Brett hält sich prächtig

Die Villa wurde von Polizisten bewacht. Aus gutem Grund, denn im Umfeld lauerten einige Paparazzi. Oder waren es Stalker?

Pöppelbaum und ich mussten uns ausweisen. Jessica von Neuenfels holte uns an der Eingangstür ab. Die Fotografen hoben ihre Kameras, doch als sie die Pressefrau erkannten, ließen sie sie wieder sinken. Jessica würdigte die Typen keines Blickes.

»Pitt ist bereit«, erklärte sie. »Ich weiß allerdings nicht, wie lange er durchhält.«

»Das hört sich nicht gut an. Wir werden sanft mit ihm umgehen.«

Das Wort ›sanft‹ im Zusammenhang mit dem Pop-Titanen war eigentlich ein Witz.

Jessica führte uns zu Bretts Arbeitszimmer. Sie klopfte und trat ein.

Der Titan saß tief eingesunken in einem Sessel – die Hand vor den Augen. Das Zimmer war abgedunkelt.

»Ich lasse Sie jetzt allein«, flüsterte Jessica und verschwand.

»Hallo, Herr Brett«, sagte ich in ganz normaler Tonlage. »Schön, dass Sie wieder da sind. Wie geht es Ihnen heute?«

»Besser, als es sich manche wünschen.« Die Stimme klang klar. »Setzen Sie sich bitte.«

Ich zog einen Stuhl heran, Pöppelbaum blieb im Hintergrund.

»Was ist mit diesem Saukerl Fuchs?«, fragte Brett. »Ist er wirklich tot?«

»Toter geht es gar nicht«, antwortete ich. »War er der Entführer?«

»Selbst hat er es nicht gemacht. Vermutlich waren es seine Handlanger. Der hat ja genug Arschlöcher in seiner Gurkentruppe.«

Na also, dachte ich, Pitt Brett ist doch noch ganz der Alte. »An was können Sie sich erinnern?«

»Ich brauch erst mal einen doppelten Espresso. Sie auch?«

Wir stimmten zu. Brett rief nach Jessica und bestellte.

»Was glauben Sie: Aus welchem Grund hat die Sekte Sie entführt?«

Ob er jetzt antworten würde? Im ersten Interview hatte er jede Frage nach der Kirche der Erleuchteten abgeschmettert.

»Ich sag Ihnen mal was. Diese Leute glauben, dass ich ihnen eine Menge Kohle schulde. Ist aber nicht so. Zwei meiner früheren Lebensabschnittstussis sind denen auf den Leim gegangen, und die glaubten, ich komme für alles auf. Ja, Pustekuchen. Die Silikontitten meiner letzten Verflossenen hab ich auch nicht bezahlt. Und diese schrecklichen schneeweißen Zähne von der davor auch nicht. Meine Anwälte haben für solche Abzockereien ein umfangreiches Vertragswerk erarbeitet. Bevor eine in meine Kiste darf, muss sie das unterschreiben. Ich will schließlich um meiner selbst geliebt werden und nicht, damit die beim Onkel Doktor shoppen gehen oder sich ihr Selbst in einer Psychosekte aufpimpen lassen. Die Erleuchteten haben sich dann aber doch nicht getraut, ihre Nummer durchzuziehen. Und jetzt hat der Oberguru den Löffel abgegeben. Merken Sie was, junge Frau?«

»Ich merke, dass es wohl nicht wirklich geschickt war, sich mit Ihnen anzulegen.«

»Genau!« Brett strich sich zufrieden über das Nussknackerkinn.

»Woran können Sie sich erinnern?«

Brett wurde ernster. Es klopfte. Ein Hausangestellter brachte den Kaffee. Der Pop-Titan versenkte vier Stück Zucker in dem Tässchen und rührte.

»Es ist alles so verwirrend«, sagte er leise. »Es kommt mir wie ein Traum vor. Ein Traum, der sich anfühlt wie Watte.«

»Watte?«, fragte ich verdattert.

»Ich strecke die Hand aus oder laufe und alles ist irgendwie verlangsamt. Und überall dieses schreckliche Grün.«

»Grün? Gehört das Grüne vielleicht zu einem Garten?«

Brett schwieg. Sein Gesichtsausdruck hatte sich verfinstert. »Ja, ein Garten«, murmelte er. »Ich bin im geheimen Garten. Es ist dunkel und feucht, riecht nach Moder und Tränen. Das einzige Geräusch, das ich höre, ist mein Atem. Wie lange bin ich schon hier? Was erwartet mich? Wird mich jemand finden?«

»Herr Brett!«, rief ich. »Geht es Ihnen gut?«

»Lassen Sie mich«, flüsterte er.

»Soll ich einen Arzt holen?«, fragte ich.

»Nein, nein. Ich bin wohl noch nicht ganz fit. Hatte grad einen Flash.«

»Können Sie denn die Show morgen Abend überhaupt durchstehen?«

»Na, sicher!«, grinste er. »Das zieh ich durch. Und wenn es das Letzte ist, was ich in diesem Leben tue. Die Leute warten auf mich.«

 


Jessica brachte uns nach draußen.

»Ein bisschen wirr redet er ja doch«, stellte ich fest. »Aber er fängt sich bestimmt wieder.«

»Er hat einen Hypnotiseur bestellt«, verriet die Pressefrau. »Der ist auf dem Weg hierher. Brett will wissen, was diese Leute mit ihm gemacht haben.«

»Darf ich das schreiben?«

»Meinetwegen. Aber bitte ohne meinen Namen zu nennen.«

 

Ich hatte mein Exklusivinterview mit dem Pop-Titanen. Pöppelbaum hatte aus dem Hintergrund fotografiert, trotz des spärlichen Lichts ohne Blitz. Entstanden waren weiche Aufnahmen, die Pitt Brett ganz anders zeigten, als man es gewohnt war: nachdenklich, in sich gekehrt und ein bisschen verletzlich.

Ich begann mit dem Artikel, der in der morgigen Ausgabe erscheinen sollte:

 

NACH DER ENTFÜHRUNG FRAGT POP-TITAN: WAS GESCHAH IM GEHEIMEN GARTEN?Heute Abend tritt Pitt Brett wieder vor ein Millionen-Fernsehpublikum, um jungen Leuten die Chance zu geben, eine Karriere als Sänger zu starten, oder zu verderben. Er wird wie immer sein: deutlich, klar und ehrlich. Er wird feststellen, wer singen kann und wer nicht. Tränen werden fließen, Träume werden zerplatzen und viele werden zornig auf ihn sein.
 Seit acht Jahren schon gestaltet Pitt Brett die Castingshow maßgeblich mit. Er hat sie zu einer der beliebtesten Sendungen im deutschen Fernsehen gemacht. Vor knapp einer Woche wurde der Pop-Titan von unbekannten Männern verschleppt, unter Drogen gesetzt und drei Tage später wieder freigelassen. Diese drei Tage fehlen in Bretts Erinnerung. Er glaubt, in einem Garten gewesen zu sein. Einem Garten, der etwas mit der Sekte zu tun hat, die sich Kirche der Erleuchteten nennt. Pitt Brett hat beschlossen, sich einer Hypnose zu unterziehen – um endlich die Wahrheit zu erfahren.