Der Titan ist ehrlich

Pitt Brett saß in einem weißen Ledersessel in seiner Hotelsuite. PR-Frau Jessica war auch da, hielt sich aber abseits. Auf dem Tisch standen Kaffee, Wasser und ein paar Kekse.

Brett sah ungeschminkt fast genauso aus wie im Fernsehen: eine leichte Sonnenbankbräune, Blondhaar mit Gel und Nussknackerkinn. Seine Kleidung war überraschend schlicht: Jeans und schwarzer Pulli.

Im Fernsehen rüscht er sich flippiger auf, dachte ich. Um die Kleidung, die er in der Show trug, machten die Fans immer großes Aufheben.

»Dann legen Sie mal los, junge Frau«, dröhnte er und zog den Pulli zurecht. An seinem rechten Ringfinger prangte ein fetter Goldring mit einem Skarabäus. »Ich hab nur eine halbe Stunde.« Zu Pöppelbaum gewandt sagte er: »Sie können während des Interviews Fotos machen. Aber niemals von unten. Wegen Doppelkinn und so. Nicht dass ich eins hätte, aber sicher ist sicher.«

Ich grinste. »Darf ich den Rekorder mitlaufen lassen und den Mikrofonständer aufstellen?«

»Klar. Ich will ja nicht, dass Ihnen der Arm abfällt.«

Der Pop-Titan gab uns dann doch eine ganze Stunde. Er redete frisch von der Leber weg und nahm kein Blatt vor den Mund.

Ab und zu blitzten Eitelkeit und Selbstüberschätzung durch, aber das mochten seine Fans ja. Nur über die Kirche der Erleuchteten wollte er nicht sprechen.

»Mit der Truppe hab ich noch mehrere Hühnchen zu rupfen«, grummelte Brett. »Die kommen später dran.«

 

In der Redaktion ordnete ich Fragen und Antworten und schrieb:

 

PITT BRETT: WER ZU WSDS KOMMT, IST SELBST SCHULD
Exklusivinterview mit dem Pop-Titanen und Jurychef

 

Frage: Warum gehen Sie so hart mit den Kandidaten um?
Antwort: Wer zu uns kommt, der will das so. Niemand wird gezwungen. Die unterschreiben das alles vorher. Wenn dann einer beleidigt ist, hat er sich das selbst zuzuschreiben. So simpel ist das. Die kriegen eben ein paar lustige Sprüche reingedrückt. Das gehört zur Show. Ich bin Entertainer, ich will die Leute unterhalten.
Frage: Finden Sie Sprüche wie »Deine Art zu singen klingt wie ein Darmverschluss« wirklich lustig?
Antwort: Klar find ich die lustig. Und die Leute auch. Bis zu neun Millionen Zuschauer gucken zu, und der Marktanteil bei der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen liegt etwa bei 38 Prozent. Das schafft sonst keiner in Deutschland. Der Sender weiß natürlich, dass die Show mit mir erfolgreicher ist, als wenn da drei weich gespülte Typen in der Jury sitzen. Wenn ich zehntausendmal sagen würde: »Hör mal, du kannst zwar nicht so gut singen, aber du bist ein lieber Typ«, das wäre schließlich stinklangweilig. Da würden die Zuschauer wegpennen.
Frage: Kommen Sie sich manchmal gemein vor?
Antwort: Ach Blödsinn, gemein war ich nur zu denen, die mich verarscht haben. Zum Beispiel dieser Spruch mit dem Eimer.
Frage: Meinen Sie den? »Wisst ihr was der Unterschied ist zwischen euch und einem Eimer Scheiße? Der Eimer!«
Antwort: Ja, genau. Da standen zwei Typen vom ›Ballermann‹ vor mir mit 3,5 Promille, flachsten mich an und wollten einfach nur ins Fernsehen. Ich find, den Spruch hatten die verdient. Die wollten nie Sänger werden, die wollten uns verscheißern. Ist doch klar, dass mir da der eine oder andere heftige Spruch rausrutscht, bei dem ganzen Müll, den ich mir anhören muss. Bei den meisten bin ich aber voll nett. Wenn einer labil ist, der kriegt von mir Artenschutz und wird nicht angemeckert. Und oft tue ich den Kandidaten einfach einen Gefallen, wenn ich ihnen die Wahrheit sage.
Frage: Warum ist die Wahrheit für viele so bitter?
Antwort: Das kann ich Ihnen sagen. Da wird den Jugendlichen zum Beispiel von irgendwelchen dahergelaufenen Gesangslehrern erzählt, dass sie Talent haben. Warum? Weil die Lehrer die Kohle für die Stunden haben wollen. Was bringt das den Kids? Nichts. Die hängen einer Illusion nach, aus der nie was werden wird. Den Zahn zieh ich denen. In diesem Staat heucheln genug Leute, vor allem Politiker. Kaum jemand sagt die Wahrheit, und das ist ein Riesenproblem in unserer Gesellschaft. Und deshalb krieg ich auch ständig was auf die Fresse, weil man das einfach nicht mehr tut, die Wahrheit sagen. Das Musikbusiness ist hammerhart. Sensible Menschen, die keine Kritik vertragen, haben da nichts verloren.
Frage: Sind Sie intelligent?
Antwort: Ich gehöre zu den ganz wenigen in der Branche, die einen akademischen Abschluss haben. Seit meinem Studium reiht sich wirklich ein Erfolg an den nächsten. Da kann ich wohl nicht völlig doof sein.

 

Ich war zufrieden. Pöppelbaum hatte gute Fotos gemacht. Ich suchte solche aus, die Brett so zeigten, wie er meiner Meinung nach war: spontan, laut, direkt und ehrlich. Eine Einladung in den VIP-Bereich der Castingshow hatte ich auch abgestaubt. Mein Ausflug in die große weite Welt des Showbiz begann mir Spaß zu machen.