Infokasten: Braunes Fettgewebe

Braunes Fettgewebe hat Ähnlichkeit mit Vorläufern des Muskelgewebes und macht das Gegenteil vom gehassten weißen Bruder: Während weiße Fettzellen Energie in Form von Fetttröpfchen in den entsprechenden Pölsterchen vornehmlich an Bauch, Hüfte und Oberschenkel ansetzen, verbrennen die braunen ihre weißen Brüder und erzeugen so Wärme. Kurzum: Braunes Fettgewebe kann überschüssige Kalorien in „heiße Luft“ auflösen. Zu dieser reinen Wärmeproduktion, der „Thermogenese“, ist in Säugetierkörpern nur das braune Fettgewebe in der Lage. Der Mensch hat als Baby viel davon, im Lauf der Zeit verschwindet der Großteil aber wieder. Wie viel braunes Fett Erwachsene noch besitzen ist nicht ganz klar, teilte die Universität Maastricht mit. Klar hingegen ist: Wie immer in der Natur gibt es auch hier Variationsbreiten: Manche Individuen sind besser ausgestattet als andere. So entdeckten Forscher der Harvard Medical School bei der Untersuchung von zwei unterschiedlichen Mäuselinien bei einer der beiden Mausgruppen einen 700-fach höheren Anteil an braunem Fettgewebe. Deren zusätzliche Verbrennungseinheiten führten dazu, dass die „braunen Mäuse“ einen signifikant höheren Grundumsatz hatten und bei gleicher Überfütterung 30 bis 50 Prozent weniger Gewicht zulegten als die „weißen Mäuse“. Eine interessante Entdeckung des schwedischen Karolinska-Instituts überraschte im Januar 2009 auch die Leser einiger deutscher Medien: Werden Mäuse kalten Minusgraden ausgesetzt, so verwandelt sich deren weißes Fett teilweise in braunes Fettgewebe. Der naheliegende Grund: Der Mäusekörper erhöht seinen Grundumsatz durch Wärmeerzeugung, um dem Tod durch Erfrieren vorzubeugen. Die Schlagzeile lautdurch Erfrieren vorzubeugen.ete übrigens: „Kälte macht schlank.“ Anfang 2011 gaben auch Forscher des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf einen Mechanismus bekannt, wie braunes Maus-Fettgewebe nach Konfrontation mit Kälte ein umfangreiches Stoffwechselprogramm in Gang setzt – was dafür sorgt, dass überschüssiges Fett binnen Stunden aus dem Blut und dem weißen Fettgewebe „gesogen“ und im braunen Ofen verheizt wird. Gemäß Studienleiter wurden die kalt gestellten Mäuse „quasi über Nacht wesentlich dünner.“

Ob diese „arktische Adipozytentransformation“ auch bei unserer Spezies Mensch in sichtbarem Maße erfolgt, muss die Forschung erst noch belegen. Grundsätzlich lässt sich aber vermuten: Schlanke Menschen haben mehr „Braunes“ als ihre fülligeren Artgenossen. Genau das und einiges mehr konnten drei internationale Forschergruppen aus den Niederlanden, Schweden und den USA im April 2009 belegen. Ihre Studienergebnisse erschienen im renommierten New England Journal of Medicine: Dünne Menschen verfügen über mehr aktives braunes Fettgewebe als dickere und Frauen sind damit besser bestückt als Männer. Dabei heizt unser „brauner Ofen“ in erster Linie bei Kälte ein, um Wärme zu erzeugen. Leider nimmt die „Heizkraft“ (sprich Menge) im Alter ab. Diese Erkenntnis des Universitätsklinikums Tübingen aus April 2010 wird neuerdings auch mit einer Gewichtszunahme in höheren Lebensjahren in Verbindung gebracht wird.

Nicht weiter verwunderlich erscheint da das Interesse der Fettforscher, die braunen Brenner nun auch verstärkt hinsichtlich ihres Potenzials zur Gewichtsreduktion zu untersuchen. So gaben Forscher der Universität Bonn im Dezember 2009 bekannt, einen Signalweg gefunden zu haben, der die Produktion und Funktion brauner Fettzellen anregt, die „Fettpölsterchen schmelzen lassen“. Und im Mai 2010 verkündeten Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums DKFZ, dass sie einen weiteren Mechanismus kennen, der das braune Fett aktiviert. Auf Basis dieser Ergebnisse könnten „Schlankheitsmittel aus dem Zelllabor“ zur Gewichtsreduktion bei krankhafter Fettleibigkeit entwickelt werden. Dr. Stephan Herzig vom DKFZ sieht in der Erforschung des braunen Fetts gar einen „Hype“. Zahlreiche neue Studien aus 2010/11 bestätigen seine Sicht. So haben US-Forscher ein weiteres Gen bei Mäusen entdeckt, dessen Fehlen mit doppelter Menge an braunem Fettgewebe verbunden war. Und, welch’ Überraschung: Die Gendefekt-Mäuse entwickelten trotz kalorienreicher Ernährung kein Übergewicht. Auch die Harvard Medical School präsentierte eine neue Möglichkeit, um Vorläuferzellen im weißen Fettgewebe anzuregen, sich in braunes Fett umzuwandeln. Gleich die direkte Verwandlung von weißem in braunes Fett sieht die John Hopkins University als „neue Strategie, um Fettleibigkeit zu bekämpfen.“ Im Fachmagazin Deutsche Medizinische Wochenschrift stellen Hamburger Forscher die entscheidenden Fragen, die beim Menschen noch geklärt werden müssen: Kann man braunes Fett dazu bringen, mehr Energie in Wärme umzusetzen? Gibt es einen Weg, weißes in braunes Fett umzuwandeln? Besteht die Möglichkeit, braunes Fett unabhängig vom Kältereiz zu aktivieren? Fakt ist: In diesem Bereich lassen sich noch „Forschersporen“ verdienen, sodass wir sicher noch viele interessante „fettverbrennende“ Meldungen lesen werden, denn die Hoffnungen in das braune Fettgwebe als „Fettschmelzer“ sind groß… Generell gilt: Da die individuelle Grundausstattung mit „viel oder wenig braunem Fett“ grundsätzlich genetisch bedingt ist, spricht auch diese Tatsache für den maßgeblichen Einfluss des Erbguts auf unser Gewicht. Dieser These geht das sechste Kapitel „Genau festgelegt“ auf den Grund.

Am Rande erwähnt … Folgende Erkenntnis von Wissenschaftlern der dänischen Universität Aahus im August 2008 hat inzwischen die „alleinige Hoheit“ des braunen Fettgewebes über die reine Wärmegewinnung infrage gestellt: Die Chilischärfe Capsaicin ist die erste bekannte, natürlich vorkommende Substanz, die diese Thermogenese in Muskeln „künstlich“ auslöst. Deshalb wird uns bei scharfem Essen heiß, denn Chili kurbelt die Hitzeproduktion im Körper an – ähnlich, wie dies die braunen Fettzellen tun.

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