30
Um drei Uhr am selben Nachmittag atmete Mark Corso ein wenig auf. Als er heute Morgen zur Arbeit gekommen war, am Tag nach dem katastrophalen Meeting, war er erleichtert gewesen, keine Kündigung auf seinem Schreibtisch vorzufinden. Den ganzen Tag lang hatte er wie verrückt an den SHARAD-Daten gearbeitet, und jetzt waren sie fertig. Und man sollte sich zwar nicht selbst loben, aber das Ganze war sehr gut gemacht, sagte er sich: Die Diagramme und alles andere waren säuberlich geordnet, zusammengestellt, gebunden und mit Hüllen versehen, die Darstellungen waren scharf und klar, sämtliches Rauschen beseitigt, alles digital aufgearbeitet.
Es hatte keinen hässlichen Besuch von Derkweiler gegeben, kein warnendes Memo, keinen Anruf. Er hatte den Mann nicht einmal gesehen. Er hatte einen Fehler mit der Periodizität gemacht, aber er war sicher, dass ihm bei den Gammastrahlungsdaten kein Fehler unterlaufen war. Die waren echt, er wusste es ganz genau, und vielleicht würde Chaudry sich die Sache noch einmal durch den Kopf gehen lassen und erkennen, dass sie einen näheren Blick wert war.
Mark Corso klemmte sich das Päckchen mit den Unterlagen unter den Arm, schluckte schwer und machte sich den Flur entlang auf den Weg zu Derkweilers Büro. Ein schnelles Klopfen, ein »Herein«, und er schob beklommen die Tür auf. Da saß Derkweiler an seinem Schreibtisch, mit beginnenden Schweißflecken an den Achseln. »Sie sind es also, Corso.«
»Ich habe die SHARAD-Daten«, sagte Corso mit so viel kühler Würde, wie er aufbringen konnte. Er tätschelte die dicke Mappe unter seinem Arm, schluckte schwer und sagte das Sprüchlein auf, das er vorher eingeübt hatte. »Ich möchte mich für die Präsentation gestern entschuldigen. Ich habe mich von den Gammastrahlungsdaten mitreißen lassen. Ich kann Ihnen versichern, dass das nicht wieder passieren wird.«
Derkweiler sah ihn an. Er starrte nicht direkt, sah ihm nur fest ins Gesicht, mit rot geränderten Augen. Er sah aus, als hätte er die Nacht durchgemacht.
»Mr. Corso … tja, ich bedauere, Ihnen das sagen zu müssen.« Derkweiler seufzte und legte die Hände flach auf den Tisch. »Gestern habe ich alle nötigen Unterlagen eingereicht, um … Ihr Beschäftigungsverhältnis hier zu beenden. Es tut mir sehr leid.«
Corso war wie vom Donner gerührt und fand keine Worte.
»Wir sind als staatliches Institut sehr bürokratisch, und es dauert eine Weile, bis eine Kündigung dieses System durchlaufen hat. Ich bedauere, dass Sie warten mussten. Aber ich glaube, wir wissen wohl beide, dass hieraus nichts werden kann.« Sein Blick blieb fest und kühl auf Corso gerichtet.
»Aber Dr. Chaudry …?«
»Dr. Chaudry und ich sind uns in dieser Frage vollkommen einig.«
Wieder versuchte Corso zu schlucken. Irgendwie gelang es ihm nicht, seinen Körper in Bewegung zu setzen. Er war wie der Blechmann, total erstarrt.
»Tja«, sagte Derkweiler und klatschte leicht auf den Schreibtisch. »Das ist alles. Sie haben Zeit bis heute Abend. Es tut mir aufrichtig leid, aber ich bin sicher, dass es so am besten ist.«
»Aber … wollen Sie die SHARAD-Daten noch?«, fragte Corso, ehe er merkte, wie bescheuert sich das anhörte.
Ein leicht gereizter Ausdruck huschte über Derkweilers Gesicht, als er den Arm ausstreckte und die Mappe annahm. »Sie haben wohl nicht gehört, was ich auf dem Meeting gesagt habe – dass ich die SHARAD-Daten selbst aufbereiten würde. Ich habe die ganze Nacht durchgearbeitet.« Er streckte den Arm über dem Papierkorb aus und ließ die Mappe hineinfallen. »Jetzt brauche und will ich sie nicht mehr.«
Corso spürte, wie ihm ob dieser unnötig gemeinen Geste das Blut ins Gesicht schoss. Derkweiler starrte ihn weiterhin an. »Ist noch etwas, oder sind wir hier fertig?«
Corso drehte sich steif um und ging hinaus.
»Machen Sie bitte die Tür hinter sich zu.«
Corso schloss die Tür und blieb zitternd auf dem Flur stehen. Schock und Unglauben wurden zu einer körperlichen Übelkeit und schlugen dann in Wut um. Das war falsch. Das war ungerecht. Seine Arbeit in den Abfalleimer zu werfen … Das war nicht recht. Er konnte nicht einfach darüber hinweggehen.
Er drehte sich um und öffnete die Tür – und ertappte Derkweiler dabei, wie der über den Papierkorb gebeugt seine Mappe aus dem Abfall fischte.
Das brachte das Fass zum Überlaufen. Corsos Mund öffnete sich wie von allein, Worte kamen ihm über die Zunge, als spräche jemand anderes sie aus. »Sie … Sie fettes Stück Scheiße.«
»Wie bitte?«
»Sie haben mich schon verstanden.« Wer sprach hier gerade? Was redete er denn? Corso war in seinem ganzen Leben noch nie so wütend gewesen.
Derkweiler lief rot an und ließ die Mappe wieder in den Papierkorb fallen. Dann lehnte er sich auf seinem Sessel zurück, faltete die Hände hinter dem Kopf und präsentierte damit das ganze Ausmaß seiner Achselnässe. »Sie wollen sich also mit Pauken und Trompeten verabschieden. Verstehe. Haben Sie sonst noch etwas zu sagen?«
»Ja, allerdings. Es erstaunt mich, Sie überhaupt hier an der NPF zu sehen, geschweige denn in leitender Position. Sie sind das fleischgewordene Mittelmaß. Sie und Chaudry. Ich habe Ihnen einen Beweis dafür geliefert, dass sich etwas Gefährliches, möglicherweise Katastrophales auf oder nahe dem Mars abspielt. Die Wahrheit starrt Ihnen ins Gesicht, aber Sie sehen sie immer noch nicht. Sie sind nicht besser als die Inquisitoren, die Galileo verurteilt haben.«
»Ach, jetzt sind Sie also Galileo?« Ein kaltes, hartes Lächeln zeichnete Fältchen in Derkweilers Gesicht und war plötzlich wieder verschwunden. »Tja, Corso, nun, da Sie Ihrem Ärger Luft gemacht haben, gehen Sie bitte in Ihr Büro, und bleiben Sie dort. Sie haben fünfzehn Minuten Zeit, Ihren Schreibtisch auszuräumen. Dann wird der Wachdienst Sie hinausbegleiten. Verstanden?«
Er wirbelte auf dem Drehsessel herum, wandte Corso den fetten Rücken zu und begann auf seiner Tastatur zu tippen.
Fünfzehn Minuten später ging Corso zum Haupteingang der NPF hinaus, begleitet von zwei Männern vom Sicherheitsdienst. Er trug einen kleinen Karton mit seinen bescheidenen Habseligkeiten bei sich: seine gerahmten Diplome vom MIT, einen Drusen-Briefbeschwerer und ein Foto von seiner Mutter.
Als er in den heißen Sonnenschein trat und in das Meer glitzernder Autos auf dem riesigen Parkplatz eintauchte, hatte Mark Corso eine Erleuchtung. Er blieb stehen und ließ beinahe seinen Karton fallen. Ihm war eine Kleinigkeit, eine scheinbare Nebensächlichkeit eingefallen: Deimos, einer der winzigen Monde des Mars, umrundete den Planeten alle dreißig Stunden. Das erklärte die Anomalie.
Die Gammastrahlenquelle war nicht auf dem Mars – sie war auf Deimos.