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Abbey Straw brachte zwei Körbe frittierte Muscheln und zwei Margaritas an den Tisch, an dem das Paar aus Boston saß.

Sie trug alles auf und fragte: »Kann ich Ihnen noch etwas bringen?«

Die Frau musterte ihren Drink, und ihre langen Fingernägel klimperten nervtötend am Glas. »Ich sagte, ohne Salz.« Sie hatte einen starken Bostoner Akzent.

»Entschuldigung, ich bringe Ihnen eine neue.« Abbey nahm das Cocktailglas vom Tisch.

»Und glauben Sie nicht, Sie könnten das Salz einfach abwischen, ich schmecke es trotzdem«, sagte die Frau. »Ich will eine frische Margarita.«

»Selbstverständlich.«

Als sie gerade gehen wollte, zeigte der Mann auf den Korb auf seinem Teller und fragte: »Ist das alles, was man hier für vierzehn Dollar bekommt?«

Abbey drehte sich wieder um. Der Mann wog mindestens hundertzwanzig Kilo, das Golfhemd in der grünen Hose war bis zum Äußersten gedehnt, er hatte eine Glatze am Oberkopf und mitten darin ein Speckgrübchen. Dicke schwarze Haare wucherten aus seinen Ohren.

»Ist etwas nicht in Ordnung?«

»Vierzehn Dollar für zehn Muscheln? Das ist eine Unverschämtheit.«

»Ich hole Ihnen einen Nachschlag.«

Auf dem Weg in die Küche hörte sie den Mann, sehr laut, zu seiner Frau sagen: »Ich hasse diese Läden, die glauben, sie könnten die Touristen ausnehmen.«

Abbey betrat die Küche. »Ich brauche noch Muscheln für Tisch fünf.«

»Was, haben sie sich beschwert?«

»Gib mir einfach die Muscheln.«

Der Koch ließ drei kleine Muscheln auf ein Tellerchen fallen.

»Mehr.«

»Mehr bekommen sie nicht. Sag denen, sie sollen sich ins Knie ficken.«

»Ich habe gesagt, mehr

Der Koch legte zwei Muscheln nach. »Scheiß doch auf die.«

Abbey griff an ihm vorbei, schöpfte ein halbes Dutzend Muscheln aus dem Öl, häufte sie auf einen Teller und wandte sich zum Gehen.

»Ich hab dir schon mal gesagt, dass du an meinem Herd nichts anrühren sollst.«

»Fick dich ins Knie, Charlie.« Sie ging wieder hinaus und stellte den Teller vor dem Mann auf den Tisch. Er hatte die zehn Muscheln schon aufgegessen und machte ohne Pause mit dem neuen Teller weiter. »Und mehr Remoulade.«

»Kommt sofort.«

Ein großer Mann hatte sich in ihren Servicebereich gesetzt. Auf dem Weg zur Küche ging sie bei ihm vorbei und brachte ihm die Karte. »Kaffee?«

»Ja bitte.«

Während sie ihm eine Tasse einschenkte, hörte sie die nörgelnde Stimme des Mannes aus Boston, die sich über die Unterhaltung der anderen Gäste erhob. »Die glauben ja, wir wären alle reich. Man kann förmlich hören, wie sie sich die Hände reiben, wenn es Sommer wird und die Leute aus Boston hierherkommen.«

Abbey war einen Moment lang abgelenkt, und der Kaffee, den sie einschenkte, schwappte über den Rand der Tasse.

»Oh, Entschuldigung, tut mir leid.«

»Nicht so schlimm«, sagte der große Mann. »Wirklich.«

Sie sah ihn zum ersten Mal richtig an. Kantiges Gesicht, kräftige Hakennase, markanter Kiefer – mager, aber stark auf seltsam angenehme Art. Als er lächelte, veränderte sich sein Gesicht dramatisch.

»Die Remoulade? Heute noch?«, kam es laut vom Nebentisch.

Der große Mann nickte und zwinkerte ihr zu. »Kümmern Sie sich lieber erst um die.«

Sie eilte davon und kam mit der Remoulade zurück.

»Wurde aber auch Zeit«, sagte der Dicke, riss das Schüsselchen vom Tisch und löffelte Sauce über die Muscheln.

Sie kehrte zu dem großen Mann zurück, den Notizblock in der Hand. »Was darf ich Ihnen bringen?«

»Ich hätte gern das Haddock-Sandwich.«

»Etwas zu trinken, außer dem Kaffee?«

»Wasser, danke.«

Sie zögerte und warf einen raschen Blick hinüber zum Tisch der Bostoner, ob die noch etwas wollten, aber die beiden waren mit Essen beschäftigt. Er folgte ihrem Blick. »Tut mir leid, das mit denen da.«

»Nicht Ihre Schuld.«

»Wohnen Sie hier?«

Das war in letzter Zeit ein bisschen zu oft vorgekommen. »Nein«, sagte sie, »ich wohne draußen auf der Halbinsel.«

Er nickte nachdenklich. »Verstehe. Dann müssen Sie den Meteor vor ein paar Monaten ja gut gesehen haben?«

Abbey wurde sofort argwöhnisch, ein wenig erschrocken über die unerwartete Frage. »Nein.«

»Sie haben den Schweif des Meteors nicht gesehen und auch keinen Überschallknall gehört?«

»Nein, gar nichts, nein.« Sie hatte das Gefühl, dass sie zu heftig protestiert hatte, und überlegte, womit sie ihre Reaktion überspielen könnte. »Und das heißt nicht Meteor, sondern Meteorit.«

Der Mann lächelte erneut. »Die beiden Begriffe bringe ich immer durcheinander.«

Rasch fuhr sie fort: »Möchten Sie noch etwas zu Ihrem Sandwich? Salat? Pommes?«

»Nein danke.«

Sie gab die Bestellung auf und eilte an den Tisch mit den beiden Leuten aus Boston zurück, die mit dem Essen fertig waren. »Kann ich Ihnen noch etwas bringen?«

»Was denn, wollen Sie den Tisch so schnell wieder frei haben?«

Die Frau sagte: »Ich finde es unmöglich, wenn sie einen so zum Gehen drängeln.«

Sie sah an dem anderen Tisch nach dem Rechten und servierte das Haddock-Sandwich.

»He, wo bleibt unsere Rechnung?«, erklang es von dem Bostoner Tisch. »Sehen Sie denn nicht, dass wir fertig sind?«

Sie zückte ihren Block, ging zur Kasse, gab alles ein, druckte den Beleg aus, kehrte zum Tisch zurück und legte die Rechnung hin. »Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.«

Der Mann hielt die Rechnung hoch und schaute demonstrativ auf die Summe. »Die reinste Abzocke.« Er zählte Geld auf den Tisch, eine Menge Kleingeld und ein paar zerknitterte Scheine, und ließ alles auf der Rechnung liegen.

Der große Mann ging wenig später und hinterließ ihr ein so großzügiges Trinkgeld, dass es den Betrag ausglich, der auf dem Bostoner Tisch gefehlt hatte. Als sie seinen Tisch abräumte, fragte sie sich, warum er ihr so gezielte Fragen über den Meteoriten gestellt hatte. Der Mann wirkte ganz nett, aber er war irgendwie zwielichtig – ja, entschieden zwielichtig.

Der Krater
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