47
Mitte April wäre ich am liebsten aus der Haut gefahren oder aus dem Fenster gesprungen. Ich fragte mich, wie Leute das aushielten, die Jahr um Jahr in ihrem Körper gefangen waren.
»Ich drehe durch«, sagte ich zu Dottie. »Wie würdest du dich fühlen, wenn du nicht bowlen könntest?«
»Es würd mich fast umbringen. Aber du kommst schon wieder auf die Beine. Das Wetter ist grauenvoll. Da kannst du genauso gut warten, bis es besser wird«, sagte sie. »Warte bis Mai.« Aber das schien noch so weit weg. Die Zeit verging im Schneckentempo.
Bud und Glen hatte ich nicht mehr gesehen, seit ich aus dem Krankenhaus gekommen war. Dottie sagte mir, dass Bud bei Freddie in der Autowerkstatt arbeitete, wenn er nicht in der Schule oder bei Susan war. Glen überlegte, Soldat zu werden und in Vietnam zu kämpfen. Die Vorstellung, wie der große, dumme Glen mit einem Gewehr durch den Dschungel lief, gefiel mir gar nicht.
Als die Albträume begannen, erinnerte ich mich wieder an einen der Hauptgründe, warum ich dieses Haus verlassen hatte und zu Grand gezogen war. Wie langbeinige, haarige Spinnen krochen sie durch die Risse in den Tiefen meines Gehirns. Bäume. Schreie. Andy, der immer wieder meinen Namen rief und dann überhaupt keinen Ton mehr von sich gab. Lichter. Wind. Mr. Barrington, der mit dem Schürhaken die Scheiben des Autos zertrümmerte, um auf Andy und mich einzuschlagen, obwohl wir schon halb tot waren. Carlie, die mit einem leichten Lächeln an der Motorhaube des Wagens vorbeiging und mich ignorierte, während ich mich vor Schmerzen wand und um Hilfe rief.
Manchmal, wenn ich aus einem dieser Horrortrips erwachte, wischte Daddy mir den Schweiß und die Tränen vom Gesicht. Aber es war Stella, die verstand, was da geschah. Eines Nachts war sie bei mir, als ich versuchte, dem Grauen zu entgehen. Als ich die Augen öffnete und mein Atem sich allmählich beruhigte, sagte sie: »Ich hab das auch durchgemacht.«
»War es genauso schrecklich?«, fragte ich und vergaß vor lauter Angst, dass ich sie eigentlich hasste. »Oh ja, widerliches, grauenvolles Zeug.«
»Wie hast du das durchgestanden?«
»Ich versuchte, wach zu bleiben. Aber das klappte natürlich nicht, und dann ging’s direkt ab in die Hölle. Metall, das gegen Bäume kracht. Blut in meinen Augen. Jimmys toter Körper, der mich in meinen Sitz drückt. Alle wütend auf mich, weil sie gestorben sind und ich nicht.«
Sie strich mir das Haar aus der Stirn. »Die Träume hören irgendwann wieder auf«, sagte sie. »Du bist stark. Einer der zähesten Menschen, die mir je begegnet sind. Genauso zäh wie ich.«
Ich war mir nicht sicher, ob mir das gefiel, aber sie fuhr fort: »Und ich will dir was sagen, Florine: Ich habe daraus auch etwas gelernt. Es hat mir beigebracht, mir das zu nehmen, was ich vom Leben haben will. Das Leben ist zu kurz, um das nicht zu tun.«
»Du hast dir Daddy genommen.«
»Das habe ich aber nie versucht, als Carlie noch hier war, oder? Das hätte ich auch nie getan, wenn sie nicht verschwunden wäre. Ich habe gesehen, wie sehr dein Vater unter ihrem Verschwinden gelitten hat, Florine. Ich konnte ihn damit nicht allein lassen. Dazu habe ich ihn zu sehr geliebt.«
»Was, wenn sie zurückgekommen wäre?«, fragte ich.
Stella stand auf. »Dann wäre ich zu dem zurückgekehrt, was vorher war. Vielleicht wäre ich wieder weggezogen. Meinst du, ich weiß nicht, dass er sie immer noch liebt? Aber es ist mir egal.«
Als sie das Zimmer verlassen wollte, sagte ich: »Tut mir leid, das mit deinem Baby.«
Sie drehte sich um und sah mich an. »Was meinst du?«
»Dein Baby. Grand hat mir gesagt, dass du vor einer Weile eine Fehlgeburt hattest.«
Stellas Gesicht wurde ganz bleich und zittrig. »Oh«, sagte sie. »Das Baby. Ja. Das Baby.«
Als sie hinausging, färbte sich ihr Kielwasser schwarz, dann mischten sich Grau- und Weißtöne darunter.
Anfang Mai schnitten sie den Gips von meinem Arm und gaben mir eine Schlinge. Ich dachte, sie würden nun auch mein Bein befreien, doch die Ärzte sagten: »Noch einen Monat. Hab Geduld.« Immerhin schraubten sie eine Schiene unter den Gips, sodass ich damit auftreten konnte. Nach dem Abstecher ins Krankenhaus lag ich wieder in meinem Bett, zappelig und unglücklich.
Die Albträume hörten nicht auf. Eines Nachts, nach einem besonders üblen, in dem Andy ohne Kopf auf mich zugewankt war, wachte ich auf und dachte: »Wenn ich hier rauskomme, hört das auf.« Wenn ich wieder in Grands Haus wäre, würden die Träume verschwinden, und mein Bein würde heilen. Aber ich wusste, dass Daddy und Stella mich nie im Leben gehen lassen würden. Also strickte ich heimlich an einem Fluchtplan. Ich übte, im Haus mit einer Krücke umherzugehen, da mein rechter Arm noch zu schwach und empfindlich war, um mich darauf zu stützen, und vorsichtig mit meinem Gips aufzutreten.
Eines regnerischen Freitags, ungefähr eine Woche vor meinem Geburtstag, als Daddy nach Long Reach gefahren und Stella in den Laden gegangen war, stand ich auf, klemmte mir die Krücke unter den Arm und humpelte zur Garderobe neben der Küchentür. Ich zog meinen Regenmantel an, steckte den Ersatzschlüssel, den Daddy von Grands Haus hatte, in die Tasche, setzte mich auf einen Küchenstuhl und zog mithilfe der Krücke Daddys linken Stiefel zu mir. Ich ruhte mich einen Moment aus und ging voller Vorfreude im Geist den nächsten Schritt durch.
Es war nicht weit von Daddys zu Grands Haus. Ich konnte im Handumdrehen rüberhumpeln und -hüpfen. Dann würde ich Grands Haustür aufschließen und hineingehen. Grands Radio stand oben, und das Bad war gleich gegenüber dem Schlafzimmer. Ich würde die Treppe auf dem Hintern rauf- und runterrutschen und mich nur zum Essen nach unten begeben. Es war die perfekte Lösung. Wenn ich nach Hause ging, hätten Daddy und Stella endlich wieder ihre Ruhe, ich würde frei sein, und die Albträume würden in meinem alten Kinderzimmer bleiben.
Ich schlüpfte mit meinem gesunden Bein in den Stiefel, öffnete die Tür, hüpfte die vier Stufen hinunter und humpelte die Einfahrt entlang. Sanfter Mairegen fiel auf den Regenmantel und auf mein Gesicht. Die Gerüche, das Zwitschern der Vögel und die Tropfen auf meiner Haut gaben mir zum ersten Mal seit Monaten wieder das Gefühl, lebendig zu sein. »Grand«, flüsterte ich, »sag deinem Freund Jesus Danke.« Ich lächelte, als ich mich auf ihr Haus zubewegte. Schritt, Schwung, Schritt, Schwung. Es war ganz einfach. Mein Herz jubelte.
Doch der weiche Schlamm Maines und die Spitze meiner Krücke hatten sich offenbar gegen mich verbündet. Sie versank im Schlamm, und als ich daran zog, verlor ich das Gleichgewicht und wäre um ein Haar gestürzt. »So weit kommt’s noch«, murmelte ich. Ich balancierte auf meinem linken Bein, manövrierte die Krücke vorsichtig aus dem Schlamm und setzte mich wieder in Bewegung. Dann versank sie erneut.
»Verdammte Scheiße«, fluchte ich. Ich zog. Die Krücke löste sich ein Stück und sank wieder ein. Mein eingegipstes Bein pochte. Die Himmel taten sich auf, und der Regen platschte mir ins Gesicht und rann an meinem Hals hinunter.
Das Geräusch eines herannahenden Autos sagte mir, dass ich gesehen und womöglich wieder ins Bett gesteckt werden würde. Bloß das nicht, dachte ich. Ich hüpfte ein paar Schritte vorwärts, doch dann glitschte mein linker Fuß weg, und ich landete auf meinem Hintern in der Einfahrt.
Das Motorengeräusch klang vertraut. »Oh nein«, seufzte ich, als Buds Fairlane in Sichtweite kam. Bud sah mich, stutzte und trat auf die Bremse. Dann fing er an zu lachen. Er lachte so sehr, dass die Scheibe beschlug und er nicht mehr zu sehen war. Ich versuchte mich aufzurichten, doch es hatte keinen Zweck. Bud öffnete die Fahrertür und stieg, immer noch lachend, aus. Kopfschüttelnd kam er auf mich zu.
»Florine, Florine«, sagte er.
»Hilf mir hoch«, fauchte ich ihn an, und er beugte sich herunter, fasste mich unter den Achseln und zog, bis ich stand.
»Leg deinen guten Arm um meine Schultern.« Er drehte mich in die Richtung von Daddys Haus.
»Zu Grands Haus«, sagte ich.
»Weiß Leeman, dass du dich vom Acker machst?«
»Nein. Aber er hat bestimmt nichts dagegen.«
»Ich weiß nicht«, sagte Bud. »Sieht nicht so aus, als kämst du alleine klar. Ich glaub, du brauchst mehr Hilfe, als du denkst.«
»Ohne den Schlamm war’s kein Problem gewesen. Und im Haus ist kein Schlamm.«
»Stimmt. Aber das Bad ist oben. Wie willst du dich im Haus bewegen? Auf deinem Hintern?« Er fing wieder an zu lachen. »Das war ein Bild für die Götter.«
»Braucht ja keiner zu sehen«, sagte ich. »Bitte bring mich rüber. Ich werde noch verrückt. Ich muss da raus.« Ich sah zum Fenster meines Zimmers, und ich hätte schwören können, dass die Albträume zwischen den Vorhängen hindurchlugten. »Bitte, Bud.«
Der Regen prasselte auf uns nieder, und er sah mich an. Seine dunklen Augen lachten immer noch, aber er drehte mich in die Richtung, in die ich wollte. »Wir finden schon eine Lösung«, sagte er, und für den Rest des Weges war er meine Krücke. Er schloss die Tür für mich auf, und wir gingen hinein. Es roch zitronig, nach Möbelpolitur.
»Jemand war hier«, sagte ich.
»Ja, meine Mutter. Stella hat sie darum gebeten. Komm, zieh das erst mal aus«, sagte Bud und half mir aus dem Regenmantel. Als er meinen Schlafanzug sah, kicherte er. »Wohin willst du?«, fragte er, und ich sagte: »Ins Wohnzimmer.«
Wir humpelten hinüber. Auf meine Anweisung ging er nach oben und holte ein Handtuch, das er auf dem Sofa ausbreitete. Ich ließ mich mit meinem Matschhintern daraufsinken und atmete so tief durch wie noch nie in meinem Leben, erschöpft, aber glücklich wie eine Venusmuschel bei Hochwasser. Ich grinste Bud selig an. Er schüttelte den Kopf und verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln.
»Möchtest du irgendwas?«, fragte er.
»Einen Tee.«
Er verschwand in der Küche. Der Hahn wurde aufgedreht, und das Wasser plätscherte hohl auf den Boden des alten Metallkessels. Ein Streichholz ratschte, mit einem Fauchen sprang der Brenner an, und das Wasser an der Außenseite des Kessels zischte, als es mit der Flamme in Berührung kam. Diese vertrauten Geräusche waren Musik in meinen Ohren.
Bud kam zurück und lehnte sich gegen den Türrahmen.
»Was machst du eigentlich hier?«, fragte ich. »Du müsstest doch in der Schule sein.«
»Ja. Aber mir war nicht danach. Und halt mir bloß keine Vorträge. Von dir lass ich mir da gar nichts erzählen.«
»Hab ich nicht vor.«
»Ich hab das alles so satt.«
Das Wasser fing an zu summen.
»Ich will nicht, dass du Ärger kriegst«, sagte Bud. »Meinst du, sie sind sauer?«
»Wahrscheinlich. Aber ich bleibe hier.«
»Na, wenn du dir einmal was in den Kopf gesetzt hast, kommt keiner dagegen an, das weiß ich.«
»Ich musste einfach wieder hierher zurück.«
Der Kessel pfiff, und Bud ging wieder in die Küche. Er brachte mir Grands Lieblingsbecher aus weißer Keramik, der innen von feinen, braun gefärbten Rissen durchzogen war. Ich trank einen Schluck von dem Tee. Er war stark, süß und milchig, genau wie ich ihn mochte. »Wie geht’s Susan?«, fragte ich.
»Gut. Sie überlegt, auf welches College sie gehen soll. Sie will Lehrerin werden.«
»Sie hat was auf dem Kasten.«
»Ja. Dein Zucker ist fast alle. Was brauchst du sonst noch?«
Wir machten eine Einkaufsliste, und ich erzählte ihm von dem losen Ziegelstein hinter dem Herd. Er nahm sich etwas Geld und steuerte auf die Tür zu.
»Warte«, sagte ich. »Was ist, wenn Stella ihren Radar ausfährt?«
»Ich hab Ida gesagt, ich würd ihr auf dem Heimweg ein paar Sachen mitbringen.« Und damit verschwand er. Als das Tuckern des Fairlane verklungen war, klingelte das Telefon auf dem Tisch im Flur. Wusste Daddy etwa schon Bescheid? Hatte uns jemand gesehen? Sollte ich es einfach klingeln lassen?
Plötzlich hatte ich eine Vorahnung.
Ich zog mich an der Sofalehne hoch, humpelte in den Flur und nahm den Hörer ab. »Hallo?«
Eine winzige Pause, dann Andys Stimme: »Florine?«
Ganz langsam ließ ich mich auf den Stuhl neben dem Telefontisch sinken. »Andy«, sagte ich, und dann fingen wir beide an zu weinen. Ungefähr eine Minute lang lauschten wir nur unserem Schluchzen, Schniefen und abgehackten Atmen. Schließlich sagte er: »Du lebst.«
Ich lachte. »Ja. Und du auch.«
»Ich habe schreckliche Träume gehabt.«
»Ich auch«, sagte ich.
»Es tut mir leid. Es tut mir furchtbar leid.«
»Ist schon gut, Andy. Wir werden es beide überstehen.«
»Ich war verrückt. Ich hätte dich beinahe umgebracht. Es tut mir so leid. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll…«
»Ist schon gut«, sagte ich erneut. »Ich bin einfach nur froh, deine Stimme zu hören.«
»Ich versuche seit zwei Wochen, dich anzurufen. Jeden Tag. Ich hab mich nicht getraut, bei deinem Dad anzurufen, aber ich dachte, irgendwann bist du vielleicht wieder in deinem Haus. Ich hab’s immer wieder versucht. Und ich hab dir eine Karte geschrieben. Hast du sie bekommen?«
»Nein. Aber das überrascht mich nicht. Mach dir deswegen keine Sorgen, Andy.«
»Mein Vater schickt mich auf eine beschissene Militärschule, Florine. Ich weiß nicht, ob ich das ertrage. Wahrscheinlich drehe ich durch. Wie soll ich das bloß überstehen?«
»Du warst bei Outward Bound«, sagte ich. »Du überstehst alles. Du bist stark. Und zäher, als du glaubst.«
»Florine?«
»Ja?«
»Ich hab’s ernst gemeint, als ich gesagt habe, ich liebe dich.«
»Ich weiß.«
Ich hörte, wie bei ihm im Hintergrund eine Tür ging. »Und du?«, flüsterte er. »Ich auch.«
»Ich muss aufhören. Ich liebe dich. Leb wohl.« Und damit legte er auf.
Als Bud zurückkam, saß ich auf dem Stuhl neben dem Telefon und weinte. Er stellte die Lebensmittel ab und half mir wieder aufs Sofa. Dann lief er nach oben, holte eine Packung Kleenex aus dem Bad und setzte sich zu mir.
Ich erzählte ihm, dass Andy angerufen hatte. »Ich weiß, du mochtest ihn nicht. Aber manchmal kann man das Gute in einem Menschen einfach nicht sehen.«
»Er muss irgendwas Gutes gehabt haben. Du bist ja schließlich nicht blöd.«
Ich warf das zusammengeknüllte Kleenex durchs Zimmer. »Doch, ich bin blöd«, rief ich. »Sieh mich doch an! Ich sitze auf dem Sofa meiner toten Großmutter, mit einem gebrochenen Bein, einem verdrehten Rücken und einem halb lahmen Arm. Ich hab die Schule geschmissen. Ich hab keine Mutter. Ich hab keine Zukunft. Ich wird bis in alle Ewigkeit Brot für Ray backen, und ihr anderen zieht weg, und ich werde irgendwann komisch.«
»Du wirst nicht komisch«, sagte Bud.
»So? Aber der Rest stimmt?«
»Ach Quatsch. Okay, du hast die Schule geschmissen, und Carlie ist fort. Und Grand ist gestorben. Aber für die letzten beiden Dinge konntest du nichts. Du hattest damit gar nichts zu tun. Jetzt sieh doch nicht alles so schwarz. So schlimm bist du nicht. Und du hast uns.«
»Nein, hab ich nicht«, sagte ich. »Dottie geht aufs College. Du reparierst Autos und heiratest Susan. Und Glen geht nach Vietnam.«
»Was das Heiraten angeht, mal sehen. Und Glen wird nicht ewig in Vietnam bleiben«, sagte Bud. »Vielleicht könntet ihr ein Paar werden.«
Ich warf ihm einen so finsteren Blick zu, dass er aufstand. »Ich kümmere mich mal um die Einkäufe«, sagte er. »Und dann bringen wir dich am besten nach oben. Ich sag Ma Bescheid, dass sie rüberkommt und dir beim Waschen hilft. Sie kann dir was zum Abendessen machen und dich ins Bett bringen. Ich komme morgen früh wieder und sehe nach, ob Stella und Leeman dich umgebracht haben.«
»Danke«, sagte ich. »Tausend Dank, Bud.«
Er zuckte die Achseln und ging hinaus, um die Lebensmittel wegzuräumen. Dann half er mir nach oben und wartete vor dem Bad, während ich ausgiebig pinkelte. Er brachte mich in Grands Schlafzimmer und setzte mich in den Schaukelstuhl. »Ich sag Ma, dass du hier oben bist«, sagte er. »Sie hilft dir gerne.«
Die Aussicht auf einen Besuch von der sanften Ida heiterte mich auf. Ich nickte und bedankte mich noch einmal bei ihm.
Buds schwere Schritte knarrten die Treppe hinunter. Ich hörte, wie er die Haustür öffnete und wieder zuzog. Er stapfte noch einmal die Treppe hinauf, kam zu mir und hockte sich vor mich hin. »Ich bin froh, dass du nicht gestorben bist, Florine«, sagte er. »Ich hatte Angst davor, und ich hätte dich mein ganzes Leben lang vermisst.« Er gab mir einen Kuss auf die Stirn, polterte wieder nach unten und verschwand.
»Ich bin euch sehr dankbar für alles, was ihr für mich getan habt«, sagte ich zu Daddy und Stella, als sie rübergelaufen kamen, um zu sehen, ob ich noch lebte. »Aber mir geht es schon viel besser, ihr braucht euch keine Sorgen zu machen.«
»Na, wenn du das sagst, Florine, machen wir uns natürlich keine Sorgen mehr«, erwiderte Stella. »Vielen Dank. Dann können wir uns ja ganz entspannt zurücklehnen, nicht wahr, Leeman?«
»Es gibt keinen Grund, sarkastisch zu werden«, sagte ich.
»Was ist, wenn es brennt?«, fragte Daddy. »Es wird nicht brennen.«
»Das weiß man nie.«
»Nein«, sagte ich. »Aber das Risiko ist doch verschwindend gering, meinst du nicht?«
»Das Risiko, mit einem von den Sommerjungs in einen Autounfall verwickelt zu werden, war auch verschwindend gering«, bemerkte Stella. »Und trotzdem ist es passiert.«
»Ich gehe nicht zurück«, sagte ich. »Falls ich verbrenne, dann hier.«
»Wie willst du nach unten kommen?«, fragte Daddy.
»Oh, kein Problem. Ich zeig’s dir.« Ich ließ die Krücken die Treppe hinuntergleiten und wanderte auf dem Hintern von Stufe zu Stufe.
»Toll«, sagte Stella. »Wirklich toll.«
»Daddy, ich bin glücklich hier. Das ist mein Zuhause.«
»Selbst wenn ich dich fessele und rübertrage, krabbelst du doch wieder hierher zurück«, seufzte er.
Ich hatte gewonnen.
Irgendwann in der Nacht wachte ich auf, nicht wegen eines Albtraums, sondern weil ich mich fragte, woher Bud wusste, dass ich meinen Tee mit Milch und Zucker trank.