.html
hinweise.html