32
In meinem letzten Schuljahr entwickelte Terry Comeau, das Mädchen, das sich über Rose lustig gemacht hatte, einen regelrechten Pik auf mich. Wir hatten dreimal in der Woche Sport zusammen, und sie und ihr Gefolge nutzten jede Gelegenheit, mir eins auszuwischen.
»Was ist eigentlich mit der los?«, fragte ich Bud und Glen eines Abends, als wir nach der Schule zusammen in Buds Fairlane nach Hause fuhren. Dottie war beim Bowlen. Da war sie in letzter Zeit eigentlich immer. »Sie hurt rum«, sagte Glen. »Woher weißt du das?«
»Ich hab so was gehört.«
»Sie hatte was mit Kevin Jewell«, sagte Bud. »Das kann sie von mir aus auch weiterhin haben«, sagte ich. Vielleicht war Kevin ein Grund, weshalb sie es auf mich abgesehen hatte. Aber mir fielen noch ein paar andere ein. Als ich Rose vor ihren Sticheleien gerettet hatte, war ich ihr in die Quere gekommen. Ich kam nicht aus Long Reach. Ich war anders gebaut als die Mädchen aus Terrys Clique. Ich war groß und hatte keine nennenswerten Kurven aufzuweisen, während die anderen wohlgeformte Beine, perfekte B-Körbchen-Brüste und winzige Taillen zur Schau trugen.
Am meisten piesackte Terry mich beim Umziehen. Ich stellte mich immer mit dem Gesicht zur popelgrünen Wand der Umkleide, wenn ich mich anzog, und konzentrierte mich ganz darauf, meinen Schmalspur-BH zuzuhaken oder die Nylons über meine mageren Beine zu ziehen. Doch irgendwann kam von hinten unweigerlich Terrys Stimme: »Hey, Florine, haben sie dich eigentlich so genannt, weil du Flöhe hast? Florine, die Flohtrine. Passt doch gut zu dir, findest du nicht?«
Eines Tages würzte sie den üblichen Mist, den sie von sich gab, mit etwas Mysteriösem.
»Flohtrine ist immer noch besser als der andere Spitzname, den sie für dich haben«, sagte sie und wandte sich zum Gehen. »Bis dann, Heiße Flunder«, rief sie über die Schulter. Sie und ihre Freundinnen kicherten, als sie die Umkleide verließen. Ich wartete, bis sie endgültig verschwunden waren, bevor ich in ihrem parfümierten, desodorierten Kielwasser folgte.
»Warum haben sie mich so genannt?«, fragte ich Bud und Glen später auf der Heimfahrt. Ein merkwürdiges Schweigen hing in der Luft, und ich fragte erneut: »Warum?«
»Sag’s ihr nicht«, sagte Bud. »Sag’s ihr bloß nicht.«
»Ich habe ein Recht, es zu wissen. Warum zum Teufel nennen sie mich Heiße Flunder?«
»Verdammt, Bud, wir müssen es ihr sagen«, sagte Glen.
»Nein. Tu’s nicht.«
»WARUM NENNEN SIE MICH SO?«, brüllte ich dem armen Glen ins Ohr.
»>Heiß< bedeutet leicht rumzukriegen«, sagte Glen und schrumpfte in seinem Sitz zusammen. »Das mit der Flunder bedeutet, dass du obenrum platt bist und untenrum nach Fisch riechst. Nicht schlagen!«
»Wer zum Teufel sagt das?«, fragte ich.
»Kevin Jewell hat damit angefangen«, sagte Glen.
Ich sank in meinen Sitz zurück. Mein Gesicht glühte so, dass es mühelos die Autoheizung hätte ersetzen können. »Warum sagt er so was? Wir haben doch überhaupt nichts gemacht.«
»Weil er ein Arschloch ist«, sagte Bud.
Obwohl ich - abgesehen von meiner Scham - nichts für Kevin Jewell empfand, wurde die Umkleide durch die Tatsache, dass ich mit ihm »zusammen gewesen war<, für mich zur Hölle.
»Heiße Flunder«, sagte Terry zu ihren kichernden Freundinnen, »schmeckt besonders gut mit Presswurst.« Oder: »Heiße Flunder ist nur am ersten Tag genießbar. Danach wird sie schlecht und fängt an zu stinken.« Und so weiter. Ich schluckte alles runter. Bis zu einem Tag im November, als sie das Thema wechselten.
»He, Heiße Flunder, stimmt es, dass deine Mutter abgehauen ist?«, fragte Terry.
In der Umkleide wurde es still, abgesehen vom Rauschen der Duschen.
Meine Hände zitterten, als ich, mit dem Rücken zu ihr und in ein Handtuch gewickelt, meine Haare bürstete. »Bist du taub oder was?«
Ich drehte mich um, und das Handtuch fiel zu Boden. »Das geht dich einen Scheißdreck an«, sagte ich mühsam beherrscht.
Terry musterte mich von Kopf bis Fuß und spielte die Geschockte. »Ich kann gar nicht glauben, dass du dieses Wort gesagt hast, Flohtrine. Dafür könntest du einen Verweis kriegen.«
»Na los, dann verpetz mich doch.«
»Kein Wunder, dass deine Mutter abgehauen ist«, sagte Terry. »Mit dir würd ich’s auch nicht aushalten.«
»Jetzt reicht’s aber.« Ich trat auf sie zu, nackt und mit Mordlust im Bauch.
Sie wich einen Schritt zurück. »Ich wollte doch nur nett sein. Kein Grund, mich so anzubrüllen.«
»Was zum Teufel soll denn daran nett sein? Du hast doch noch nie ein vernünftiges Wort mit mir gewechselt. Du machst dich nur über mich lustig. Und übrigens, ich hab nie mit Kevin Jewell gevögelt.« Ich sah alle Mädchen an. »Ich werde euch jetzt sagen, was ich über meine Mutter weiß, und dann lasst ihr mich gefälligst in Ruhe, okay? Ja, sie ist verschwunden, als ich elf war. Sie ist nie wiederaufgetaucht. Die meisten von euch haben ja wahrscheinlich vor ein paar Jahren in der Zeitung darüber gelesen. Ich vermisse sie nach wie vor, und ich weine nachts immer noch oft. Noch irgendwelche dämlichen Fragen? Sonst lasst mich in Ruhe.«
Es blieb ziemlich still, während ich mich anzog, meine Bücher aus dem zerbeulten Schrank nahm, die Tür zuknallte und ging. So, dachte ich, jetzt könnt ihr hinter wir herlaufen und meine Fährte aufnehmen.
Ich war kaum aus der Umkleide heraus, da stieß ich mit einem großen Mann zusammen.
»He, pass auf, wo du hinläufst«, sagte er. Ich blickte auf und entschuldigte mich. Dann sah ich ihn genauer an. Seine Haare waren nicht mehr mit Brillantine zurückgekämmt, und das Schwarz war von Grau durchzogen, aber ich kannte seine blauen Augen, und als er lächelte, schob sich ein Zahn über seine Unterlippe. »Ich kenn die Regeln nicht«, hörte ich ihn am Strand zu Carlie sagen.
»Sie sind’s«, sagte ich.
Er sah mich verwirrt an und lachte ein wenig. »Ja, ich bin’s, aber wer bist du?«
»Schiefzahn-Mike«, sagte ich. Sein Lächeln erstarb. »Sie waren mit Patty und meiner Mutter am Strand. Sie kannten meine Mutter. Sie haben sich benommen, als würden Sie sie ziemlich gut kennen.«
»Wovon redest du? Wer bist du? Und wer ist deine Mutter?«
»Carlie Gilham.«
Mike wich einen Schritt zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und musterte mich mit zusammengekniffenen Augen. »Ach, du bist ihre Tochter«, sagte er. »Lorraine?«
»Nein, Florine.«
»Florine«, sagte er und nickte. »Als die Polizei damals bei mir vor der Tür stand, wäre beinahe meine Ehe zerbrochen.«
»An dem Tag am Strand schien Ihre Ehe Sie aber nicht groß zu kümmern.«
»He, jetzt mach aber mal halblang.« Mike streckte die Arme vor sich aus, als hätte er Angst, dass ich mich auf ihn stürzte. »Florine, das mit deiner Mutter tut mir leid. Sie war eine nette Frau. Wir haben geflirtet, weiter nichts. Im Restaurant. Ich hab in dem Sommer Milch für die Maplehurst Dairies ausgefahren. Ab und zu hab ich im Lobster Shack Pause gemacht und ein bisschen mit Patty und Carlie geschäkert. Eines Tages hat Patty mich eingeladen, mit an den Strand zu kommen. Aber das war auch alles. Ich hätte deiner Mutter nie etwas getan.«
Ich starrte ihn an, und in mir wurde alles zu Stein.
»Hör mal, Florine, ich mache heute Vertretung für den Sportlehrer bei den Jungs, und ich muss los. Ist alles okay? Ich schwöre dir, ich hätte Carlie niemals etwas getan. Sie war nett. Sie war witzig. Und sie liebte deinen Vater. Das wusste jeder. Glaubst du mir?«
Ich wandte mich ab und ging zu meinem Klassenzimmer. Ich war spät dran. Den Rest des Tages saß ich wie benebelt da und dachte an Carlie, den Strand, Mike und die Zeit damals. Diese furchtbare, qualvolle Zeit. In Gedanken war ich immer noch da, als ich zu Bud ins Auto stieg. Er war allein. Glen hatte früher Schluss gehabt und arbeitete bei Ray im Laden, und Dottie war beim Bowlen.
»Ich hab gehört, du bist in der Umkleide ausgerastet«, sagte Bud.
»Stimmt.«
»Muss gutgetan haben.«
Danach schwiegen wir, bis wir bei Grands Haus waren. »Du bist besser als die alle«, sagte Bud. »Das weißt du doch, oder?«
»Ich wünschte, das alles wäre nie passiert. Ich wüsste gern, wie mein Leben dann verlaufen wäre.«
»Auf jeden Fall anders. Aber ich finde, du hast es gut hingekriegt. Ich weiß nicht, ob ich das geschafft hätte, ohne durchzudrehen. Du bist was Besonderes.« Er drückte kurz meine Hand.
»Danke fürs Mitnehmen«, sagte ich. Wir sahen uns an und lächelten.
»Bis morgen«, sagte er. Ich sah ihm nach, wie er davonfuhr, dann ging ich ins Haus, um mit Grand einen Tee zu trinken.
Sie war nicht in der Küche. Der Wasserkessel blubberte, und ich drehte das Gas ab. Als ich den Kessel vom Herd nahm, merkte ich, dass kaum noch Wasser darin war. »Oh Grand«, sagte ich und ging ins Wohnzimmer, um sie mit ihrer Schusseligkeit aufzuziehen. Sie lag zwischen dem Sofa und dem Beistelltisch auf dem Boden. Sie stöhnte, und ich lief zu ihr.