Brett bohrt dünne Bohlen

Am Sonntag überschlugen sich die Schlagzeilen: Pop-Titan erleuchtet? Pitt Brett auf dem Schmusetrip, und: Gehirnwäsche brutal: Brett bohrt dünne Bohlen – waren noch die harmlosesten Überschriften in den Boulevardblättern.

Ein Online-Medienmagazin prophezeite der Show den Einbruch der Einschaltquoten. Der alte Wolf hat seine Zähne verloren – die Kunden laufen davon – so die Überschrift.

 

Im Durchschnitt erreichen die Castings rund sechs Millionen Zuschauer, was zu einem hervorragenden Marktanteil von etwa zwanzig Prozent führt. In der neuen Staffel liegen die Reichweiten nur noch bei viereinhalb Millionen Zuschauern – einer Quote, von der andere Sendungen immer noch träumen.
 Schon seit einigen Monaten befürchten die Macher der Show, dass die Marktanteile noch weiter einbrechen könnten. Die anderen Fernsehanstalten versuchen, diesen Trend zu beschleunigen, setzen attraktive Sendungen in Konkurrenz zu WSDS in der Primetime und holen auf.
 Ein weiterer Einbruch gestern. WSDS startete mit sage und schreibe fünf Millionen Zuschauern – eine absolute Traumzahl! Doch nach fünfzehn Minuten halbierte sich der Marktanteil. Der Grund: Das ungewöhnliche Auftreten des Jurychefs Pitt Brett. Die Sendung wurde nach einer halben Stunde abgebrochen. Brett wurde ins Krankenhaus gebracht. Sein Verhalten könnte mit seiner Entführung vor einer Woche in Zusammenhang stehen, die noch immer nicht aufgeklärt ist.

 

Im Gästebuch des Senders forderten die WSDS-Fans vehement die bösen Sprüche zurück. Ähnliches war auf der Homepage des Pop-Titanen zu lesen. Alle wollten ihren Pitt Brett so gemein und verletzend wie er gewesen war!

Bis zum Mittag hatte ich meinen Artikel fertig. Ich hatte nicht mehr zu bieten als das, was die Agenturmeldungen hergaben. Bevor ich den Text endgültig im Redaktionssystem freigab, klingelte ich Jessica von Neuenfels an. Sie saß in ihrem Büro und übte sich in Krisenbewältigung.

»Hier ist der Teufel los«, klagte sie. »Ohne Pitt ist WSDS so spannend wie der Musikantenstadl. Wenn der nicht wieder auf die Füße kommt, können wir die Sendung einstampfen. Was haben diese Leute bloß mit Brett angestellt?«

»Er wollte sich doch gestern mit einem Hypnotiseur beraten«, erinnerte ich mich. »Was ist dabei herausgekommen?«

»Nichts. Pitt hat den Mann nach fünf Minuten rausgeschmissen und ihn als ›geldgeilen Quacksalber‹ bezeichnet.«

»Dann war er gestern Abend ja noch ganz der Alte. Verraten Sie mir noch, in welcher Klinik er ist?«

»In keiner mehr. Er hat sich selbst entlassen. Seine Freundin hat ihn abgeholt. Ich hab keinen blassen Schimmer, wie das hier weitergehen soll. War sonst noch was, Frau Grappa? Ich würde mich gern weiter um die Beschwerdebriefe kümmern.«