Wie reinigt man eine Seele?
Die Pressemitteilung war wenig gehaltvoll. Der Tod einer Frau wurde gemeldet, die durch Gewalteinwirkung gegen den Hals zu Tode gekommen sei. Aber ich wusste ja schon mehr.
Das Foto, das ich von dem Brief gemacht hatte, war brauchbar.
Der Garten ist der Ort, in dem andere frühere Zweifler und ich eine Weile verbringen werden, um rein und offen zu werden … Nein, das war keine Metapher. Das klang eher nach einem Umerziehungslager für Sektenkritiker.
Ich rief Schnack an und gab ihm einen Kurzbericht der Ereignisse und wies auf Monikas Brief hin. Er zickte nicht, sondern gab mir sechzig Zeilen.
»Aber geben Sie bitte acht bei der Wortwahl, Grappa«, ermahnte er mich. »Diese Leute haben eine exzellente Rechtsabteilung.«
»Dezenz ist mein zweiter Vorname, Herr Schnack.«
WER ERWÜRGTE MONIKA W.? – GIBT ES EINE VERBINDUNG ZU DER KIRCHE DER ERLEUCHTETEN?
Monika W. ist tot. Ihre Leiche
wurde in einem Wald bei Bierstadt gefunden. Ersten Ermittlungen
zufolge wurde die 32-Jährige erwürgt. Der endgültige
Obduktionsbericht ist noch nicht da, doch steht schon fest, dass
die junge Frau schwanger war.
Es gibt einen Anlass zu der Frage, ob die Kirche der
Erleuchteten mit diesem Todesfall in Zusammenhang steht. Das letzte
Lebenszeichen von Monika W. ist ein Brief an den Vater, den dieser
erst nach ihrem Tod erhielt. Dieses Schreiben liegt unserer Zeitung
vor. Darin heißt es unter anderem: ›Lieber Vater! Mach dir keine
Sorgen. Es geht mir gut. Ich habe meinen Garten gefunden und er ist
hier, in der Kirche. Ich bin angekommen im Paradies und werde den
Weg weitergehen, bis zur völligen Befreiung meiner unsterblichen
Seele.‹
Jetzt ist Monika tot und ihr Vater Arnold W. verzweifelt.
Seine Tochter ist eine ganz normale junge Frau gewesen,
lebenslustig und voller Pläne, so schildert er sie. Das änderte
sich, als sie vor drei Jahren in Kontakt mit der Kirche der
Erleuchteten kam – hineingezogen von der eigenen Schwester. Danach
war nichts mehr wie früher.
Ich machte eine Pause und suchte die Visitenkarte von Robert Fuchs, dem Operierenden Thetan. Da er meinen Anruf sowieso erwartete, gab es keinen Grund, es nicht jetzt zu tun.
Ich drückte die Tasten und es meldete sich jemand.
»Hallo?«
»Spreche ich mit Herrn Fuchs?«
»So ist es.« Er hatte eine angenehm sonore Stimme.
»Grappa vom Tageblatt. Ihr Herr Hold gab mir Ihre Visitenkarte und richtete aus, Sie wollten sich entschuldigen. Wofür eigentlich?«
»Das ist jetzt ganz nebensächlich geworden. Mir hat nicht gefallen, wie Sie über Monika Weber berichtet haben. Die Mitglieder unserer Kirche sind frei wie jedermann. Niemand braucht sie gewaltsam aus unseren Fängen zu reißen oder vor uns zu retten, auch ein Vater nicht.«
»Sie ist tot«, warf ich ein.
»Ein schreckliches Ereignis.« Er seufzte.
»Wann haben Sie Monika Weber zum letzten Mal gesehen?«
»Bei einem Kommunikationskurs. Ich kannte sie nur flüchtig, wir sind ja so viele. Sie besuchte ab und zu die Mission, um ihre Emotionsskala aufzubessern. Sie war auf einem guten Weg. Ihr Tod trifft uns alle bis ins Mark.«
»Frau Weber hat in einem Brief von einem Garten gesprochen, in dem sie sich befand. Anscheinend ein Garten, der Ihrer Kirche gehört. Gibt es so einen Ort und wo ist er?«, fragte ich.
Fuchs zögerte. »Möglicherweise meinte sie den Reinigungs-Rundown, dem sie sich gerade unterzogen hat, als sie von einem Garten schrieb.«
»Was ist das?«
»Der Reinigungs-Rundown spült die schädlichen Rückstände von Medikamenten, Drogen, Schadstoffen und Strahlung weg. Er ist das einzige Verfahren auf der Welt, mit dem man diese Rückstände aus dem Körper und dem Leben herausspülen kann. Ronny Hovart hat das Verfahren entwickelt.«
»Wie geht das?«
»Zum Rundown gehören immer wieder Saunagänge zum Ausspülen der Schadstoffe, Einnahme von Vitaminen und Niacin, das gegen radioaktive Strahlung schützt.«
»Ein strammes Programm für eine Schwangere«, pokerte ich.
Robert Fuchs atmete tief. »Frau Weber wollte es so. Ich denke, das war es. Sie betrachten uns nicht unvoreingenommen. Es wird sich schon herausstellen – Monika Webers Tod hat nichts mit unserer Kirche zu tun.«
»Na, da bin ich mal gespannt.«
»Sie können sich gern einmal unverbindlich bei uns umsehen, Frau Grappa. Mit den eigenen Augen schauen hilft oft gegen Vorurteile.«
»Vielleicht komme ich darauf zurück, Herr Fuchs.«
Ich beendete das Gespräch und schloss meinen Artikel mit den Sätzen:
Die Kirche der Erleuchteten räumt ein, dass die Tote die letzten Tage im Sektenzentrum verbracht hat – bei einem sogenannten Reinigungs-Rundown. Robert Fuchs, der den hohen Posten als Operierender Thetan in der Sektenhierarchie einnimmt, schildert diesen Prozess als eine Art Drogenentzug, dem sich Monika W. freiwillig unterworfen hat.
Ich speicherte den Artikel ab und gab Schnack Bescheid, dass ich fertig war. Kurze Zeit später erschien mein Artikel auf der Layoutseite der Zeitung.
Feierabend. Ich fuhr den Rechner runter, räumte meine Sachen zusammen und verließ das Büro.
Auf dem Parkplatz begegnete mir Margarete Wurbel-Simonis.
»Wie war’s denn beim Chef?«, fragte ich. Erst jetzt bemerkte ich, dass ihre Augen gerötet waren.
»Ich werde den Presserat trotzdem informieren. Der Brief ist bereits formuliert. Das Vorgehen von Herrn Biber und die Duldung dieses Vorgehens durch Herrn Schnack ist unseriös. Betroffenheitskoffer! Dass ich nicht lache.«
»Hat Schnack Ihnen gedroht?«
»Nicht direkt«, schniefte Wurbelchen. »Er meinte, dass er meine Arbeit künftig sehr genau beobachten wird. Und der Betriebsrat hat nur blöde geguckt.«
Dann liest wenigstens einer ihre Artikel, dachte ich. Laut sagte ich: »Ich bin dabei. Geben Sie mir den Brief und ich unterschreibe ihn mit.«
Zu Hause wählte ich Kleists Festnetznummer. Schon nach dem dritten Klingeln meldete sich eine Frauenstimme. »Hier Billerbeck bei Kleist.«
»Hier Grappa. Ich möchte Herrn Dr. Kleist sprechen.«
»Er ist nicht zu Hause. Kann ich etwas ausrichten?« Die Stimme war hell und piepsig.
»Nein, danke. Sind Sie seine Frau?«
»Nein.« Sie kicherte. »Nur eine Freundin. Kann ich wirklich nichts bestellen?«
Ich legte auf.
Im Kühlschrank war noch eine angebrochene Flasche Weißwein. Schnell goss ich ein Glas ein und stürzte den Wein hinunter. Clara wohnte bei ihm. Ich hatte es geahnt.
Einige Minuten stiefelte ich durch das Zimmer, malte mir zärtliche Szenen zwischen Kleist und Clara aus, rief mich zur Ordnung. Wir führten eine offene Beziehung.
Nach einem zweiten Glas Wein wählte ich Kleists Handynummer. Er meldete sich nach dem vierten Läuten.
»Maria!«, stieß er hervor.
»Wo bist du?«, fragte ich.
»Ich arbeite.«
»Ist was passiert?«
»Ja. Wir haben den Mörder von Monika Weber festgenommen.«
Mehr erfuhr ich nicht.
Lange fand ich keinen Schlaf.