13
Carlie war immer Herz und Seele von Weihnachten gewesen, hatte das Haus von oben bis unten geschmückt und laut die Weihnachtslieder im Radio mitgesungen. Sie hatte mich am Weihnachtsmorgen geweckt, damit ich meinen Strumpf aufmachen konnte, und sie hatte es nie abwarten können, dass wir die Geschenke auspackten, vor allem diejenigen, die sie für Daddy und mich ausgesucht hatte.
Daddy und ich taten unser Bestes. Wir schleppten uns in den Wald, hackten einen armen kleinen Baum ab, schleiften ihn nach Hause und schmückten ihn. Aber es war eine stille Unternehmung, abgesehen von meinem Geschniefe und dem Zischen, wenn er eine seiner ‘Gansett-Dosen aufmachte.
Früh am Weihnachtsmorgen fiel mein Strumpf mit einem Hing vom Bett. Ich ließ ihn auf dem Boden liegen und starrte an die Decke, weil ich wusste, dass Daddy ihn gefüllt und dort hingelegt hatte. In der Küche raschelte eine Zeitung, und Daddy räusperte sich. Ich zog mich an, hob meinen Strumpf auf, ging zu ihm und sagte: »Lass uns zu Grand gehen.«
Eigentlich hatten wir bis zum Weihnachtsessen warten wollen, das ungefähr um zwölf losging. Daddy hatte gemeint, wir beide sollten auch mal ein bisschen Zeit für uns haben, und er hatte sich ausgerechnet den Weihnachtsmorgen ausgesucht, um damit anzufangen. Aber er war schnell bereit, seine Planung zu ändern, und so nahmen wir unsere Geschenke und stapften durch den eisigen Wind und die dicken, nassen Schneeflocken, die vom Wasser herüberwirbelten, hinüber zu Grand.
Ich verteilte die Geschenke unter Grands Baum, und dann packten wir sie aus. Für Daddy und mich hatte Madeline ein Aquarell vom Hafen kurz vor Sonnenuntergang gemalt, mit der Carlie Flo an ihrer Boje. Ida hatte mir einen zweiten Quilt genäht, mit lauter bunten Schmetterlingen auf blauem Grund. Von Dottie bekam ich zwei dicke Little-Lottie-Comics, eingepackt in die Witzseite einer alten Sonntagszeitung. Grand hatte mir einen dicken, warmen Pullover aus weicher hellgrüner Wolle gestrickt, und Daddy hatte irgendwie die Zeit gefunden, mir einen Stapel Nancy-Drew-Bücher zu kaufen. Mit Grands Hilfe hatte ich Daddy einen himmelblauen Schal und eine passende Mütze gestrickt, die toll zu seinen Augen passten. Und mit Madelines Hilfe hatte ich Grand ein Aquarell von ihrem Garten im Sommer gemalt.
Ich hätte schwören können, dass Carlie im Schneidersitz neben mir auf dem Boden saß und sich gespannt zu mir rüberbeugte, während ich meine Geschenke aufmachte. Deshalb war ich erleichtert, als wir alles ausgepackt hatten und das Ganze vorüber war. Oder vielmehr dachte ich, es wäre vorüber. Doch dann griff Daddy in Grands Weihnachtsbaum und holte eine kleine Schachtel heraus, die in Goldpapier und weißes Schleifenband verpackt war. Er gab sie mir und sagte leise: »Das ist von deiner Mutter und mir.«
Ich sah ihn verwirrt an.
»Nur zu, mach’s auf.«
Im Innern war eine grüne Samtschatulle. Ich klappte sie auf, sagte »Oh!« und klappte sie wieder zu.
Grand griff nach der Schatulle, öffnete sie und nahm einen Goldring mit einem kleinen grünen Stein heraus.
»Dein Geburtsstein«, sagte sie. »Ein echter Smaragd. Gib mir deine Hand.« Sie schob ihn auf meinen rechten Ringfinger, und er rutschte mit dem Stein nach unten.
»Verdammt«, sagte Daddy. »Er ist zu groß.«
»Sie wird hineinwachsen«, sagte Grand. »Und bis dahin hab ich genau das Richtige.« Sie verschwand nach oben. Ich starrte den Ring an, strich mit dem Finger über die winzigen Krallen, die den Stein hielten.
Daddy sagte: »Carlie wollte dir zu deinem nächsten Geburtstag einen Ring schenken. Aber ich fand, du solltest ihn jetzt schon haben.«
Grand kam mit einer Goldkette wieder herunter. Sie nahm mir den Ring ab, zog die Kette hindurch und legte sie mir um den Hals. Dann sagte sie: »Lasst uns essen.«
Später trotteten Dad und ich mit unseren Geschenken durch eine dünne Schneeschicht zurück nach drüben. Die Luft prickelte wie Cider, und ihre vertraute Schärfe besänftigte mich.
Abends im Bett leuchtete ich mit der Taschenlampe auf den Smaragd und drehte ihn hin und her, um ihn funkeln zu sehen. Ich schlief ein, die Hand fest um den Ring geschlossen.
Am nächsten Morgen, während ich beim Frühstück saß, mummelte Daddy sich dick ein, um Schnee zu schippen. Er warf einen Blick aus dem Küchenfenster und wich erschrocken zurück. »Großer Gott, was will die denn hier?«
»Wer? Was ist los?«
»Bloß das nicht«, sagte er und lief zu der Tür, die nach oben führte. Die beiden Zimmer im oberen Stock waren unbeheizt, weil wir sie nie benutzten. Wir bewahrten dort nur unseren Krempel auf und den von Dotties Großmutter Hattie Butts, die vor uns hier gewohnt hatte, dann nach Florida gezogen und dort gestorben war.
»Sag ihr, ich bin nicht da«, rief er und zog die Tür hinter sich zu.
Ich schaute aus dem Fenster und sah Stella Drowns durch den Schnee auf unser Haus zustapfen. Kurz darauf klopfte sie an der Küchentür, erblickte mich durch die Scheibe und winkte mir mit ihrer roten Handschuhhand zu, als wären wir Freundinnen. Ich starrte sie nur an. »Guten Morgen, Florine«, rief sie, und die warme Luft ihres Atems schlug sich auf der Scheibe nieder und ließ ihr Gesicht verschwimmen. Sie wischte den Nebel weg und lächelte mich an, während ich widerstrebend zur Tür ging, um sie hereinzulassen.
»Hallo«, sagte sie, eine Haube aus kalter Luft um ihr schwarzes Haar. Ihre Wangen schimmerten rosig, abgesehen von der Narbe, und ihre grauen Augen hatten dieselbe Farbe wie der schneeschwere Himmel. »Habt ihr Weihnachten gut überstanden?«
Ich schnaubte. Der Ring bewegte sich an der Kette, und ich griff danach und schob ihn sirrend hin und her.
»Oh, hast du den gestern bekommen?«, fragte Stella. »Er ist wunderschön.«
»Er ist von meiner Mutter«, sagte ich.
»Ich habe euch beiden einen Marmorkuchen gebacken.«
»Wir haben schon gegessen.«
»Ist dein Vater zu Hause?«, fragte sie.
»Ja. Aber er hat dich kommen sehen und gesagt, ich soll dir sagen, er wäre nicht da.«
Stella legte den Kopf schief wie ein verwirrter Welpe. »Was meinst du damit?«
Ich wollte den Satz gerade wiederholen, da kam Daddy die Treppe runter und stellte sich zu uns an die Tür. Er schob die Hände in die Taschen und trat verlegen von einem Fuß auf den anderen.
»Morgen, Stella«, sagte er. »Komm doch rein.«
»Oh, danke. Florine meinte, du hättest ihr gesagt, sie soll mir sagen, du wärst nicht da.«
»Na, das hast du doch auch gesagt«, sagte ich. Daddy warf mir einen Blick zu, und Stella lachte.
Sie und Daddy setzten sich an den Küchentisch, tranken Kaffee und aßen Kuchen. Sie fragte, ob ich auch welchen wollte. Er duftete köstlich, aber ich schüttelte den Kopf. Ich setzte mich vor den Fernseher und wartete darauf, dass sie ging -
Als sie endlich weg war, sagte Daddy: »So, das wäre überstanden.«
Ich fragte: »Warum ist dein Gesicht so rot?«