Ostereier sind die besseren Medikamente
Genießen Sie an dieser Stelle nun ein ausgewähltes Beispiel, wie auf Basis statistischer Zahlenspielereien „gesundheitsförderndes Ernährungswissen“ unters Volk gebracht wird. Kurz vor Ostern 2010 erfreute das Deutsche Institut für Ernährungsforschung (DIfE) alle Schokohasenliebhaber mit folgender Meldung: „Langzeitstudie bestätigt: Schokolade kann das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken“. Bereits ein kleines Stückchen von 6 g täglich senke das Schlaganfallrisiko um fast die Hälfte. Diese Menge entspricht etwa einem der 16 Stücke einer Tafel Ritter Sport. Einen Tag vor Gründonnerstag legte die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie-, Herz- und Kreislaufforschung (DGK) noch ein zweites PR-Ei ins öffentliche Osternest. Unter Bezugnahme auf die DIfE-Meldung hieß es: „Ostereier können die Gesundheit fördern.“ Die Schokostudie belege, dass ein kleines Stück Schokolade den Blutdruck senken und Herzerkrankungen vorbeugen kann. Die Gründe der zartschmelzenden Gesundheitskraft lägen besonders in der dunklen Schokolade, die den Blutdruck senke und deshalb so herzgesund sei. Die DIfE-Meldung erschien anschließend in zahlreichen Medien – so schön schokoladig gesund und dann noch kurz vor Ostern; kein Wunder. Wundern hingegen sollten die folgenden Erkenntnisse:
Eine wissenschaftliche Bestätigung der propagierten Wirksamkeit von Schokolade gibt es nicht. Es liegt kein wissenschaftlicher Nachweis vor. Es gibt allein einen statistisch isolierten Zusammenhang. Man hätte beispielsweise auch danach suchen können, wie sich ein „Frühstück in gefütterten Pantoffeln“ auf das Schlaganfallrisiko auswirkt. Das heißt konkret: Warum Menschen, die im Durchschnitt 6 g Schokolade täglich essen, nur halb so viel Schlaganfälle haben, das weiß kein Mensch. Vielleicht ist ihr gesamtes 99,99%iges „Restleben“ neben der Schokolade dafür verantwortlich? Das ist wohl eher der Fall. Denn sieht man sich die Studiendaten genauer an, kommt Folgendes zum Vorschein: Weniger als ein Viertel der Befragten aßen die „gesunde Dunkle“. Sondern fast 60 Prozent der Studienteilnehmer verzehrten Vollmilchschokolade, die erstens kaum dunkle Kakaowirkstoffe enthält und zweitens durch die Milch den – wenn überhaupt noch vorhandenen – Effekt der Blutdrucksenkung sogar hemmt. Dementsprechend mager fiel auch die beobachtete Senkung des Blutdrucks aus: 1 mmg Hg (Sys) und 0,9 mm Hg (Dia) (also statt 153/97 beispielsweise 152/96) – ein guter Arzt würde dazu sagen: „Für die Prognose beim Patienten unbedeutend.“ Und die Deutsche Hochdruckliga stellt klar: „Klinisch nicht relevant.“ Aber Schoko-Studienleiter Dr. Brian Buijsse sagt: „Da Schokolade deutliche Auswirkungen auf den Blutdruck zu haben schien, gingen wir von der Hypothese aus, dass der Verzehr von Schokolade das Risiko insbesondere von Schlaganfällen senken würde.“ Und genau das habe man in den Studiendaten gesehen. Für die DGK hat die Studie den postulierten Schutzeffekt sogar „belegt“.
Noch mal kurz zur Erinnerung: Belegt ist gar nichts. Ganz im Gegenteil: Mit dem hier vermittelten Hintergundwissen vor Augen schmilzt die auf dem Papier erfundene Wirksamkeit wie ein Schokoei in der heißen Mittagssonne: Kaum dunkle Schokolade, unbedeutende Blutdrucksenkung und minimal verzehrte Mengen sollen also das Schlaganfallrisiko um fast 50 Prozent senken? Und diese „Bestätigung“ erfolgt ganz ohne Beweis, sondern nur aufgrund eines statistisch isolierten Zusammenhangs, der praktisch nichtssagend ist? Beeindruckend gewagt, denn damit spricht das DIfE dem täglichen Ministück Schokolade eine stärkere therapeutische Wirksamkeit zu als blutdrucksenkenden Medikamenten, deren wissenschaftlich belegte Senkung des Schlaganfallrisikos „nur“ 42 Prozent beträgt. Was also soll eine derartige Meldung in der Bevölkerung bewirken? „Ich würde noch keine Empfehlung geben, dass Menschen Schokolade essen sollen, um ihren Blutdruck zu senken, das ist zu früh“, erklärte Studienleiter Buijsse im aid-Artikel „Das Missverständnis der gesunden Schokolade“. Dem entsprechen auch Experten der Universität von Adelaide, die nach Analyse von 13 Schoko-Studien im Sommer 2010 bekannt gaben: Als Vorbeugung gegen hohen Blutdruck eigne sich Schokolade nicht. Wenn Sie jetzt zu Recht interessiert, was das DIfE denn nun mit der Schokomeldung bezwecken wollte, fragen Sie doch einfach mal nach: presse@dife.de
Falls keine Antwort kommt, könnte es daran liegen, dass die DIfE-Mitarbeiter nun aus tiefer Überzeugung Schokolade essen – und deshalb möglicherweise an Depressionen leiden. Denn nur einen Monat nach der „Ostereier“-Meldung wies eine Studie der University of California darauf hin, dass Depressive mehr Schokolade essen. Die Forscher rätseln aber noch, ob die Süßigkeit die Krankheit verbessert, verstärkt oder sogar auslöst. Nun, vielleicht sinkt zumindest das Schlaganfallrisiko der depressiven Menschen …