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Kurz nach meinem sechzehnten Geburtstag fing Grand an, nachmittags ein Nickerchen zu machen. Sie schalt sich wegen ihrer Faulheit, aber ich schlug ihr vor, es als eine ihrer täglichen Aufgaben anzusehen. Sie wehrte sich nicht lange dagegen. »Ich mache jetzt mein Verdauungsschläfchen«, verkündete sie, schleppte ihren massigen Yankee-Körper die Treppe hoch und legte sich für eine Stunde aufs Ohr.
Unser Brot verkaufte sich gut in Rays Laden, und mittlerweile backte ich das meiste davon. Grand strickte immer noch viel für die Handwerkermärkte und auf Bestellung, aber ich kannte jetzt alle Muster und hatte auch schon ein paar widerspenstige Fäden zu etwas Verkäuflichem zusammengeschustert. Ich fing an zu kochen und übernahm mehr von den Dadrunter- und Dahinter-Hausarbeiten.
Ich war froh, dass die Schule bald vorbei sein würde, denn sie ging mir ziemlich auf die Nerven.
»Reine Zeitverschwendung«, schimpfte ich eines Abends, als wir mit Buds Auto nach Hause fuhren. »Da geht’s doch nur darum, wer am besten im Arschkriechen ist und die meisten Freunde hat.«
»Na ja, wir wissen ja alle, warum du nicht beliebt bist«, sagte Dottie.
Susan und Bud hatten einen Riesenkrach wegen der Fahrt nach Crow’s Nest Harbor gehabt, und am Montag danach war sie vor meinem Klassenraum auf mich losgegangen. Es war, als würde man von Bambi angegriffen.
»Was fällt dir eigentlich ein, Bud zu dieser verdammten Fahrt anzustiften?«, schrie sie mich an.
»Er hat es freiwillig getan«, sagte ich, während ein paar Neugierige um uns herum stehen blieben. »Ich habe ihn nicht gezwungen.«
»Wie hätte er denn Nein sagen können?«, brüllte sie. »Du tust ihm leid.«
»Er ist mein Freund. Wir kennen uns schon sehr lange.«
»Es war dumm und egoistisch. Wehe, wenn das noch mal passiert.« Damit stapfte sie wütend davon.
Bud hatte danach tagelang schlechte Laune. Er holte mich ab, sprach aber kaum mit mir. Glen fuhr mittlerweile mit seinem eigenen Pick-up zur Schule, und Dottie übte mit Madeline neben sich für ihre Führerscheinprüfung, sodass wir morgens meist allein zu zweit waren.
»Hast du vor, irgendwann wieder mit mir zu reden, oder soll ich den Bus nehmen?«, fragte ich ihn schließlich.
»Vielleicht war’s besser, du nimmst für den Rest des Schuljahres den Bus«, sagte er.
Ich stieg aus und knallte die Autotür zu. An dem Tag war der Bus schon weg und Glen ebenfalls, also blieb ich zu Hause und sagte Grand, ich fühlte mich nicht wohl.
Dann wurde es Sommer. Ich backte weiter Brot und half Daddy ein paar Tage in der Woche auf der Florine, da es Sam Warner nicht immer schaffte, morgens pünktlich am Boot zu sein. Wenn das passierte, holte Daddy mich aus dem Bett, und ich fuhr mit ihm raus. Es tat gut, auf dem Wasser zu sein. Es löste alles Kribbelige in uns auf. Wir arbeiteten hart, aber in Frieden. Wir sprachen nicht über Dinge, die zu einem Streit führen konnten, sondern taten einfach, was getan werden musste, und schwiegen die meiste Zeit. Es machte Spaß, in den Hafen zu fahren und Grand auf der Veranda zu sehen, wie sie uns zuwinkte. Bis sie eines Nachmittags nicht da war.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Daddy. »Sie hat noch keinen Tag gefehlt.«
Während er mit Stinnie über die Hummerpreise feilschte, rannte ich hoch zu Grands Haus. Als ich in die Küche stürmte, stand Stella am Herd und kochte.
»Wo ist Grand?«, fragte ich sie.
»Oben im Bett, mit einer Grippe«, sagte Stella. »Sie kam in den Laden und sah aus wie ein Geist, also habe ich sie hierher zurückgebracht. Sie schläft. Vielleicht sollte sie besser -« Doch ich lief schon die Treppe hinauf. Die Vorhänge waren zugezogen, und in ihrem Schlafzimmer war es dämmrig. Ich stand im Türrahmen und versuchte zu erkennen, ob sie wach war oder nicht.
»Mir geht’s gut«, sagte Grand mit rauer Stimme. »Hab mir irgendwelche dämlichen Bazillen eingefangen. Bleib lieber draußen. Ich will nicht, dass du dich auch noch ansteckst.«
Ich gab ihr einen Kuss auf die warme, trockene Stirn. »Brauchst du irgendwas?«
»Stella hat mir vorhin Tee raufgebracht«, sagte sie. »Ich bleib einfach still hier liegen, vielleicht verschwinden die Bazillen dann aus Langeweile.«
Ich gab ihr noch einen Kuss, schloss die Tür und ging ins Bad, um mir den Ködergeruch abzuduschen. Als ich wieder rauskam, roch das ganze Haus nach Brathähnchen. Ich hörte, wie Daddy unten mit Stella sprach.
»Toll«, murmelte ich vor mich hin. »Eine große, glückliche Scheißfamilie.« Ich schlüpfte in saubere Shorts und ein altes T-Shirt. Dann öffnete ich Grands Schlafzimmertür einen Spalt und lauschte. Als mir ein leises, gleichmäßiges Schnarchen verriet, dass sie noch lebte, zog ich die Tür wieder zu und ging nach unten. Doch mein Herz stemmte sich mit aller Kraft dagegen, während meine Füße die Treppe hinunter- und in die Küche stapften.
Stella hatte den Tisch gedeckt, mit dem Hähnchen, Maiskolben und süßen Brötchen, die sie schnell gebacken hatte. Sie saß am Ende des Tisches und füllte Daddys Teller.
»Das ist Grands Stuhl«, sagte ich zu Stella.
»Meinst du, es macht ihr etwas aus, dass ich hier sitze, Leeman?«, fragte sie ihn.
»Nein«, sagte Daddy. »Setz dich, Florine.«
Ich zog meinen Stuhl heraus und setzte mich dicht neben ihn.
»Wie geht es ihr?«, fragte er.
»Sie schläft«, sagte ich. »Ihr geht’s bestimmt bald wieder gut.«
»Ich hab ‘nen Riesenschreck gekriegt, als sie nicht auf der Veranda stand«, sagte Daddy.
»Sie hat mir erzählt, dass sie in letzter Zeit oft müde ist«, sagte Stella. »Ich helfe ihr gerne, wenn sie es möchte.« Sie sprach mit Daddy, als wäre ich gar nicht im Raum. Als würde meine Hilfe nicht ausreichen.
Ich sagte: »Glaubst du vielleicht, ich kann mich nicht um sie kümmern?«
Daddy schlug mit seiner großen Faust auf den Tisch. »Können wir nicht ein einziges verdammtes Mal zusammen essen, ohne dass du patzig wirst, Florine? Reiß dich gefälligst zusammen, Himmelherrgott noch mal. Stella hat doch nur ihre Hilfe angeboten. Was ist daran denn so schlimm?«
Ich brüllte: »Wir haben seit Jahren nicht mehr zu dritt gegessen und vorher auch nur zwei Mal, das ist also erst das dritte Mal, dass ich patzig bin. Außerdem ist das hier Grands und mein Haus, und ich kann tun und sagen, was ich will. Ihr wohnt hier nicht.«
Daddy nahm seinen Teller, stapelte die Teller mit dem Hähnchen, den Maiskolben und den Brötchen obendrauf und sagte nur: »Komm.« Überrascht folgte Stella ihm. Im Flur trafen sie auf Grand, die gerade die Treppe herunterkam. Daddy sagte zu ihr: »Ma, ich komme später noch mal rüber. Geht’s dir wieder besser?«
Grands Gesicht war grau wie alter Kitt, aber sie sagte: »Besser als euch dreien, wie’s aussieht.« Daddy riss polternd die Fliegengittertür auf und stapfte hinaus. Stella schloss sie leise hinter sich. »Setz dich«, sagte ich zu Grand. »Ich mache dir einen Tee.«
»Was ist passiert?«, fragte sie und ließ sich auf ihren Stuhl sinken.
»Nichts, worüber du dich aufregen müsstest. Willst du einen Toast?«
»Ach, Florine«, seufzte sie. »Warum musst du nur immerzu kämpfen?«