Der
(Süß)Stoff, aus dem die Träume sind –
die der Hersteller
Vielleicht sind ja statt Obst und Fruchtsäften kalorienarme Diätgetränke gesünder, denn gemäß Autoren der „Gicht durch Fruchtsäfte“-Studie ist deren Konsum zumindest nicht mit einem erhöhten Gichtrisiko assoziiert. Süßstoffgesüßt, versteht sich, denn wir haben durch jahrelange „Aufklärungsarbeit“ der Hersteller und deren Lobbyverbände gelernt: Süßstoffe machen süß, aber nicht dick, weil sie keine Kalorien enthalten. Doch zum Leidweisen aller Süßstoffsüßer haben US-Wissenschaftler der Purdue University in Indiana festgestellt, dass der Verzehr des kalorienlosen Zuckerimitats deren Testratten nicht schlank hielt, sondern genau das Gegenteil verursachte: Die Tiere, deren Nahrung mit Süßstoffen gesüßt war, wurden dicker als die Ratten, die echtes zuckersüßes Futter fraßen. Der Erklärungsansatz ist so einfach wie einleuchtend. Die Autoren Swithers und Davidson vermuten, dass Süßstoffe den Stoffwechsel des Körpers durcheinanderbringen. Der Körper hat gelernt: „süß = Kalorien“. Gibt es nun keine Verbindung mehr zwischen Süße und Kalorien, fährt der Körper bei süßen Mahlzeiten irgendwann die Verdauung nicht mehr auf das normale Maß hoch: Die Nährstoffe werden schlechter verwertet, und der Körper verlangt nach mehr Kalorien. Das führt im Endeffekt zu erhöhter Nahrungsaufnahme und Gewichtszunahme. Diese Ergebnisse sprechen übrigens für die Tatsache, dass die gleichen Süßstoffe, die uns als Schlankmacher verkauft werden, in Europa seit vielen Jahren erfolgreich in der Schweinemast eingesetzt werden.
Die Ergebnisse aus Purdue werden von Forschungen des Lübecker Adipositasexperten Professor Achim Peters gestützt. Auch seine Ergebnisse verdeutlichen, dass Süßstoffe den gesunden Stoffwechsel beeinflussen. Da unser Gehirn fast ausschließlich Zucker zur Energiegewinnung verbraucht, verunsichern die „Falschsignale“ der Kunstsüße unser Denkorgan: In Erwartung „seiner“ Energie stellt es den Stoffwechsel um und merkt erst später, dass es getäuscht wurde. Unser Hirn kann sich damit nicht mehr auf den Süßreiz als sicheres Signal „Jetzt kommt Zucker!“ verlassen. Bei einer derartigen Verunsicherung reagiert der Körper mit vermehrter Nahrungsaufnahme, das ist eine normale physiologische Reaktion. Dieser „Notversorgungsmechanismus“ wird plausibel, wenn man folgendes weiß: Der Eigenbedarf des Gehirns an Zucker ist immens. Obwohl seine Masse nur 2 Prozent unseres Körpergewichts ausmacht, verbraucht unser Oberstübchen etwa die Hälfte der täglich zugeführten Kohlenhydrate! Neben dieser erhöhten Zufuhr „ist das Sparen von Energie eine andere sinnvolle Verhaltensanpassung – wie es die Ratten von Swithers und Davidson ja auch getan haben“, erklärte Peters im März 2009. Für den Lübecker Professor sind die Ergebnisse dieser und anderer Tierversuche weitere Argumente, von Süßstoffen abzuraten. Das Resümee der Purdue-Wissenschaftler macht klar, warum: „Unsere Daten zeigen, dass der Verzehr von Speisen, die künstliche Süßstoffe enthalten, zu einem erhöhten Gewicht und Fettsucht führen kann, weil sie grundlegende physiologische Prozesse stören.“
Das scheint übrigens auch der Fall zu bleiben, wenn der Süßstoff wieder durch normalen Zucker ersetzt wird. Also für immer „süßstoffgeschädigt“? Der Körper ist sicher mittel- bis langfristig lernfähig und weiß „echt“ und „falsch“ bald wieder zu unterscheiden. Auf jeden Fall ist diese Renaturalisierung unserer Sinne wünschenswert, denn nur „süß“ durch Zucker aktiviert das Belohnungszentrum und erzeugt ein Sättigungsgefühl – im Gegensatz zum „süß“ der Süßstoffe, die keinen der beiden Effekte haben.
Ein Verzicht auf diese körpertäuschende Kunstsüße ist auch deshalb zu empfehlen, weil es keinen Beweis für deren „Schlankhalterqualitäten“ gibt, weshalb sie ja eingesetzt werden: Bislang liegt keine seriöse wissenschaftliche Studie vor, die die Bedeutung von künstlichen Süßstoffen für das langfristige Gewichthalten untersucht hat. Ganz im Gegenteil: Andere Studien aus den USA haben gezeigt, dass seit der Einführung der Diät-erfrischungsgetränke die Zahl der fettleibigen Amerikaner deutlich gestiegen ist. Einen plausiblen Erklärungsansatz für diese Entwicklung bietet die oben erwähnte Purdue-Studie. Besorgniserregend ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass der Konsum zucker- oder kalorienreduzierter Getränke hierzulande von 2003 bis 2007 um über 50 Prozent anstieg – vielleicht einer der Gründe, warum auch die Deutschen immer dicker werden? Und vielleicht bald früher sterben? Denn gemäß Ergebnis der 23 Jahre laufenden Leisure World Cohort Study mit über 10.000 Senioren starben diejenigen Studienteilnehmer am frühesten, die Lightcola oder andere Diätlimonaden tranken. Ob tatsächlich Light das Leben kürzt? Wie auch immer, diese Entwicklung zu vermehrtem Konsum kunstgesüßter Getränke ist auch deshalb ein Grund zur Sorge, weil andere Forschergruppen einen Zusammenhang zwischen dem Genuss dieser Diätgetränke und einem erhöhten Risiko für Fetteinlagerungen im Bauchbereich, Insulinresistenz, Bluthochdruck und Nierenschäden sehen. Weitere Warnmeldungen lieferte ein amerikanisches Forscherteam im September 2009: Das Diabetesrisiko der Light-Trinker war um 67 Prozent erhöht. Und jüngste Forschungen der University of Miami ergaben Anfang 2011 ein um 61 Prozent gesteigertes Schlaganfall-Risiko bei Konsumenten von Diät-Softdrinks – die normalen zuckerhaltigen Limonaden waren in dieser Hinsicht ohne Risiko.