1
Sie wälzte sich im Bett herum, schmiegte die Wange in
einen Zipfel ihres Kopfkissens und kuschelte sich noch tiefer
hinein. Träumen. Schlafen. Beine und Füße tasteten nach den kühlen
Stellen unter dem sauberen Laken und der zusätzlichen
Decke.
Durch einen Nebel aus
Trägheit hörte sie die Vorhänge rascheln. Feuchtkalte Meeresluft
drang durch das offene Fenster herein. Laut Wetterbericht würde es
der Sonne erst am morgigen Nachmittag gelingen, ein Loch in die
Wolkendecke zu brennen.
Es war April in Los
Angeles – Nikki Brants Lieblingsmonat. Das Leben war zur Zeit so
schön. Schöner als je zuvor.
In der Dunkelheit
griff sie nach dem zweiten Kopfkissen, kuschelte sich hinein und
tat, als sei sie nicht allein im Bett. Sie träumte von ihrem
Geheimnis. Ihrem ganz besonderen Geheimnis. Dem, das ihre Ärztin
ihr erst heute kurz nach dem Mittagessen eröffnet hatte. Der Satz
hatte mit einem einzigen Wort begonnen.
Glückwunsch.
Den Rest hatte Nikki
gar nicht mehr richtig mitbekommen. Nach diesem Wort spielte nichts
mehr eine Rolle, denn ihr Herz schlug so schnell, dass die Welt um
sie herum vor Glück verschwamm. Angefangen hatte es in dem Moment,
als die Ärztin das Untersuchungszimmer betreten hatte, ein Funkeln
in den Augen, das nur das eine bedeuten konnte.
Allerdings hatte ihre
Ärztin Nikki nur bestätigt, was sie in ihrem Innersten bereits
gewusst hatte.
Sie drehte sich um
und öffnete mühsam die Augen, da sie spürte, dass jemand ins
Schlafzimmer gekommen war. James, der wieder einmal spätnachts aus
dem Büro zurückkehrte. Nikki sah seine dunkle Gestalt. Die
Leuchtanzeige des Radioweckers tauchte seinen Körper in einen
neonblauen Schein. Er schien sie vom Fußende des Bettes aus
anzustarren, während er das Sakko auszog und die Krawatte
lockerte.
Irgendwo in der
Nachbarschaft begann ein Hund zu bellen.
Nikki tippte auf den
kleinen weißen Terrier drei Häuser weiter, war sich aber nicht
sicher. Die Ärztin hatte ihr etwas gegen die Übelkeit verschrieben,
das hundertprozentig nicht schädlich sei, sie aber schläfrig machen
könne. Als der Hund verstummte, warf Nikki James noch einen kurzen
Blick zu, ließ sich dann zurücksinken und nickte wieder ein. Eine
wohlige Müdigkeit ließ ihren Körper schwer werden.
Vor drei Jahren
hatten sie sich über einen gemeinsamen Freund an der University of
Oregon kennengelernt. James war eher der nervöse Typ und wirkte auf
sie zunächst schwer durchschaubar. Er studierte im letzten Jahr
Wirtschaft am Lundquist College of Business, während Nikki gerade
an ihrer Doktorarbeit in Kunstgeschichte saß. Für das kommende Jahr
hatte sie bereits eine Stelle als Dozentin an einem kleinen College
in Pasadena in Aussicht. Damals kam es ihr so vor, als ähnelten sie
und James zwei einander fremden Planeten, die rasch
auseinanderdriften würden. Doch er hatte nicht lockergelassen, bis
sie sich irgendwann an ihn gewöhnte. Sein Lächeln hatte das gewisse
Etwas. Ebenso anregend war das Gefühl, das er in ihr auslöste, wenn
er ihr einen seiner geschmacklosen Witze erzählte und sie dabei aus
großen braunen Augen ansah. Schon ein halbes Jahr später zogen sie
zusammen. Und am ersten Jahrestag ihrer Begegnung wurde geheiratet.
Keine Flitterwochen, denn sie waren viel zu sehr damit beschäftigt,
ihren Hausstand zusammenzupacken: Sie hatten ein Haus im Westen von
Los Angeles ergattert. In Laufnähe zum Strand.
Wann sollte sie ihm
ihr Geheimnis nur anvertrauen?
Wieder schlug Nikki
die Augen auf. James stand immer noch am Fußende des Bettes. Sie
fragte sich, wie lange sie wohl geschlafen hatte, konnte aber die
Zeit nicht ablesen, weil er ihr die Sicht zum Radiowecker auf der
Kommode versperrte. Nach einer Weile zog er das Hemd aus der Hose
und fing an, es aufzuknöpfen.
Wann sollte sie es
ihm sagen?
Das war die große
Frage, denn sie wollte genau den richtigen Augenblick
erwischen.
Seit zehn Tagen schon
arbeitete James bis zum Morgengrauen und kam nur nach Hause, um ein
paar Stunden zu schlafen, zu duschen und sich umzuziehen, bevor er
wieder ins Büro fuhr. Er war Chefbuchhalter eines kleinen
Unternehmens, das gerade im Begriff war, sich mit einem größeren
zusammenzuschließen. Ein junger Mann in einer noch jüngeren Firma,
mit deren Erfolg eh nie jemand gerechnet hatte. James
beaufsichtigte die Buchprüfung, die nötig war, um den Vertrag in
trockene Tücher zu bringen. Obwohl es sich – seinen Worten nach –
um eine freundliche Übernahme handelte, machte er einen nervösen,
ja, sogar gereizten Eindruck. Wie Nikki wusste, wollte er beweisen,
wie tüchtig er war, in der Hoffnung, dass man ihn noch brauchen
würde, wenn die beiden Unternehmen schließlich zu einem einzigen
Konzern verschmolzen.
Langsam kehrte sie in
die Wirklichkeit zurück.
Als sie über den Rand
der Bettdecke spähte, stellte sie fest, dass er seine Hose auf den
Stuhl warf und die Boxershorts auszog. Da er zum Abstreifen der
Socken den Kopf senkte, konnte sie endlich einen Blick auf die Uhr
erhaschen. Es war noch früh. Erst halb zwei Uhr. Bei seinem Anruf
um zehn hatte er gesagt, sie würden sich erst morgen sehen. In der
Dunkelheit konnte sie sein Gesicht nicht erkennen, hatte aber den
Eindruck, dass er lächelte. Vielleicht wollte er sich ja eine freie
Nacht gönnen. Oder die Buchprüfung war endlich abgeschlossen,
sodass ihr Leben und ihre Ehe wieder ihnen gehörten.
Nikki setzte zum
Sprechen an, befürchtete aber, durch ihren Tonfall ihr Geheimnis zu
verraten. Sie wollte damit weiterschlafen und es noch ein oder zwei
Nächte oder sogar länger auskosten, bis genau der richtige
Zeitpunkt da war. Sie ahnte, dass es nicht leicht werden würde.
Denn sie wusste, dass James sich nicht so sehr darüber freuen würde
wie sie. In der vergangenen Woche hatte sie, um schon einmal
vorzufühlen, ein paarmal Andeutungen fallen gelassen, doch das
Ergebnis war immer ein schrecklicher Streit gewesen. Eine ganz
besonders hässliche und lange Auseinandersetzung endete mit dem
unangenehmen Ergebnis, dass er sie einen Tag lang anschwieg. Warum
begriff er einfach nicht, wie wichtig es ihr war?
Der dämliche Hund
bellte schon wieder. Diesmal lauter und schriller.
Sie spürte, dass
James in der Dunkelheit auf sie zukam. Er zog ihr das zweite
Kopfkissen weg und schlüpfte auf ihrer Seite des Bettes unter die
Decke. Dannn küsste er sie, ungewöhnlich leidenschaftlich und
heftig, auf die Lippen. Als er sich an ihr rieb, wurde ihr klar,
dass er mit ihr schlafen wollte. Lächelnd seufzte sie und erwiderte
seinen Kuss, während ihr schon wieder die Augen zufielen. Sie
wünschte, sie hätte die dumme Tablette nicht genommen.
Er streichelte ihr
Kinn mit dem Finger. An seiner Haut roch sie die Seife, die sie in
seiner Firma auf den Toiletten benutzten. Der Hauch von Kakaobutter
erinnerte sie an Sonnencreme und die Tage, die sie, Seite an Seite,
am Strand im heißen Sand gefaulenzt hatten. In einer kühlen
Aprilnacht wirkte der Duft irgendwie unpassend.
Er wälzte sich über
ihr Bein und fand die Mitte. Als er in sie eindrang, schlang sie
die Arme um ihn und hielt sich fest, so gut sie konnte. Sie
dämmerte wieder weg. Schlief ein. Bewahrte ihr Geheimnis in ihren
Träumen. Sie war froh, dass er heute früher nach Hause gekommen
war, froh über ihr Beisammensein. So sollte es sein.
James und Nikki Brant
zusammen.
Komisch, aber sie
hatte seinen Wagen gar nicht in der Auffahrt gehört. Auch nicht die
Eingangstür, die beim Öffnen stets ein ohrenbetäubendes Quietschen
von sich gab.