In vino veritas – wer forschet, der findet
Schwedische Wissenschaftler der Lund Universität gaben im Oktober 2009 bekannt, dass kleine Mengen Alkohol, regelmäßig konsumiert, unserer Gesundheit schaden. Stopp! Das kennen wir doch ganz anders: Ein Glas Rotwein am Tag soll gut für unser Herz sein – das haben wir inzwischen durch massive Berichterstattung gelernt. So bestätigte bereits Anfang 2008 die US-Universität Madison mit einer weiteren Studie, dass „schon ein Glas Wein am Tag das Herz langsamer altern lässt“. Und im Herbst erfreuten Forscher aus Pasadena dann rauchende Weintrinker mit folgender Erkenntnis: Ein bis zwei Gläser Rotwein pro Tag sollen insbesondere männliche Raucher vor Lungenkrebs schützen. Auch die folgende Botschaft, die auf dem amerikanischen Herzkongress 2011 verkündet wurde, kann (mäßig) trinkende Raucher erfreuen: Ein bis zwei Drinks am Tag schützen vor möglichen Herzproblemen, die durch das Rauchen verursacht werden. Den „generellen Herzschutz“ von ein oder zwei alkoholischen Getränken pro Tag „bestätigten“ im Frühjahr 2011 Wissenschaftler der University of Calgary nach Auswertung von Forschungsergebnissen der vergangenen 30 Jahre. Welch´ schöner, maskuliner Nebeneffekt, dass gemäß weiteren Studien die gleiche Menge Alkoholika ebenfalls das Risiko einer gutartigen Prostatavergrößerung mindert. Italienische Herzspezialisten hingegen zeigten auf dem Europäischen Kardiologenkongress 2008, dass sie schon ein paar Gläser weiter sind: Die Auswertung der Gesundheitsdaten von einer Million Menschen habe verdeutlicht, dass maßvoller Weinkonsum die Sterblichkeit gegenüber Alkoholverzicht um 19 Prozent senke. Vier Gläser pro Tag lassen Männer länger leben und zwei Gläser die Frauen. Daher empfiehlt der Studienleiter der katholischen Universität Campobasso, seine Ärztekollegen sollen „Gesunde und Herz-Kreislauf-Patienten zum Weitertrinken ermuntern, wenn sie bereits regelmäßig leichte bis moderate Weintrinker sind“. Aber selbst Vieltrinker mit bis zu einem Liter Weißwein täglich halbieren offenbar die Gefahr eines Herzinfarkts, war im November 2009 in der britischen Fachzeitschrift Heart zu lesen.
Auf gut Deutsch: Wer keinen Wein trinkt, stirbt früher. Alkoholverzicht verkürzt das Leben. Selbst schuld. Der gute Rote hat eben viele Schutzstoffe, und sein Weingeist verhindert auch das Verkleben der Blutplättchen, wodurch sich weniger Ablagerungen an den Gefäßwänden bilden. Das könnte aber auch daran liegen, dass die vom Alkohol geschädigte Leber weniger Gerinnungsfaktoren produziert. Ob Weiß- oder Rotwein, spielt dabei keine Rolle. Für diese Vermutung spricht, dass laut Universität Connecticut Weißwein das Herz in vergleichbarer Weise wie Rotwein schützt: „Wir können mit Sicherheit sagen, dass ein bis zwei Gläser Weißwein täglich genauso wirken wie dieselbe Menge Rotwein“, beteuert der Studienleiter. Nur leider schadet bereits ein täglicher Schoppen langfristig der Leber und erhöht das Brustkrebsrisiko bei Frauen, was die Universität von Oxford Anfang 2009 nach Auswertung der Daten von über einer Million Britinnen erneut bestätigte. Dabei steigern Rot und Weißwein das Risiko gleichermaßen, verkündete fast zeitgleich das Fred-Hutchinson-Krebsforschungszentrum in Seattle. Ist das etwa der Preis fürs Schlanksein und für junge Haut? Denn ein Ärzteteam aus Boston stellte im März 2010 fest, dass ein Glas Wein am Tag Frauen vor Übergewicht schützen soll. Und kurz vorher präsentierte ein Hautarzt der Universitätsklinik Tübingen folgende Studienergebnisse: Rotwein bewahre vor Hautschäden durch UV-Licht.
Nun, wenigstens für die Leber gilt als gesichert, „dass kein risikofreier Schwellenwert für den Alkoholkonsum gesehen werden kann“. Oder vielleicht doch? Denn Erkenntnissen der University of South Carolina zufolge soll Rotwein nun auch die Leber vor Alkoholschäden schützen.
Fakt ist: Steter Tropfen höhlt den Stein respektive die Leber. Sobald Alkohol in unseren Körper strömt, ändert unser Entgiftungsorgan Nummer eins umgehend seinen Stoffwechsel: Der Abbau des Giftes Alkohol hat höchste Priorität; Fettleber und Zirrhose sind die bekannten Folgen von langfristigem Dauerkonsum. Daneben soll bereits ein Drink kurzfristig das Schlaganfallrisiko verdoppeln, erklärte die Harvard Medical School in Boston, USA im Sommer 2010 – und bei mehr als einem Drink pro Tag steigt das Risiko des Hirninfarkts generell an, so eine große Übersichtsstudie aus 2011 im renommierten British Medical Journal. Im selben Jahr erschien im gleichen Journal auch eine Auswertung der EPIC-Daten, die zeigte, dass bereits ein tägliches Glas Wein die Krebsbildung fördern kann. Daher sollte Alkohol besser nicht mehr zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen empfohlen werden – empfehlen die EPIC-Autoren. Bereits im Sommer 2010 warnte die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen davor, dass schon geringe Mengen Alkohol das Krebsrisiko steigern können.
Darüber hinaus besteht nach Meinung von Forschern aus Massachusetts „eine lineare Korrelation zwischen Alkoholkonsum und Gehirnvolumen“: Unser Hirn schrumpft schon bei geringen Mengen Alkohol. Und je mehr jemand trinkt, desto kleiner wird sein Gehirn … wie gut, dass gemäß Universität Tromso ein bis zwei Gläser Wein pro Woche die Hirnleistung steigern, um den alkoholbedingten Verlust an grauer Masse auszugleichen. Und wenn doch sogar eine ganze Flasche Wein vielleicht das Wachstum von Krebszellen verhindern kann, wie eine verlockende Studie für Vieltrinker ergab – wie viel Wein sollen wir denn nun trinken, damit der „gute Tropfen“ der Gesundheit nutzt?
Generell sieht es nach Aussagen von Experten der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin so aus: „Auf Studien, die belegen, dass typische Weintrinker gesünder sind als typische Biertrinker, ist nicht viel zu geben“, da Weintrinker in der Regel einen anderen Lebensstil pflegen, der insgesamt entscheidend für deren Gesundheitszustand ist. Das oder die Gläschen Wein spielen in Sachen Gesundheit nur eine Nebenrolle. Daher sei auch hier die Frage erlaubt: Wer finanziert die zahlreichen „Wein ist gesund“-Studien und hat ein Interesse daran, dass wir glauben, mindestens ein Glas Wein am Tag sei gut für die Gesundheit?