Sonderkommission Superstar
Gut ausgeschlafen und emotional bestens aufgerüscht fuhr ich zur Redaktion. Ich mochte die Sonntagsdienste, wenn sich etwas Wichtiges ereignet hatte. Die Seiten wurden sonst meist mit Artikeln aus dem Stehsatz gefüllt. Aktuelle Wochenendereignisse dienten allein der Anreicherung. Aber diesmal war ja Bedeutendes passiert.
Auf meinem Schreibtisch lag die Sonderausgabe, die Bärchen Biber gestern fabriziert hatte. Er hatte sich auf das beschränkt, was über die Agenturen gelaufen war, und brav auf meinen Bericht in der morgigen Ausgabe hingewiesen:
Unsere Reporterin Maria Grappa hat die Entführung des Pop-Titanen hautnah miterlebt! Lesen Sie ihren Bericht in der Montagsausgabe des Bierstädter Tageblattes …
Auch die Pressemitteilung von Polizei und Staatsanwaltschaft fand ich vor. Es gab weder eine Spur von Pitt Brett noch von dem hellen Geländewagen. Selbstverständlich wurde auch der Bekennerbrief erwähnt und abgedruckt.
Die Kirche der Erleuchteten bestreitet, den Brief geschrieben zu haben. Zwar gebe es Auseinandersetzungen mit dem Geschädigten, doch mit der Entführung habe man nichts zu tun. Eine Hausdurchsuchung im Zentrum der Kirche hat keine Anhaltspunkte für eine Täterschaft erbracht. Die Ermittlungen laufen mit Hochdruck. Die Kreispolizeibehörde hat die Sonderkommission Superstar gegründet.
Pöppelbaum legte mir Ausdrucke seiner Fotos vor. Das Detail mit dem goldenen Skarabäus an Bretts Hand machte sich gut.
Ich betrachtete die Bilder ganz genau. Eines fiel mir auf. Es musste während der Pause entstanden sein, denn der Monitor war dunkel und es hielten sich nicht mehr viele Menschen in der Vorhalle des Juryraums auf.
»Weißt du noch, wann genau du dieses Foto gemacht hast? Waren die Entführer da schon in dem Juryraum?«
Der Bluthund überlegte. »Bei ihrem Einzug hab ich sie ja verpasst«, erinnerte er sich. »Du hast mir gesagt, ich soll sie beim Rauskommen ablichten. Das hab ich dann auch gemacht. Zwischen diesem Foto und dem danach liegen … Moment!«
Er schaute auf das Display seiner Kamera. »Hier hab ich es. Drei Minuten. Also müssen die Täter den Juryraum betreten haben, als ich dieses Bild geschossen habe. Aber warum fragst du, Grappa? Das Bild ist doch uninteressant, noch nicht mal auf dem Monitor ist was los.«
»Auf dem Monitor nicht«, entgegnete ich. »Aber hier!«
Ich deutete auf die Stelle der Aufnahme, an der eine Person zu sehen war: unscharf zwar, aber eindeutig als Frau zu erkennen. »Wer ist das?«
Pöppelbaum grübelte. »Keine Ahnung. Aber es scheint, dass sie die Tür zum Juryraum aufmachen will.«
»Genau, und wenn die Entführer im Raum waren und diese unbekannte Frau hineingegangen ist, muss sie doch was beobachtet haben, oder?«
»Eigentlich schon. Aber vielleicht hatten die Entführer von innen abgeschlossen und sie konnte gar nicht rein.«
»Wer hatte Zugang zu dem Juryraum?«, fragte ich. »Catering, Kandidaten, Maskenbildnerinnen, Produktionsmitarbeiter?«
»Die Kripo hat alle Beteiligten vernommen«, stellte Wayne fest. »Die haben das bestimmt schon geklärt.«
»Mag sein«, sagte ich unentschlossen. »Die Frau hat einen karierten Rock an, siehst du? Und darüber eine kleine weiße Schürze, wie sie Kellnerinnen tragen. Sie muss doch zu identifizieren sein.«
»Also, Grappa! Du suchst wieder die Nadel im Heuhaufen. Wenn die Frau drin war, dann weiß die Polizei das.«
»Du hast recht. Ich koch jetzt eine Kanne Kaffee und mach mich an meinen Artikel.«
WER VERSCHLEPPTE DEN POP-TITANEN? – BEKENNERBRIEF DER ERLEUCHTETEN!
Noch immer keine Spur von Pitt Brett: Der Pop-Titan (54) wurde während des Castings zu der Show Wir suchen dich, Superstar! von drei Männern entführt. Sie verschleppten ihn während einer Pause. Die drei Männer trugen Brett-Masken und weiße Anzüge (siehe Foto). Sie zerrten den Jurychef in einen hellen Geländewagen und fuhren davon. Zeugen haben die Szene beobachtet. Unserem Fotografen gelang es, die Entführung im Bild festzuhalten.
Ich stellte die Fotoserie in den Text. Die grinsenden Brett-Masken wirkten unheimlich – wie Figuren aus einem Horrorfilm. Dann das Close-up der schlaff herabhängenden Hand mit dem Goldring.
An der Authentizität eines »Bekennerbriefes«, der einige Stunden nach der Entführung bei der Polizei einging, haben die Ermittler erhebliche Zweifel. Fest steht aber, dass die Sekte das Entführungsopfer Brett bedroht hatte. Die Kirche der Erleuchteten hat jedoch inzwischen jede Beteiligung an der Straftat zurückgewiesen.
Abends gönnten sich Pöppelbaum und ich noch einen Absacker. In der Kneipe, in die wir zufällig hineingerieten, lief der Fernseher. Bretts Entführung beherrschte nach wie vor die Nachrichten. Aber mehr Informationen als ich hatte die Konkurrenz auch nicht.
Der WSDS-Sender hatte die Ausstrahlung des gestrigen Castings vorgezogen, um zeitnah Quote zu machen. Über die Bilder wurde ein Rolltext eingeblendet: Aktuell! Pitt Brett wurde entführt. Von ihm fehlt jede Spur! Alle News zum Thema hier bei uns!
»Da ist Birsen«, zeigte ich auf die Mattscheibe.
»Im Fernsehen kommt sie ja noch schlimmer als live«, stöhnte Pöppelbaum erschüttert.
»Ja klar, die Filmaufnahmen werden geschnitten, mit neuen Texten besprochen oder verfremdet. So werden die Kandidaten so richtig lächerlich gemacht.«
»Was machst du denn so?«, fragte Brett die nächste Kandidatin.
»Isch?«
»Ja, du.«
»Kochen, shoppen, quatschen und telefonieren«, antwortete die glutäugige Braut.
»Deine Stimme gehört auf ein Fahndungsplakat«, gab Brett einem anderen Kandidaten mit auf den Weg. Und schon wurde eine Grafik eingeblendet. Sie zeigte einen Steckbrief mit Bild und Namen des Kandidaten. Delikt: Musikfolter.
»Die sind echt hart«, meinte Wayne und bestellte noch ein Bier. »Viele Leute hätten Grund, dem Brett mal die Fresse zu polieren. Die tun mir echt leid.«
»Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Niemand wird gezwungen, dort vorzusingen. Die Jungs und Mädels machen mit dem Sender schließlich einen Vertrag«, erklärte ich. »Alle Rechte an Fotos, Videos und Tonaufnahmen gehen damit für immer und ewig auf den Sender über. Manche sind noch Jahre später eine Lachnummer als Klingelton oder in der x-ten Wiederholung in der Chartshow der peinlichsten Auftritte zu sehen.«
Ich schaute auf den Rolltext, der jetzt rot unterlegt war: Aktuell! Pitt Brett wurde gestern entführt. Von ihm fehlt jede Spur! Bekennerschreiben einer Sekte ist gefälscht. Alle News zum Thema hier bei uns!
»Die haben das Tageblatt online gelesen«, tippte Wayne.
»Wohl eher die Pressemitteilung. Ich bin sehr gespannt, wann Brett wieder auftaucht. Eins steht jedenfalls fest: Was Besseres konnte dem Sender nicht passieren. Die Quote von WSDS wird in astronomische Sphären schnellen.«
Am Ende der Show konnten die Zuschauer dreitausend Euro gewinnen. Da aber die Götter den Schweiß vor den Erfolg gesetzt hatten, musste erst eine Frage beantwortet werden: Was ist eine Krankheit? A) Ziegen-Peter oder B) Ziegen-Uschi.
»So finanzieren die ihren Quatsch«, begriff Wayne. »Gewinnspiel und Kandidatenvoting. Fünfzig Cent pro Anruf. Das funzt!«
»Bei einem Marktanteil zwischen acht und zehn Millionen Zuschauern kommt da einiges zusammen«, nickte ich. »Diese Gewinnspielfragen haben wirklich Charme. Ziegen-Uschi hört sich an wie eine Kandidatin bei Bauer sucht Frau.«