11:55

Als Böll und Krüger in Speyer eintrafen, waren bereits mehrere Streifenwagen vor Ort. Wenig später traf auch ein Notarzt ein. Ein Beamter, der den Eingang sicherte, zögerte erst, ob er die Kollegen von der anderen Rheinseite aufhalten sollte, aber Krüger, der vor Wut kochte, gelang es rasch, ihn zu überzeugen, sie einzulassen. Noch bevor sie das Gebäude betraten, sahen sie das Blut. Eine Spur von großen Tropfen, welche vom Eingang quer durch den Vorgarten bis hinaus auf den Gehweg führte. Dort bog sie scharf nach rechts ab, um nach wenigen Metern abrupt zu enden. Jemand war verletzt geflüchtet und in einen dort abgestellten Wagen gestiegen. Da kein Blut auf der Straße zu sehen war, musste er auf der Beifahrerseite eingestiegen sein. Es sei denn, der Wagen war gegen die Fahrtrichtung geparkt gewesen, was eher unwahrscheinlich war. Der Verletzte hatte also Unterstützung gehabt. Aber von wem?

Als sie das Haus betraten, rechnete Lena Böll mit dem Schlimmsten. Verena und Nummer Zwei tot und der Mörder mit einem Komplizen entkommen! Doch dann sah sie Verena zitternd auf einem Sessel sitzen. Trotz der Hitze war die junge Frau in eine dünne Wolldecke gehüllt. Offensichtlich war sie unverletzt. Zumindest äußerlich.

»Sie sind weg«, sagte sie müde.

»Es waren zwei?«, fragte Lena Böll. Die Anspannung der letzten Stunden ließ noch immer nicht nach. So als weigerte sich ihr Gehirn, anzuerkennen, dass Katjas Schwester tatsächlich am Leben geblieben war.

Verena nickte. »Der Mann, der mich gerettet hat. Und ein anderer, der ihm half, von hier wegzukommen.«

Lena Böll musterte nachdenklich die Blutspur, die ausgehend von der Kellertür durch das Wohnzimmer führte.

»Kannst du die beiden beschreiben?«

»Ja. Aber nicht heute. Erst morgen.« Trotz allem, was sie durchgemacht haben musste, klang ihre Stimme erstaunlich fest.

»Der Mann, der verletzt war, war Anfang Fünfzig«, erklärte einer der Pfälzer. »Der andere scheint ein muskelbepackter Riese gewesen zu sein. Eine Nachbarin gab an, er sei überall tätowiert gewesen. Und er habe FBI-Kleidung getragen.«

Lena Böll stutzte. Die Beschreibung erinnerte sie an jemanden. An einen Mann, den sie schon längst vergessen zu haben glaubte.

»Tätowiert? Kleine züngelnde Flammen am Hals?«

»Keine Ahnung. Aber ich kann gerne nachfragen«, sagte der Beamte und machte sich auf, um nach der Zeugin zu suchen.

»Und die beiden hatten mit der Entführung sicher nichts zu tun?«, wandte sich Lena Böll erneut an Verena.

Diese schüttelte energisch den Kopf. »Der Ältere hat mich gerettet. Der Tätowierte kam erst am Ende dazu und half ihm, von hier wegzukommen.«

»Und du willst sie nicht beschreiben?«

»Nein.«

»Warum? Um ihnen einen Tag Vorsprung zu geben?«

»Ja«, sagte Verena und nahm mehrere Schluck Wasser aus einem großen Glas. »Er hat mich darum gebeten.«

Der Polizist kehrte zurück und bestätigte prompt Lena Bölls Verdacht.

»Sie lagen richtig«, sagte er. »Der Hals war bis hoch zum Kinn mit Flammen tätowiert.

»Manfred Gold«, murmelte Böll und versuchte zu begreifen, was zum Teufel da vor sich ging.