14

Randall Worth machte sein Beiboot am Schwimmsteg des Dorfes fest, schulterte seinen Rucksack und stapfte die Rampe zum Kai hinauf, wobei er den Kopf tief gesenkt hielt. Es war fünf Uhr nachmittags – vielleicht würde er niemandem begegnen. Er spürte den Klumpen des alten Rohm-44er-Revolvers, den er immer an Bord hatte und der nun in seinem Gürtel steckte.

»He, Worth.«

Scheiße. Worth blickte auf und sah den letzten Menschen, den er sehen wollte – Ernie Jura, der die Hummerfischer-Genossenschaft leitete. Der Mann stand in Regenkleidung und Gummistiefeln da. Jura hatte ihn schon in der Highschool schikaniert und seither nicht damit aufgehört.

»Ich brauche das Geld, das du für den Diesel schuldig bist, dreihundertzwölf Dollar. Ich kann dir nichts mehr geben, bis ich es habe.«

»Ich habe doch gesagt, ich zahle schon.« Worth spürte, wie seine Glieder vor Wut zitterten. Jura, da war er sicher, gehörte zu den Dreckskerlen, die seine Fallen losgeschnitten hatten.

Jura bedachte ihn mit einem harten Blick aus schmalen Augen. »Das will ich hoffen.«

Worth drängte sich an ihm vorbei und gab dem spontanen Impuls nach, ihn im Vorbeigehen leicht mit der Schulter anzurempeln. Jura packte ihn am Kragen, riss ihn herum, zerrte Worths Gesicht dicht vor seine fleischige Visage und hauchte ihn mit seinem Bierdunst an.

»Hör zu, du Stück Dreck. Du hast gelogen, als du diesen Diesel gekauft hast – du hast behauptet, du hättest das Geld in bar dabei. Also bezahl endlich meinen Treibstoff, du Schwanzlutscher, oder ich verknote dir die Eier zu einer Schleife, hänge sie dir um den Hals und schick dich damit zum Tanzkurs.« Er stieß Worth weg, kehrte ihm den Rücken zu und sagte über die Schulter hinweg: »Ich will das Geld. Vor morgen Mittag. Hast du das kapiert, Worthless?«

Worth griff unter seine Jacke und schloss die Hand um den Griff des Revolvers. Jura stand immer noch mit dem Rücken zu ihm und arbeitete wieder an einem der Drehkräne – er beugte sich darüber und löste eine Schraube.

»Arschloch«, sagte Worth.

Jura ignorierte ihn. Worth begann langsam die Waffe aus dem Gürtel zu ziehen, überlegte es sich dann aber anders. Er würde sich später um Jura kümmern. Im Moment hatte er Wichtigeres zu tun. Und er brauchte mehr Diesel, von irgendwoher, irgendwie.

Er ging den Kai entlang zu seinem Pick-up auf dem Parkplatz und tastete in seiner Tasche nach dem Schlüssel. In New Harbor und Muscongus bekam er auch keinen Treibstoff mehr. Um aufzutanken, hätte er mit dem Boot bis nach Boothbay fahren müssen, und auch da würde er vermutlich nicht anschreiben können. Er brauchte den Diesel hier, jetzt sofort, wenn sein Plan aufgehen sollte.

Er steckte grob den Zündschlüssel ins Schloss und drehte ihn herum. Der Motor hustete, stotterte und sprang endlich an. Er überprüfte die Tankanzeige: genug, um es bis nach Waldoboro zu schaffen.

Er legte vorsichtig den ersten Gang ein und hörte das Getriebe scheppern. Ruckelnd fuhr er vom Parkplatz und bog nach rechts auf die Route 32 ab, in Richtung Waldoboro.

Das mit weißen Brettern verschalte Haus stand an der Hauptstraße, mit durchhängendem Vordach, abblätternder Farbe und einem aufgebockten Autowrack im Vorgarten. Es wurde allmählich dunkel, und in der Scheune neben dem Haus brannte Licht. Worth parkte in der Einfahrt, stieg aus und ging zur Seitentür der Scheune. Er klopfte laut, zweimal. Er fühlte sich schon viel besser, seit er während der Fahrt ein bisschen Meth geraucht hatte. Seine Beine fühlten sich nicht mehr so wackelig an, seine Gedanken dafür klarer, stärker.

»Wer ist da?«, kam eine Stimme von drinnen.

»Worth.«

Das Schloss klickte. Die Tür ging auf, und Devin Doyle stand in einem Maleroverall vor ihm, ein Bier und eine Zigarette in der Hand. Das Haar stand ihm vom Kopf, er hatte sich nicht rasiert; er war einer dieser Dreißigjährigen, die aussahen wie achtzehn. Und sich auch so verhielten.

»He, Randy, alter Affe, was gibt’s?«

Worth ging rein, und Doyle zog die Tür hinter ihm zu und schloss sie mehrfach ab. Hinten in der Scheune stapelte sich gestohlenes Mobiliar, unter dreckigen Planen versteckt.

»Bier?«

Worth nahm sich ein Bud Light und ließ sich auf das schäbige Sofa fallen. Mit einem tiefen Zug trank er die halbe Dose aus. Dann stellte er sie auf den Tisch und schloss die Augen.

Doyle sackte in einem Sessel zusammen. »He, Randy, hast du schon die neuen Fotos von Britney mit der rasierten Muschi gesehen? Ich hab sie auf meinem Computer, du wirst nicht glaub-«

»Ich will meinen Anteil abholen«, sagte Worth.

»He, Mann, was soll der Scheiß? Deinen Anteil?«

»Du hast mich schon verstanden.« Langsam öffnete er die Augen und starrte Randy an.

»Ich hab’s dir doch gesagt: Du wirst bezahlt, wenn ich bezahlt werde.« Doyle sog eine letzte Lunge voll Rauch ein, blies ihn wieder aus und drückte die Zigarette in einer Muschelschale neben seinem Sessel aus. Er tastete nach dem Bier, fand es und hob es an.

»Ich habe diesen Kram schon vor einer Woche von Ripp Island geholt«, sagte Worth. »Ich bin ein Risiko eingegangen. Ich habe meinen Job erledigt. Jetzt will ich mein Geld.« Er spürte, wie ein Muskel an seinem Hals zu zucken begann.

»Wir wissen noch gar nicht, wie groß dein Anteil ist, ehe ich den Mist verhökert habe. Antiquitäten sind nicht wie Fernseher. Ich habe dir gesagt, dass es eine Weile dauern könnte, und du warst einverstanden.«

Worth schloss die Augen wieder und sagte ganz cool: »Tut mir leid. Ich hab keine verdammte Weile. Ich habe dir Antiquitäten für hunderttausend Dollar gebracht, und ich will mein Geld.« Er riss die Augen auf und stampfte mit einem gestiefelten Fuß auf den Boden. »Capisce?«

»He, Randy, erzähl mir keinen Scheiß. Wenn ich Glück hab, kriege ich zehn dafür – und du bekommst die Hälfte, wie abgemacht. Wenn jemand dafür bezahlt hat. Okay?«

»Das ist nicht okay, du Sack.«

Doyle verstummte. Randy griff nach der Bierdose, leerte sie, zerdrückte sie in der Hand und warf sie wie eine Frisbeescheibe nach Doyle. Sie prallte von seiner Schulter ab. »Hörst du nicht zu?«

Der Muskel an seinem Hals hüpfte wie ein Känguru.

»Hör mal, Randy«, sagte Doyle, »wir hatten eine Abmachung. Ich arbeite daran, einen Käufer zu finden. Bis Montag habe ich schon was für dich.«

Worth sah, dass Doyle schwitzte. Er hatte Angst.

»Zehntausend, sagst du? Schön. Ich will meine Hälfte. Jetzt. Als Anzahlung.«

Doyle breitete die Hände aus. »Ich habe keine fünftausend, Herrgott noch mal.«

Worth stand vom Sofa auf, und seine Brust schwoll vor Selbstvertrauen wegen der Wirkung, die er auf Doyle hatte. An seinem Hals zuckte es jetzt heftig, was Doyle eine Scheißangst einjagte. Er konnte sehen, wie Doyle sich hektisch nach einer Waffe umsah. »Denk nicht mal dran«, sagte Worth, rückte vor und ließ Doyle nicht aus dem Sessel aufstehen.

»Gib mir Zeit bis Montag.«

»Ich will meine fünftausend. Sofort.« Er trat noch dichter an Doyle heran und schob ihm praktisch seinen Schwanz ins Gesicht.

»Ich habe sie nicht.« Doyle drückte sich an die Sessellehne.

Worth schlug ihm auf den Kopf, einmal, ein zweites Mal.

»Scheiße! Randy, was zum Teufel soll denn das?« Er versuchte aufzustehen, doch Worth stieß ihn zurück. Er stand breitbeinig direkt vor ihm, saß fast auf ihm, hielt ihn in dem Sessel gefangen. Verdammt, allmählich fühlte er sich wie Tony Soprano.

Er griff hinter sich, zog den 44er aus dem Gürtel und bohrte den Lauf in Doyles Ohr. »Hol mir mein verdammtes Geld.«

»Randy, bist du irre? Du bist auf Meth, total durchgedreht …«

Worth schlug ihn wieder, diesmal ins Gesicht, von links und rechts.

»Hör auf!« Doyle versuchte, ihn abzuwehren, hob die mageren Arme vors Gesicht, duckte sich, wich ihm aus. »Bitte!«

»Wo ist deine Brieftasche? Gib mir deine Brieftasche.« Er verpasste ihm noch eine Ohrfeige.

Mit einer zitternden Hand, die andere immer noch schützend erhoben, griff Doyle in die Tasche seines Overalls und holte seine Brieftasche heraus. Die kleine Schwuchtel weinte doch tatsächlich. Worth nahm die Brieftasche, klappte sie auf und fischte den Inhalt des Geldscheinfachs heraus. Ein ganzes Bündel Fünfziger. Er ließ die Brieftasche zu Boden fallen und zählte die Scheine. »Na, sieh mal einer an. Achthundert Dollar.«

Er tat so, als wolle er sich auf Doyle stürzen, und der Mann krümmte sich und riss die Arme hoch. Worth lachte. »Schwanzlutscher.« Er faltete die Scheine zusammen und stopfte sie in seine hintere Hosentasche.

Dann drückte er Doyle den Lauf seines Revolvers an die Stirn und versetzte ihm damit einen leichten Schubs. »Hör zu, Arschgesicht. Am Montag komme ich wieder. Ich will, dass mich hier viertausendzweihundert Dollar erwarten, in einem Umschlag mit einer hübschen Entschuldigungskarte.«

»Wir hatten eine Abmachung«, wimmerte Doyle. Sein Gesicht war nass wie das einer kleinen Rotznase.

»Jetzt haben wir eine neue Abmachung.«

Der Krater
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