Weiße Schürze an kariertem Rock

Der Montag begann mit einer Überraschung: Knalliger Sonnenschein spiegelte Hochsommer vor und es wurde wirklich richtig warm. In der Konferenz am Morgen bekam ich Lob von Schnack. Aber ich konnte es nicht entsprechend würdigen. Ich hatte wenig geschlafen, weil mir ein Foto nicht aus dem Sinn ging: Wie die weiß geschürzte Frau mit dem karierten Rock vor der Tür des Juryraums stand – die Hand an der Klinke –, während die drei Entführer hinter der Tür die Jury bedrohten und fesselten.

War sie hineingegangen oder war der Raum zu der Zeit abgeschlossen gewesen? Hatte sie an der Tür gerüttelt und war dann unverrichteter Dinge wieder abgezogen? Oder hatte sie die Tat gar beobachtet?

Letzteres erschien mir unwahrscheinlich, denn dann hätte Kleist eine perfekte Zeugin gehabt und es mir erzählt.

Möglicherweise hatte die Frau aber auch einen Grund, über ihre Beobachtung zu schweigen.

Ich erreichte Kleist im Präsidium und fragte nach dieser Frau. Aber er konnte mir nichts sagen, denn er hatte die wenigsten Vernehmungen selbst geführt. Und in Protokollen wurden zwar die Personalien der vernommenen Personen festgehalten, nicht aber, was sie anhatten.

»Wie sind die Entführer in den VIP-Bereich gelangt?«

»Sie hatten eine Einladung. Der Sender ist ja nicht gerade geizig damit umgegangen. Du hattest doch auch eine.«

»Stimmt. Ich hab ein komisches Gefühl.«

»Ich halte mich an Fakten«, stellte Kleist klar. »Ein Mensch ist entführt worden. Das ist ein schweres Verbrechen.«

»Du hast recht. Und der Brett ist auch nur ein armes Schwein. Hoffentlich kommt er heil wieder zurück.«

Ein bisschen hatte mich mein Hauptkommissar wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht. Doch dieses Gefühl hielt nur einige Stunden an. Nach zwei Tassen Kaffee und keinem (!) Mandelhörnchen rief ich Jessica von Neuenfels an, die Pressefrau des Senders.

»Können wir uns treffen? Ich würde Ihnen gern ein paar Fotos zeigen.«

Sie war überrascht, stimmte aber zu.

Ich schlug die Westfalenhallen als Treffpunkt vor, und zwar den Aufenthaltsraum der Kandidaten.

»Die Polizei hat heute früh alles freigegeben. Passt also.«

»Wie wird die Show jetzt weitergehen?«, fragte ich.

»Darüber ist noch nicht entschieden. Ohne Brett ist WSDS nicht denkbar. Elizabetha Lazeira und Danny Forehead sind keine Garantie für eine ordentliche Quote.«

»Die waren doch ganz nah dran an der Entführung«, fiel mir ein. »Haben die beiden denn gar nichts gesehen, was weiterhilft?«

»Die waren an Stühle gefesselt, selbst die Augen waren verbunden. Zudem spielte sich alles hinter ihrem Rücken ab.«

Ich griff mir die Ausdrucke von Pöppelbaums Fotos und machte mich auf den Weg. Die Bundesstraße war mal wieder verstopft. Unfall. Ein Sportwagen hatte sich um eine Platane gewickelt. Mit zehn Minuten Verspätung parkte ich den Golf. Jessica sah trotz der Hitze aus wie einem Wellnessschuppen entsprungen.

»Ich muss unbedingt was essen«, meinte sie. »Deshalb hab ich einen Tisch im Goldsaal reserviert. Ist das okay für Sie?«

War es. Doch was sie Essen nannte, war ein großer Salat mit Putenbrust. Ich entschied mich für Gemüselasagne. Während wir auf das Mahl warteten, legte ich ihr die Fotos vor.

»Mir geht es vor allem um diese Frau hier.« Ich deutete auf die unscharfe Person in dem karierten Rock. »Kennen Sie sie?«

Sie betrachtete das Bild. »Nein. Das Gesicht ist ja völlig verschwommen«, stellte sie messerscharf fest. »Aber eine Frau ist es, das erkennt man an den Beinen. Und auf der Schürze, das hier, das dürfte das Logo der Firma sein, die uns betreut. Und … die Frau hat die Hand an der Klinke.«

»Wer darf während der Pause den Juryraum betreten?«, fragte ich.

»Die Visagisten und das Catering. Und ich, wenn es etwas zu besprechen gibt.«

»Und? Gab es am Samstag etwas zu besprechen?«

»Nein. Ich war gar nicht da. Mein Büro befindet sich in Köln. Ich hab die Vorab-PR für unsere neue Sendung Verzeih mir erarbeitet. Ich saß brav an meinem Schreibtisch.«

»Bleiben also die Visagistinnen und die Kellnerinnen. Wie viele gibt es von denen?«

»Keine Ahnung. Wir wickeln das beides über Dienstleister ab. Von der Beauty Academy kommen die Make-up-Stylisten und das Catering macht Mystic Food. Schon seit Jahren. Die arbeiten bundesweit, das ist sehr praktisch.«

»Die machen doch bestimmt Dienstpläne«, mutmaßte ich. »Könnten Sie mir die Namen der Leute besorgen, die während des Castings gejobbt haben?«

»Das war doch erst vorgestern, da liegen die Abrechnungen bestimmt noch nicht vor.« Jessica überlegte. »Aber ich könnte unseren Produktionsleiter bitten, dass er die Namen anfordert. Das macht er bestimmt, wenn ich ihn frage.« Sie lachte. »Wann brauchen Sie die Namen?«

»Vorgestern«, lächelte ich.