Bärchen ist schon unterwegs
Eine halbe Stunde später war das Gelände abgeriegelt. Die Kunde von Pitt Bretts Entführung hatte blitzschnell die Runde gemacht. Der Pop-Titan war mitten aus seiner eigenen Show geklaut worden!
Und ich war die Heldin, die es zuerst entdeckt hatte, denn ich hatte den Goldring in Erinnerung gehabt. Brett hatte ihn bei dem Interview im Hotel getragen.
Niemand durfte die Hallen verlassen, niemand durfte sie betreten – außer den Ermittlern und den Kollegen von der Spurensicherung. Die Journalistenmeute hatte sich vervielfacht, aber niemand wurde durchgelassen.
Kripobeamte vernahmen die beiden anderen Juroren. Die Männer hatten sie mit Waffen bedroht, gefesselt und geknebelt. Das machte gleich die Runde.
»Wayne, deine Fotos sind Gold wert«, stellte ich fest. »Besonders das letzte – das hat nämlich keiner außer dir.«
Mein Handy klingelte.
Schnack. »Geht es Ihnen gut, Frau Grappa?«, fragte er.
»Klar«, entgegnete ich, überrascht von seiner plötzlichen Fürsorge. »Wir sind mitten in der Geschichte drin. Haben sozusagen alles im Kasten. Wir kommen nur nicht weg. Die Polizei lässt niemanden raus.«
»Ich schicke Ihnen Verstärkung«, kündigte mein Chef an. »Herr Biber ist schon so gut wie unterwegs.«
»Ihr Bärchen muss aber draußen bleiben«, prophezeite ich. »Die lassen niemanden aufs Gelände.«
»Wie auch immer. Ich bin jedenfalls im Haus und bereite alles für eine Sonderausgabe vor. Herr Biber wird sie mit Inhalt füllen. Er stellt einfach die Fakten zusammen. Es kommt ja viel über die Agenturen. Und wenn er nicht weiterweiß, ruft er Sie an. Das Extrablatt bringen wir als Samstagsspätausgabe.«
»Das macht Sinn, ich komme hier ja nicht weg und kann nichts schreiben«, gestand ich ein.
»Schön, dass Sie einverstanden sind. Ihren Augenzeugenbericht können Sie morgen in aller Ruhe schreiben. Der kommt am Montag auf die erste Seite der regulären Ausgabe. Können Sie uns Fotos zusenden?«, wollte Schnack noch wissen. »Gibt es dort einen Rechner, den Sie nutzen können? Oder können Sie Handyfotos verschicken?«
»Nein, wir haben keinen Internetzugang. Informationssperre nach draußen. Und mein Handy kann keine Fotos machen.«
Ich beendete das Gespräch.
»Seit wann ist dein Handy nicht fototauglich?«, staunte Wayne.
»Seit eben«, grinste ich. »Bärchen muss ohne mich klarkommen.«
Der Monitor erhellte sich wieder. Der Sender hatte eine Live-Sondersendung aus dem Boden gestampft. Ein Reporter stand vor einem Übertragungswagen, im Hintergrund war die große Westfalenhalle zu sehen.
»Bisher wissen wir nur, dass Pitt Brett, Chefjuror von WSDS, spurlos verschwunden ist. Er wurde vermutlich während einer Castingpause von drei Männern verschleppt. Neben mir Hauptkommissar Holger Murr, Pressesprecher der Polizei. Was können Sie unseren Zuschauern mitteilen? Was unternimmt die Polizei, um Brett zu befreien?«
»Wir haben eine Ringfahndung eingeleitet. Herr Brett wurde nach Zeugenaussagen in ein Auto gezerrt. Dieses Fahrzeug suchen wir jetzt.«
»Die Täter trugen Masken. Pitt-Brett-Masken – ähnlich wie diese hier.« Ein Foto wurde eingeblendet. »Wie wollen Sie wissen, dass es wirklich Brett war?«, fragte der Reporter.
»Nach Zeugenaussagen trugen alle Täter diese Art Maske. Eine Person verlor ihre Maske, als die Täter ihr Opfer ins Fluchtfahrzeug verbrachten. Unter der Maske war aber auch das Gesicht von Pitt Brett. Das haben mehrere Zeugen beobachtet. Herr Brett wurde getragen. Augenscheinlich war er betäubt. Wir suchen einen hellen Geländewagen, dessen Kennzeichen mit Dreck unkenntlich gemacht worden ist.«
Hinter dem Reporter fuhr ein Wagen vor, den ich kannte. Friedemann Kleist rückte an. In dem Moment, in dem er ausstieg, bemerkte er den Übertragungswagen und war schon wieder aus dem Bild verschwunden.
Wayne hatte die Szene auch beobachtet. »Die Bullen schicken ihr bestes Personal«, lächelte er süffisant. »Kommt er, dich zu retten?«
»Höchstens vor der Langeweile, die sich gerade auftut. Geht das denn gar nicht weiter hier?«
»Gleich bekommst du doch eine Vorzugsbehandlung, Grappa-Baby.«
»Du auch, aber von mir«, drohte ich.
Mein Handy klingelte. Diesmal war es Bärchen Biber.
»Was können Sie mir sagen, Frau Grappa? Wie geht es Ihnen da drinnen? Und den anderen Jurymitgliedern und den Kandidaten?«
»Ganz gut so weit. Es ist nur ein bisschen öde hier«, antwortete ich. »Wir werden nach und nach alle vernommen, und das dauert.«
Kleist betrat den Raum, begleitet von zwei Kollegen. Er winkte mir kurz zu.
»Ich bin jetzt dran, Herr Biber. Bis später.« Ich drückte Bärchen weg.
»Können wir reden, Maria?«
»Sicher.« Wir verzogen uns an einen Stehtisch.
»Was hast du mitbekommen?«
Ich berichtete von den drei Männern, ihrem komischen Auftritt und dem goldenen Skarabäus-Ring.
»Gut beobachtet«, lobte er. »Durch deinen Anruf hast du uns eine Stunde geschenkt.«
»Habt ihr eigentlich den weißen Anzug gefunden?«, wollte ich wissen.
»Welchen Anzug?«
»Den vierten. Ich kann zwar nicht besonders gut rechnen, aber bis zehn komm ich klar. Also: Drei Männer mit Brett-Masken und weißen Anzügen kommen rein, bedrohen und fesseln zwei Juroren, packen sich den echten Brett und verschleppen ihn. Drei Männer also. Und drei Männer verlassen die Hallen. Zwei Entführer und Brett in ihrer Mitte. Wo ist der vierte Mann geblieben? Und sein Anzug?«
Der weiße Anzug wurde auf der Herrentoilette gefunden. Der dritte Entführer hatte sich locker unters Volk gemischt und war vermutlich längst über alle Berge.
»Wir haben bereits zu viele Leute nach Hause geschickt«, meinte Kleist. »Die, die nichts beobachtet haben. Darunter wird auch der dritte Täter sein, schätze ich. Wir haben zwar die Personalien aufgenommen, aber nicht alle hatten einen Ausweis dabei. Also müssen die Namen auch nicht stimmen. Ist dir sonst noch irgendetwas aufgefallen, was uns weiterbringen könnte?«
»Nee. Nur dass die Entführer Fantasie, Mut und den Schalk im Nacken haben müssen. Die Tanznummer nach dieser Schnulze von Last Eternity war grandios.«
»Du kannst übrigens gehen, wenn du willst«, sagte Kleist. »Du musst doch bestimmt noch arbeiten.«
»Erst morgen«, entgegnete ich. »Für die Montagsausgabe. Das Extrablatt macht ein Kollege.«
»Oh«, machte er. »Darf ich heute Abend auf ein Glas Wasser bei dir vorbeischauen?«
»Klar, Schnuggi. Wenn ich Wein trinken darf und du allein kommst«, säuselte ich.