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Als ich aufwachte, war das Laken so voller Blutflecken, dass ich mich fragte, ob Andy bei mir irgendetwas kaputt gemacht hatte, doch dann ging mir auf, dass es wohl nur meine Tage waren. Sie kamen nie in regelmäßigen Abständen, sondern wann es ihnen gerade passte, und ich war nie darauf vorbereitet. Ich schwang mich aus dem Bett und zog mir etwas an, um mir in Rays Laden das Nötige zu besorgen.
Es war bitterkalt, und ich hoffte, dass Andy in der Nacht nicht erfroren war. Als ich im Laden ankam, hörte ich Stella gackern; sie erzählte Ida gerade von einem Film, den sie sich am Abend zuvor mit Daddy im Kino angesehen hatte. Ich stand schon mit meiner Packung Binden an der Kasse, als sie hinter den Regalen hervorkam.
»Wir haben bei dir reingeschaut, um dich zu fragen, ob du mitkommen willst«, sagte sie. »Der Fernseher lief, aber du warst nicht da.«
»Ich bin mal kurz rausgegangen«, sagte ich und legte die Binden auf den Tresen.
»Oh. Wohin denn?«, wollte Stella wissen.
Ray packte die Binden in eine Tüte.
»Wo warst du letzte Nacht?«, bohrte Stella nach.
»Auf dem Mond. Und du?«
»Na ja, geht mich wohl nichts an.«
»Stimmt.«
Sie ließ mich stehen und ging zu Ida an die Lebensmitteltheke zurück.
Ich gab Ray das Geld für die Binden.
»Warst noch spät unterwegs«, sagte er. »Hab dich gesehen, wie du vom Wald runtergekommen bist.«
»Es war eine schöne Nacht. Ich hatte Lust, spazieren zu gehen. So wie du Lust hattest, aus dem Fenster zu schauen. Wenn ich’s gewusst hätte, hätte ich gewinkt.«
»Schon gut, reg dich nicht auf. Ich sag bloß, was ich weiß.«
»Da gibt’s nicht viel zu wissen.«
»Und ich weiß noch was«, sagte Ray. »Ich weiß, dass der junge Barrington im Sommerhaus ist.«
»Wie der sich da wohl warm hält?«
»Bring mir morgen ein paar Brote. Ich hab ‘ne Bestellung aus der Stadt, für fünf Stück.«
Ich stöhnte, als ich die Straße hinunterging. Das Letzte, worauf mein schmerzender Körper jetzt Lust hatte, war, Brotteig anzurühren und zu kneten. Aber ich brauchte das Geld.
Zu Hause versorgte ich mich mit einer Binde und legte mich wieder ins Bett, bis Dottie gegen drei kam und sich zu mir auf die Bettkante setzte.
»Ray hat gesagt, du wärst heute Nacht oben bei den Cheeks gewesen«, sagte sie. »Stimmt das?«
Ich setzte mich auf. Mir taten die Arme weh. Was hatten wir nur damit angestellt?
»Ach, Himmel noch mal«, sagte ich. »Steht’s jetzt schon in der Zeitung, oder was?«
»Nein. Aber weil du meine beste Freundin bist und so, dachte ich, ich frag mal.«
»Wo wir grad bei besten Freundinnen sind - wieso hast du Bud erzählt, dass ich auf ihn stehe?«
»Ist mir halt so rausgerutscht«, sagte Dottie. »Wie soll ich dir dann vertrauen?«
Dottie zuckte die Achseln. »Hast ja recht. Wird nicht wieder vorkommen. Ehrenwort.«
»Also gut. Ich hab mit ‘nem Typen geschlafen. Willst du damit jetzt zum Laden rennen und es rumposaunen?«
»Jesses nee! Das ist ja ‘ne Neuigkeit«, kiekste sie. »Du hast mit ’nem Typen geschlafen?«
Ich nickte.
»War es Andy Barrington? Der mit den Knallern?«
»Genau der.«
»Ich dachte, du wolltest dich für Bud aufheben.«
»Wie du so treffend festgestellt hast, hat das wohl wenig Sinn.«
»Stimmt. Willst du mir davon erzählen?« Ich tat es, vom Eintopf bis zum Sex. »Und, wie war’s?«
»Gut. Ich kann mich bloß nicht mehr an viel erinnern.«
»Sollte ich auch mal versuchen«, sagte Dottie. »Gus hat Tillie erzählt, dass er jederzeit mit mir ausgehen würde.«
»Dann mal los.«
Sie zuckte die Achseln. »Ist nicht mein Typ. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er auf mir liegt und ich schreie: >Gus, Gus!<« Kurz darauf ging sie.
Ich war gerade im Bad, da klopfte es erneut an der Haustür.
»Ist offen«, rief ich. Als ich nach unten ging, stand Bud im Flur.
»Was ist los? In den letzten paar Tagen hab ich dich öfter gesehen als sonst in einem ganzen Monat«, sagte ich.
»Ich muss was loswerden«, sagte er. »Er ist nicht gut für dich.«
»Wer ist nicht gut für mich?«
»Andy.«
»Hast du es von Dottie?«
»Nee, im Laden aufgeschnappt.«
»Was geht dich das überhaupt an?«
»Ich hab da ein paar Sachen gehört.«
»Alle haben heute irgendwas gehört«, sagte ich. »Vielleicht sollte der ganze verdammte Ort mal zum Ohrenarzt gehen.« Ich brannte darauf, zu erfahren, was er gehört hatte, aber ich würde den Teufel tun und ihn danach fragen.
»Ich wollte dich nicht aufregen. Ich dachte bloß, du solltest es wissen.«
»Vielen Dank für die Aufklärung.«
»Ich hätte wohl besser nichts gesagt.«
»Ja, darin bist du echt unschlagbar«, sagte ich sarkastisch.
Er drehte sich um und ging. Die Tür fiel mit einem leisen Klicken ins Schloss.
Die Art, wie er die Tür hinter sich zuzog, so ruhig und höflich, als wäre ich eine Verrückte, brachte mich in Rage. »Du sagst nie irgendwas!«, brüllte ich durch die Tür. »Hättest auch du sein können.«
Ich ballte die Fäuste, verzweifelt auf der Suche nach etwas, woran ich meine Wut auslassen konnte. Dann fiel mir die Brotbestellung wieder ein. Ich marschierte in die Küche, rührte den Teig für die ersten zwei Laibe an und schlug ihn windelweich, während ich auf Stella, Ray und Dottie schimpfte, und sogar auf Andy.
Doch vor allem war ich wütend auf Bud. Obwohl er sonst kaum die Zähne auseinanderkriegte, hatte er es geschafft, mir vor Augen zu führen, dass ich mich jemandem hingegeben hatte, den ich kaum kannte. Ich hatte mir selbst jede Chance genommen, jemals mit ihm zusammen zu sein, indem ich mit einem von den Sommerjungs gevögelt hatte, in einem eiskalten Haus, in das ich normalerweise nicht mal zu einem Cocktail eingeladen würde.
»Bud Warner, du verdammter Mistkerl«, fluchte ich lautstark und schleuderte den Teigklumpen an die Küchenwand, wo er einen Moment kleben blieb und dann zu Boden klatschte.
»Alles in Ordnung, Florine?«, erklang plötzlich Daddys Stimme hinter mir, doch ich war zu deprimiert, um überrascht zu sein.
»Nein.« Ich ging zu ihm und schlang die Arme um ihn. »Ich fühle mich beschissen.«
Er strich mir ein paarmal über den Rücken und sagte leise: »Schhhh«, bis ich mich aufraffen konnte, mich zu bücken und den Teig aufzuheben.
»Stella hat mir gesagt, du wärst letzte Nacht draußen gewesen.«
»Ja, war ich. Oben bei den Cheeks. Weißt du das etwa noch nicht? Außer dir wissen es alle.«
»Ist halt ein kleiner Ort.«
Ich warf den Teig weg, feuchtete ein Geschirrtuch an und versuchte, die Flecken an der Wand wegzuwischen, doch sie waren bereits eingezogen, eine bleibende Erinnerung an meinen Wutanfall.
»Florine, mir gefällt das nicht, dass du dich mit diesem Jungen triffst.«
»Mir hat’s auch nicht gefallen, dass du dich mit Stella triffst. Hat dich aber nicht davon abgehalten, oder?«
»Wir reden jetzt über dich und diesen Jungen.«
»Er heißt Andy.«
»Ich wäre dir dankbar, wenn du mir einen Moment zuhören würdest.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn abwartend an.
»Findest du es nicht seltsam, dass er hier im Sommerhaus ist, ohne Strom und Heizung und so weiter? Wieso ist er nicht in der Schule?«
»Er hat früher Ferien gekriegt, weil er so gute Noten hatte, und da hat er halt beschlossen, hierherzukommen. Er war öfter bei diesen Abenteuercamps, und er fand es witzig, hier im Haus zu campen. Was ist so schlimm daran?«
»Erst mal gar nichts. Aber wenn’s geht, bring ihn doch mal mit, damit wir ihn kennenlernen. Tust du das für mich?«
»Ich versuch’s«, sagte ich.
»Willst du rüberkommen und mit uns zu Abend essen?«
»Nein. Ich bin müde.«
»Pass auf dich auf«, sagte Daddy, dann ging er.
Ich backte das Brot für Ray, und während der Teig ging, strickte ich an einem Babypullover. Ich ließ mir die Dinge, die ich zu hören bekommen hatte, durch den Kopf gehen, bis alle getrocknet, gefaltet und sortiert waren, aber ich schaffte es nicht, sie in den Schrank zu räumen. Jedes Mal, wenn ich versuchte, mir Andy als jemand Böses vorzustellen, sah ich seine Augen, strahlend und voll von mir. Gegen elf machte ich den Ofen und das Licht aus und hangelte mich die Treppe hinauf in mein Zimmer.
Morgen, dachte ich, wird The Point ein neues Thema haben. Ich sank ins Bett, bereit, meinen Träumen das Steuer zu überlassen. Doch bevor sie es übernehmen konnten, hörte ich ein leises Klopfen an der Hintertür.