Erleuchtete Mahlzeiten

»Frau Grappa, wie siehst du denn aus?«

Anneliese Schmitz war mal wieder brutal ehrlich.

»Ich habe eine harte und unruhige Nacht hinter mir«, brummte ich, »und ich möchte jetzt ein kräftiges Frühstück mit allem Zipp und Zapp.«

»Ach? War der nette Mann denn nicht da?«, forschte sie.

»Er war nicht da, sonst hätte ich ihn mitgebracht«, antwortete ich.

»Dann musser bestimmt arbeiten«, meinte sie. »Oder?«

»Frau Schmitz, bring mir bitte den Kaffee, sonst fall ich um.«

»Irgendwas ist doch, Frau Grappa.« Sie blieb stehen und sah mich durchdringend an.

»Verdammt noch mal!«, brüllte ich. »Ist das hier eine Bäckerei oder eine psychologische Beratungsstelle?«

»Ist ja schon gut, Frau Grappa. Kaffee kommt sofort.«

Sie schob ab.

Komm runter, Grappa, ermahnte ich mich und atmete einige Male durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus. Eine Atemübung, die angeblich entspannt. Leider nicht mich. Die Szene mit der halb nackten Clara hatte sich als Endlosfilmschleife in meinem Hirn installiert und spielte sich ab, ohne dass ich einen Knopf drücken musste. Friedel! Du hast Besuch. Die liebe Frau Grappa. Zieh dir doch kurz was an.

»Der Kaffee – bitte schön!«, sagte Frau Schmitz förmlich.

»Tut mir leid, dass ich eben gebrüllt habe«, lenkte ich ein. »Aber deine Fragerei kann ich heute nicht ab.«

»Musste ja nicht. Ich dachte nur, wir wären …«, sie stockte, »… befreundet.«

»Sind wir ja auch, Frau Schmitz.« Ich legte den Arm um sie. »Deshalb sag ich es dir ja auch. Der nette Mann kommt nicht mehr.«

»Isser tot?«

»Nein, nein! Wir sind nicht mehr zusammen. Seit gestern Abend.«

»Och. Das ist schade. Ich dachte, dass du endlich den Deckel gefunden hast, der auf dich Pott passt.«

»Vielleicht bin ich ein Wok«, griff ich den alten Singlefrauen-Scherz auf. »Und jetzt will ich nur eins: Frühstück.«

»Gottchen, das Rührei brennt an!« Die Bäckerin rannte in die Küche.

 

In der Konferenz schlug ich vor, der Frage nachzugehen, ob es eine Verquickung von Mystic Food und der Kirche der Erleuchteten gab.

Schnack zögerte.

Ich stellte dar, dass das Thema mit der Entführung und damit der Castingshow zusammenhing.

Da akzeptierte Schnack.

Bärchen Biber hatte das Haar mit viel Gel nach oben gestylt und daraus ein Brikett geformt. Er machte den Vorschlag, mit Pitt Bretts Freundin Kontakt aufzunehmen und über sie und ihr Leid eine Geschichte zu schreiben.

Schnack lehnte ab. »Das überlassen wir der Boulevardpresse, Herr Biber. Außerdem habe ich diese Dame schon in einigen Fernsehmagazinen gesehen und gehört. So etwas braucht die Welt nicht.«

Bärchen zog eine Schnute. Der Betroffenheitskoffer hatte ihn in Schnacks Gunst ganz nach hinten katapultiert. Wenigstens seine Kolumne Bibers Welt hatte der Chef ihm gelassen. Doch dort beschäftigte Bärchen sich mit Themen, die die Welt auch nicht brauchte: gestörte Telefonanschlüsse, die Messe Jagd und Hund und demolierte Spielgeräte im Norden der Stadt. Ein Lächeln zog über mein Gesicht.

 

Ich legte Pöppelbaums Foto auf meinen Schreibtisch. Die Art des Karomusters nannte man Glencheck. Ich hätte Glencheck eher einem britischen Buchhalter der Zwanzigerjahre zugetraut als einer modernen Kellnerin. Doch das Design kam wohl wieder in Mode.

Mystic Food gehörte Annabell Stickel – so sagte es mir das Handelsregister. Die Chefin als Schichtleiterin. Praktisch. Aber war Stickel tatsächlich auch die Ehefrau des Operierenden Thetans Robert Fuchs? Das musste ich noch klären.

Ich kramte die Visitenkarte des Erleuchteten heraus und wählte die Nummer des Sektenzentrums. Robert Fuchs war nicht im Haus. »Dann geben Sie mir bitte seine Frau. Annabell Stickel«, forderte ich.

»Frau Stickel ist ebenfalls nicht anwesend.«

Immerhin. Die Mystic Food-Chefin ging als Frau des Thetanen durch. Ich fuhr den Rechner hoch und begann zu tippen.

Mitten in der Arbeit klingelte mein Handy. Ich erkannte Kleists Nummer im Display. Ich drückte ihn weg und sperrte seine Telefonnummern.

Hoffentlich würde ich die Kontaktsperre durchhalten!

 

Eine Stunde später hatte ich meine Zeilen geschrieben.

 

BRETT-ENTFÜHRUNG: WELCHE ROLLE SPIELT DIE CATERING-FIRMA MYSTIC FOOD?

Was hat die Sekte Kirche der Erleuchteten zu verbergen? Sie hat Pitt Brett zu einer ›unterdrückerischen Person‹ erklärt und will jetzt nichts mit seiner Entführung zu tun haben. Sie bestreitet, den Bekennerbrief geschrieben zu haben. Unserer Zeitung liegen Informationen vor, dass die Sekte seit Jahren das Catering für die WSDS-Talentshows übernimmt. Die Firma Mystic Food gehört der Ehefrau des Sektenoberhaupts Robert F., seines Zeichens Operierender Thetan der Kirche. Auch am Tag der Entführung sorgte Mystic Food mit dreißig Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen für das leibliche Wohl der Jury und der Kandidaten.
 Das Tageblatt verfügt über ein Foto, das in dem Moment gemacht wurde, als die drei Entführer die Jury überfielen und den Pop-Titanen in ihre Gewalt brachten. Das Bild zeigt eine Kellnerin mit Schürze, wie sie die Tür zum Juryraum öffnen will. Wir fragen: Wer ist diese Frau? Was hat diese Frau gesehen? Steckt sie mit den Entführern unter einer Decke?
 Leider war die Chefin der Firma nicht zu einer Stellungnahme bereit.

 

Ich schilderte noch einmal die Umstände der Entführung und garnierte den Bericht mit Fotos, auch mit dem Bild von der Kellnerin im Glencheckrock.

Wieder ging ich die Liste der Mitarbeiter durch, die mir Jessica von Neuenfels gemailt hatte. Doch der Klick in meinem Hirn blieb aus. Keiner der Namen sagte mir etwas.