Eine unverhoffte Einladung

Eine neue Woche. Anneliese Schmitz hatte das türkische Mädchen aus ihrem Haus gefragt, ob sie sich bei ihrem Casting von einer Reporterin begleiten lassen würde. Birsen Aslan hatte zugestimmt.

»Das Mädel glaubt schon jetzt, dass se ’n Superstar ist«, erzählte die Bäckerin. »Ihr Vatta dreht echt am Rad, der arme Kerl.«

»Will er nicht, dass seine Tochter bei Brett singt?«

»Türke eben. Die halten doch auf Ehre und so. Die Kleine malt sich an, sieht schon aus wie ein Farbkasten und denkt nur noch an die Trällerei. Hier ist die Telefonnummer von der Aslan.« Sie schob mir einen Zettel hin.

»Dann werde ich mein Glück mal versuchen.«

»Und wie isses sonst so, Frau Grappa? Kommst du mit deinem neuen Chef klar? Wer von euch wird überleben?«

Der Kaffee duftete und die Brötchen waren wie immer noch warm.

»Wer gewinnt, ist noch nicht raus«, entgegnete ich. »Jedenfalls ist er kein Peter Jansen. Und er hat sich einen Goldjungen mitgebracht, den er groß rausbringen will. Auf meine Kosten.«

»Goldjunge?«

»Ein hübsches Bengelchen«, erklärte ich. »Der Chef nennt ihn Bärchen.«

»Ist er etwa vom anderen Ufer?«

»Könnte sein. Aber das wäre ja kein Grund, nicht mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich mag schwule Männer. Eigentlich.«

Anneliese Schmitz griente. »Du sachst das so, dass ich dir glaube.«

»Ich muss zur Arbeit, Frau Schmitz. Packst du mir noch eine Knüppelstange ein? Und vier Mandelhörnchen für alle Fälle?«

»Sicher.«

Die Bäckerin griff ins Regal und tütete das Brot ein: viel Roggen und eine schwarze Kruste. Und dann die Hörnchen mit den Schokoecken, die eigentlich wie Mondsicheln aussahen und nicht wie Hörner.

Ich zahlte, nahm die Tüten und fuhr zur Arbeit.

Vor dem Eingang des Pressehauses trat ein Mann auf mich zu. Ich traute meinen Augen nicht: Egon Hold, mein Verfolger.

»Sie wagen sich noch in meine Nähe?«, fragte ich.

»Ich soll Ihnen etwas ausrichten. Von meinem Boss.«

»Ronny Hovart?«

»Mein Boss heißt Robert Fuchs. Er möchte sich bei Ihnen entschuldigen. Und er würde gern mit Ihnen sprechen. Hier!«

Er reichte mir eine Visitenkarte: Robert Fuchs, Operierender Thetan der Kirche der Erleuchteten, daneben die Handynummer und das achtendige Emblem der Sekte.

Hold trollte sich.

Was war das denn? Der Vorturner der Sekte lud mich zu einem gepflegten Small Talk ein?

Operierender Thetan – das klang eher nach einem chirurgischen Wunderheiler. Ob Jesus wohl heutzutage auch Visitenkarten verteilen würde? Jesus – Gottessohn und Erlöser.

Ich steckte die Karte ein. Ja, ich würde anrufen. Irgendwann. Das Weiße im Auge des Feindes zu sehen, hatte mich schon immer gereizt.

 

Im Großraumbüro pulsierte das reale Arbeitsleben. Stella, Susi und Sarah hatten gerade die Bekanntschaft mit Babette Keucher-Blum gemacht, der neuen Chefsekretärin. Dieses Ereignis wurde nun durchdiskutiert.

»Hast du ihren Pullover gesehen?«, tuschelte Sarah. »Viel zu warm für die Jahreszeit. Außerdem sieht er aus wie eine Pferdedecke.«

Stella lachte. »Und sie lispelt.«

Susi wollte nicht abseitsstehen und teilte den anderen mit, dass Babette Keucher-Blum trotz ihres Doppelnamens unverheiratet sei und allein lebe.

»Kein Wunder«, entfuhr es Sarah. »So, wie die sich gibt. Wer will denn schon so ein Teil?«

»Aber ihr seid doch auch unverheiratet und lebt allein«, mischte ich mich ein. »Oder bin ich nicht mehr auf dem Laufenden?«

Die drei Grazien bewarfen mich mit bösen Blicken.

»Die bekommt mehr Geld als wir«, machte Stella weiter. »Sie ist eine ganze Gehaltsgruppe über uns – als gehobene Sachbearbeiterin. Fragt sich nur, was die besser kann als wir.«

Wahrscheinlich alles, dachte ich und sagte: »Das wird sie euch bestimmt noch zeigen. Und jetzt hört auf mit der Hetzerei.«

»Hetzerei?« Sarah war empört.

»Neudeutsch heißt das Mobbing.« Simon Harras war zu uns getreten. »Und Mädels können das ganz besonders gut. Nicht, dass ich damit Erfahrung hätte. Mich lieben ja alle hier. Besonders du, Grappa-Baby.«

Er legte seinen Kopf auf meine Schulter und ich kraulte ihm kurz das schüttere Haar.

»Danke, Grappa«, schnurrte er. »Wer war eigentlich der Typ, der dich grad angesprochen hat? Ich hab euch vom Fenster aus gesehen.«

»Der Typ macht die schmutzige Arbeit für diese Erleuchteten. Er hat versucht, mich über die Autobahn zu jagen. Ich habe Anzeige erstattet. Und jetzt will sich sein Oberguru bei mir entschuldigen.«

»Gut so. Brauchst du Hilfe?«

Ich war gerührt. »Du bist ja süß. Aber der Kerl tut mir nichts mehr.«

 

Ich verzog mich in meine Einzelzelle, sah meine Mails durch, aber es war nichts Besonderes dabei – nur die Akkreditierung, die mich berechtigte, an der Castingshow als Pressevertreterin teilzunehmen.

Ich legte die Visitenkarte mit der Telefonnummer des Sektenchefs auf meinen Schreibtisch. Schmoren lassen, dachte ich.

In fünf Minuten war Konferenzzeit. Ich trabte wieder in den Großraum. Pöppelbaum und Harras lasen Zeitung. Der Hausmeister räumte Müll weg. Die Sekretärinnen waren noch immer in Form, hatten aber ein neues Thema.

»Demi Moore macht das auch«, wusste Susi. »Allein ihre Gesichtsbehandlung kostet pro Woche 2.200 Euro. Hab ich in der Blöd gelesen. Hier.«

Sie griff nach dem Hetzblatt und las vor: »Bei dem Verfahren werden die tieferen Hautschichten erwärmt, während die Hautoberfläche gekühlt wird. Dadurch wird die Kollagen-Produktion stimuliert. Ob das wohl wirklich hilft?«

»Das kriegt ihr preiswerter«, meinte ich. »Steckt den Kopf erst in den Backofen und dann ins Gefrierfach. Dabei bleibt zudem das Hirn schön frisch.«

»Das mach uns mal vor, Grappa«, konterte Stella. »Deine Bäckerin wirft für dich den Backofen bestimmt gern an.«

Der war nicht schlecht, dachte ich, die Mädels machen Fortschritte.