Post von Monika

Ein starker Kaffee brachte mein Gleichgewicht wieder in Ordnung. Eifersucht ist ein schreckliches Gefühl. Warum sollte Kleist etwas mit einer Kollegin anfangen, die wahrscheinlich wirklich einfach nur seine Hilfe beim Wiedereinstieg in den Beruf suchte? Und wenn etwas passieren sollte, dann konnte ich es sowieso nicht verhindern. Wir waren beide freie Menschen und unsere Beziehung basierte auf eben dieser Freiheit.

Kleist hatte sein Leben im Hotel inzwischen aufgegeben und war in eine kleine Wohnung in der Nähe des Präsidiums gezogen. Wirklich wohnlich war es dort nicht. Deshalb trafen wir uns fast immer in meinem Haus.

Ob er Clara Obdach angeboten hatte? Bestimmt, grummelte ich innerlich, eine alleinerziehende Mutter hat nicht das Geld für ein Hotel. Ich drängte die Bilder im Hirn zurück.

Die Arbeit würde mich ablenken. Ich vertiefte mich in das Material über die Kirche der Erleuchteten und las den Erfahrungsbericht eines Aussteigers, dem man die Trennung sehr schwer gemacht hatte. Jetzt Monika Weber, aus der Sicht der Sekte auch eine Aussteigerin – erwürgt. Wo war Bettina, ihre Schwester?

Ich rief Arnold Weber an. Er war gerade von der Identifizierung seiner Tochter zurückgekommen und ganz aufgelöst.

»Wer hat das getan?«, schluchzte er.

Ich kam mir schäbig vor, ihn ausgerechnet jetzt für meine Recherchen zu benutzen.

»Die Polizei wird das herausbekommen, glauben Sie mir!«, versuchte ich ihn zu trösten. »Was ist mit Bettina? Weiß sie schon, was passiert ist?«

»Ich habe keine Ahnung. Warum war Monika hier? Ich dachte, Bettina hat sie nach Florida gebracht.«

»Vielleicht hat man Ihnen das nur erzählt, um Sie von der Suche abzuhalten«, mutmaßte ich. »Haben Sie der Polizei von der Sekte erzählt?«

»Natürlich! Monika würde noch leben, wenn diese Verbrecher nicht wären.«

»Man kann diesen Leuten eine Menge vorwerfen«, entgegnete ich. »Aber warum sollten sie ihre Anhänger erwürgen? Lebendig sind die doch viel nützlicher.«

»Es klingelt gerade«, sagte Weber. »Bleiben Sie bitte dran. Ich geh eben zur Tür. Bin gleich wieder da.«

Ich hörte Schritte, Stimmen und Weber zurückkommen.

»Das war der Postbote. Er hat mir einen Brief gebracht. Einschreiben. Ohne Absender. Moment.«

Er legte den Hörer aus der Hand. Papier raschelte. Dann war er wieder dran.

»Ein Brief von Monika«, sagte er tonlos. »Monika hat mir geschrieben.«

Mir wurde eiskalt. »Machen Sie jetzt nichts. Bleiben Sie, wo Sie sind. Ich komme sofort zu Ihnen.«

 

Jetzt kam Spannung in die Geschichte und ich hatte die Nase vorn. Natürlich musste Weber die Polizei informieren, aber erst nachdem ich den Brief gelesen hatte. Ich gab meinem Cabrio die Sporen und kümmerte mich nicht um die Geschwindigkeitsbeschränkungen.

Weber öffnete, grau im Gesicht und mit verzweifeltem Ausdruck in den Augen. Ich folgte ihm ins Wohnzimmer. Er hatte die Rollos halb heruntergelassen. Das Licht war schummrig.

»Darf ich den Brief lesen?«

»Er liegt auf dem Tisch.«

Ich nahm ihn und setzte mich.

 

Lieber Vater!
 Mach dir keine Sorgen. Es geht mir gut. Ich habe meinen Garten gefunden und er ist hier, in der Kirche. Ich bin angekommen im Paradies und werde den Weg weitergehen bis zur völligen Befreiung meiner unsterblichen Seele.
 Weißt du, wie es ist, nicht mehr zu zweifeln, sondern sicher zu sein, dass du das Richtige tust? Weißt du, wie schön es ist, gleichgesinnte Brüder und Schwestern an deiner Seite zu wissen, die diesen Weg zum Licht bereits gegangen sind?
 Du bist einsam, Vater. Seit Mutters Tod ist deine Seele versteinert.
 Ich soll dich von Bettina grüßen. Sie hat den hellen Weg vor mir erkannt und die Brücke zur Freiheit überschritten. Ich werde auch dahin kommen. Der Garten ist der Ort, in dem andere frühere Zweifler und ich eine Weile verbringen werden, um rein und offen zu werden. Wenn ich mein Ziel erreicht habe, melde ich mich wieder. Bis dann … Such nicht nach mir. Ich liebe dich – trotz allem.
 Deine Tochter Monika

 

»Von was für einem Garten schreibt sie?«, wunderte ich mich.

Weber zuckte die Schultern. »Woher soll ich das wissen?«

»Wir müssen Bettina erreichen. Und die Polizei muss von diesem Brief erfahren. Soll ich Sie ins Präsidium fahren?«

Weber stimmte zu. Während er seine Jacke holte, fotografierte ich Monikas Brief. Ein Garten, in dem Zweifler wieder auf den erleuchteten Weg gebracht wurden. Das hörte sich interessant an.

»Helfen Sie mir, Frau Grappa?«, fragte Weber während der Fahrt. Er machte einen völlig überforderten Eindruck.

»Die Polizei ist für Monikas Tod zuständig«, versuchte ich, ihn zu stärken. »Ich habe nicht so viele Möglichkeiten. Ich kann nur berichten. Jetzt liegt ein Kapitalverbrechen vor. Da ist die Kripo gefragt und die macht ihre Arbeit in der Regel recht ordentlich.«

»Ich will Bettina da rausholen. Sie soll begreifen, was für Leuten sie auf den Leim gegangen ist. Und Sie sind doch die Öffentlichkeit, Sie müssen mir helfen.«

»Sie überschätzen mich, Herr Weber.« Ich bog auf den Parkplatz des Präsidiums ein. »Über die Kirche der Erleuchteten ist in den letzten Jahren sehr viel Kritisches geschrieben worden. Bettina kennt das sicher alles. Und die Sekte ist keine verbotene Organisation – das wissen Sie doch.«

Der Mann an der Pforte des Präsidiums winkte uns durch, ich war oft genug hier gewesen.

In Kleists Vorzimmer mussten wir warten. Immerhin war er anwesend. Seine Sekretärin bot uns einen Kaffee an, da wurden wir schon vorgelassen.

»Hallo«, sagte ich. »Sorry, dass wir hier so reinplatzen. Herr Weber hat einen Brief von seiner Tochter Monika bekommen.«

»Hallo, Maria! Herr Weber, wir sehen uns ja schnell wieder!« Kleist deutete auf die Stühle der Sitzgruppe.

Weber reichte ihm den Brief. Seine Hände zitterten.

Kleist las den Brief zwei Mal durch und überlegte eine Weile. »Sie schien glücklich zu sein«, stellte er dann fest. »Und sie hatte Pläne. Auch wenn sie mit dieser Sekte zusammenhängen. Man kann niemandem vorschreiben, wie er seine Glückseligkeit sucht.«

»Die Kirche muss mit ihrem Tod zu tun haben«, sagte ich. »Sie war bis zuletzt dort und gefangen. In diesem Garten. Das steht doch alles in dem Brief!«

»Von Gefangenschaft steht da gar nichts. Die junge Frau hat sich sehr wohl gefühlt in ihrer Umgebung, jedenfalls schreibt sie das. Ob es diesen Garten wirklich gibt, steht nicht fest. Vielleicht ist es eine Metapher für einen Wohlfühlraum. Aber in einem hast du recht, Maria. Sie war bis zuletzt dort. Wir werden alle Personen, die mit Frau Weber zu tun hatten, ausführlich befragen. Danke, dass Sie beide sofort vorbeigekommen sind.«

Er wollte uns loswerden. Das Telefon klingelte. Ich spitzte die Ohren.

»Ist das wahr?«, sagte Kleist. »Kein Irrtum möglich? Ja, danke. Ich warte dann auf das amtliche Ergebnis.«

Er legte auf, atmete tief durch. »Herr Weber, ich habe noch eine Frage. Hatte Monika einen Freund oder Lebensgefährten? Einen Liebhaber?«

Weber verneinte.

»Sie war im vierten Monat schwanger«, verkündete Kleist. »Jetzt müssen wir unsere Ermittlungen sehr viel weiter ausdehnen. Und Sie haben keinerlei Verdacht? Gab es Telefonanrufe? Blumengeschenke? Irgendetwas, was auf einen Mann hindeuten könnte?«

»Ich hab nie etwas bemerkt.« Über Webers Gesicht liefen Tränen. »Bettina muss es wissen. Schwestern erzählen sich doch so etwas. Haben Sie Bettina schon vernommen?«

»Nein. Wir stehen noch ganz am Anfang. Gedulden Sie sich bitte.«

Damit komplimentierte er uns aus seinem Büro. Im Vorraum duftete es nach Kaffee. Kleists Sekretärin stand angeregt schwatzend neben der Kaffeemaschine.

»Dr. Kleist ist jetzt frei«, sagte sie mit einem Blick auf mich. »Bitte schön, Frau Billerbeck. Und auf Wiedersehen, Frau Grappa.«

Die Frau war klein und drahtig, hatte kurzes blondes Haar und eine rosige Gesichtsfarbe. Mindestens fünfzehn Jahre jünger als ich.

»Clara, schön, dass du da bist«, hörte ich Kleist in meinem Rücken. »Hattest du eine gute Fahrt?« Seine Stimme klang sehr erfreut.

Ich drehte mich noch einmal kurz um. Doch Kleist schenkte seine ganze Aufmerksamkeit der ehemaligen Kollegin. Fast wäre ich über einen großen Koffer gestolpert. Clara Billerbeck hatte sich nicht nur auf einen Kurztrip eingestellt.