Ganz gesunder Gerstensaft

Derartige Erkenntnisse gibt es übrigens auch in vielen Varianten für Bier, das ebenfalls sehr gesund sein soll (kann ja nicht sein, dass nur Wein gesund ist). Apro(st)pos Bier, des Deutschen liebster Alkohollieferant: Laut „neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen ist es fast ein Wundermittel gegen diverse Krankheiten – und es steigert sogar die Lebenserwartung und Intelligenz“, so die beschwingte Ankündigung des Berichts in einem Männermagazins im Mai 2008. Das nationale Gesundheitsinstitut in Kopenhagen habe festgestellt, dass regelmäßiger Biergenuss das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, um die Hälfte senke, „denn wichtige Inhaltsstoffe des Bieres schützen vor Fettablagerungen in Zellen und Gefäßen“ – wahrscheinlich der Grund für Bierbauch oder Fettleber, wo das Fett dann „aus Schutzgründen“ strandet. Weiter helfe der Gerstensaft bei Thrombosen, Osteoporose, Magenproblemen und Nierensteinen. Krebshemmende Wirkung habe das „Flüssigbrot“ ebenfalls – und zwar schütze ein ganz besonderer Pflanzenstoff des Bieres bis zu 100-mal stärker vor Krebs als vergleichbare Schutzstoffe in Rotwein, resümiert ein Neurologe der Landesnervenklinik in Graz (ein böser Seitenhieb auf Resveratrol, dem Wunderstoff im Rotwein?). Bei allen gesundheitsfördernden Eigenschaften vergessen Autoren und Experten aber nicht zu betonen, dass Bier „maßvoll“ genossen werden sollte. Wobei hier der Begriff „eine Maß voll“ besser passen würde, denn für den im Männermagazin zitierten Freisinger Professor ist bis zu einem Liter Bier am Tag maßvoll. Oder anders formuliert: „Männer: Täglich ein halbes Sixpack ist nicht nur ungefährlich, es schützt euch sogar vor vielen Krankheiten, verlängert euer Leben und macht intelligenter.“ (Letzteres haben übrigens die Japaner entdeckt.)

Die folgenden Informationen wurden den Lesern dabei leider vorenthalten: Drei kleine 0,33-l-Flaschen Bier am Tag liefern mehr als 400 Kilokalorien, die Leber verfettet auf Dauer, und der tägliche Konsum dieser Menge Alkohol birgt die Gefahr, abhängig zu werden. Da verwundert es nicht, dass für die Bundesdrogenbeauftragte das Trinkverhalten der Jugendlichen alarmierende Ausmaße annimmt und es „schick ist, mit der Bierflasche in der Hand durch die Stadt zu laufen“ – vielleicht ist unsere Jugend einfach nur besser über die Heilwirkungen des Bieres informiert und möchte Gesundes trinken! Spaß beiseite: Leider haben sich in diesem Gesundheitsrausch die alkoholbedingten Krankenhausaufenthalte von Kindern und Jugendlichen zwischen 2000 und 2006 mehr als verdoppelt. Und von 2007 bis 2008 stieg die Zahl der 10- bis 20-Jährigen, die aufgrund Akoholvergiftungen eingeliefert wurden, erneut um 170 Prozent.

Eine derart fehlgeleitete „Informationspolitik“ zur Volksdroge Nummer eins, die von allen Suchtstoffen die meisten Toten verursacht, ist nicht nur absolut geschmacklos, sondern ohne jegliches Verantwortungsbewusstsein. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass laut „Drogen- und Suchtbericht“ bereits zehn Millionen Deutsche riskant viel Alkohol trinken. Daher bezeichnete im April 2011 auch die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) die Situation bezüglich des Alkoholkonsums als „dramatisch“. Zwei Jahre zuvor hatte die DHS bereits ein totales Werbeverbot für Alkoholika gefordert. Vielleicht freuen sich dann die PR-Abteilungen der Wein- und Biervermarkter über das frei werdende Werbebudget, um damit den Medien wissenschaftlich frisch gezapfte Gesundheitsthemen zu verzapfen. Aber Vorsicht, liebe PR-Experten: Der DGE zufolge ist der komplette Verzicht auf Alkohol „die beste Krebsprävention“. Dieser Meinung ist übrigens auch Rachel Thompson, die Wissenschaftskoordinatorin des World Cancer Research Fund.

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