Nach der Kampagne ist vor der Kampagne
Aber ohne die zahlreichen Aufklärungskampagnen, wenn auch nur pseudowissenschaftlich untermauert, aber stets verstandesgesteuert, hätten viele Leute keinen Beruf und manche keine Berufung mehr. Und für irgendetwas muss auch das Präventionsbudget der Bundesregierung eingesetzt werden. So läuft neben „Fünf am Tag“ und dem anschließenden Fünf-Punkte-Paket „Fit statt Fett“ seit Mitte 2008 bereits die nächste Kampagne: Mit dem „Nationalen Aktionsplan IN Form für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“ möchten unsere bundesrepublikanischen Minister für Gesundheit und Landwirtschaft/ Verbraucherschutz dem Übergewicht zahlreicher Deutscher zu Leibe rücken. Beide Ministerien speisen die bis 2020 laufende Aufklärungsaktion zur „Vorbeugung von Fehlernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und daraus resultierenden Erkrankungen“ zusammen mit jährlich zehn Millionen Euro. Diese Summe soll dafür sorgen, „Prävention als einen gesellschaftlichen Wert zu verankern“. Ob weniger als 0,02 Prozent der Kosten, die pro Jahr für die Behandlung ernährungsbedingter Krankheiten aufgewendet werden, dafür ausreichen?
Unabhängig von der vergleichsweise geringen Höhe des Präventionsbudgets liegt die Vermutung sehr nahe, dass auch diese Kampagne viele Millionen Euro Steuergelder verschlingt und vergleichbare Effekte wie alle Aufklärungsversuche davor haben wird: sicher kaum einen Übergewichtigen weniger, dafür neue Unsicherheit in puncto „gesunder Ernährung“. Aber auch unsere Staatsorgane haben anhand der momentanen Datenlage festgestellt: Die Deutschen werden immer dicker, da muss was passieren. Wie wäre es mit einer neuen Kampagne „weniger Ungesundes essen, dafür mehr Obst und Gemüse auf den Speiseplan sowie mehr Sport treiben“! Kommt Ihnen das bekannt vor? Alter Wein in neuen Schläuchen. Die recycelten Ratschläge bleiben in etwa die Gleichen, nur die Verpackung ändert sich: Aus „Fünf am Tag“ wird „Fit statt Fett“ wird „IN Form“.
Statt aufpolierte Aktionen zu propagieren, sollten sich die verantwortlichen „Kampagneros“ besser die Anregung des gerne „Enfant terrible der Ernährungswissenschaften“ genannten Udo Pollmer zu Herzen nehmen, der anregt, „verstärkt zu erforschen, warum die bisherigen Maßnahmen gescheitert sind“. Vielleicht deshalb, weil die Rolle der Ernährung bei der Entstehung von krankmachendem Übergewicht noch unklar ist? Ernährungsmediziner Professor Andreas Pfeiffer von der Berliner Charité meint dazu vielsagend: „Je mehr wir forschen, umso deutlicher wird, dass jeder Mensch unterschiedlich auch auf Ernährung reagiert.“ Was den einen krank macht, hält den anderen vielleicht gesund. Daher ist Ernährung wohl „viel zu komplex für einfache Botschaften“, wie Professor Helmut Heseker, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zu bedenken gibt. Doch nicht nur die essenziellen Probleme der Ernährung an sich machen erfolgreiche Kampagnen zu einem äußerst schweren Unterfangen. Denn darüber hinaus müssen sich die missionarischen Minister auch mit der Begrifflichkeit der „gesunden“ Ernährung auseinandersetzen, da das Prädikat leider ein schlechtes Image hat: „Gesunde Nahrungsmittel machen zwar nicht dick, schmecken aber auch nicht besonders lecker.“ Gesundes Essen ist für viele Menschen gleichbedeutend mit lästiger Pflichterfüllung, die wenig Genuss bietet – muss man essen, will man aber nicht wirklich. Dabei ist die Einteilung in gesund und ungesund Unsinn. Es gibt im Grunde keine gesunden Nahrungsmittel, genauso wenig wie es ungesundes Essen gibt. Das sieht übrigens auch die DGE so. Deren Sprecherin Antje Gahl stellte in einem dpa-Artikel zu diesem Buch klar: „Die Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel hat keinen Sinn.“ Die Menge und die Häufigkeit des Verzehrs sind entscheidend. Oder wie schon der „Systemkritiker“ Paracelsus vor über 500 Jahren wusste: „Allein die Dosis macht das Gift.“ Sie sollten Ihre Wahl aufgrund der Eigenschaften „schmeckt“ oder „schmeckt nicht“ treffen, denn für gesunde Menschen ist nur genussvolles Echtes Essen auch gesund – für Körper und Geist (siehe auch Kapitel 4: „Echtes Essen“). Aufklärungskampagnen, die hingegen zum Ziel haben, „gesunde Nahrungsmittel“ mit dem Verstand auszuwählen, können nur scheitern, denn sie ignorieren den stärksten lebenserhaltenden Trieb des Menschen: die Lust am Essen, wenn wir Hunger haben. Begrüßenswert, dass Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner der Meinung ist, jeder Mensch müsse selbst entscheiden, was für ihn das Beste sei. Nur ist das meist nicht die propagierte „gesunde“ Ernährung …