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Drei Tage nach dem Blow-out hatte sich die Lage im Modul wieder einigermaßen stabilisiert. Holle führte Grace und Venus zu der Kabine, die Wilson zugeteilt worden war, an der Rutschstange ungefähr in Höhe von Deck acht. Dort war er die ganze Zeit festgehalten worden, seit er in seinem Druckanzug aus der Luftschleuse gekommen war; zuvor hatte er Shuttle A und Terese Baker ihrer Begegnung mit der Wand der Warp-Blase überlassen.

Holle schob sich ohne Umstände hinein. Die anderen folgten ihr. Sie ließ sich in einer Ecke der Kabine nieder und wartete, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit angepasst hatten.

Wilson starrte die Frauen nur an, als sie hereinkamen. Er trug ein schmutziges, häufig benutztes T-Shirt und Shorts. Er schwebte in der unordentlichen Kabine, umgeben von einem ausgerollten Schlafsack, einem Rückenschwamm und einem Verpflegungspaket. Die muskulösen Beine an die Brust gezogen, hielt er mit den großen Händen die nackten Füße umklammert. Das T-Shirt war mit einem fast völlig ausgeblichenen Slogan bedruckt, ein Relikt von der Erde, sogar noch aus der Zeit vor der Flut. Seltsamerweise wünschte sich Holle, sie könnte ihn lesen, könnte etwas über eine lange zurückliegende Sportveranstaltung oder Tour einer Rockband erfahren.

Nichts deutete daraufhin, dass Wilson hier drin irgendetwas getan hatte. Es gab weder einen Handheld noch Bücher. Nicht einmal eine Lampe brannte. Das einzige Licht stammte von den großen Bogenlampen des Moduls; es sickerte durch Ritzen in den Wänden ein. Seine Haut sah ölig aus, und er roch nach abgestandenem Schweiß. Sie fragte sich, wann er sich zum letzten Mal in einer der wieder funktionsfähig gemachten Mikrogravitations-Duschen gewaschen hatte. Aber er sah gesund aus. Er war der einzige Überlebende außer Venus, dem die Dekompression erspart geblieben war.

Wilson und Venus waren Holles Kollegen aus ihrer längst vergangenen Kandidatenzeit. Jetzt waren sie alle fast fünfzig, mit schweren Körpern, harten Gesichtern und ergrauendem Haar, die Haut voller Falten, seelisch abgestumpft vom ermüdenden Horror eines zur Hälfte an Bord dieser Arche verbrachten Lebens. Sie hätte sich nie vorstellen können, dass sie einmal so enden würden. Aber Wilson wirkte am gefasstesten und selbstbewusstesten. Er grinste Holle sogar an.

Grace Gray sah aus, als wäre es ihr ausgesprochen unangenehm, hier zu sein.

 

»Fangen wir einfach an«, sagte Holle. »Niemand kann uns belauschen, dieses Gespräch wird nicht aufgezeichnet. Was wir heute sagen, bleibt unter uns vieren. Niemand sonst erfährt etwas davon.«

»Und was ist so Besonderes an ›uns vieren‹?«, blaffte Wilson.

»Wir sind die Leute auf dem Schiff, die Macht haben. Venus mit ihrer Planetensuche und ihren Navigationssystemen. Grace, die Ärztin …«

Wilson fiel ihr erneut ins Wort. »Und du, Holle? Du bist die Klempnerkönigin, stimmt’s? Und ich? Welche Macht habe ich in eurer neuen Welt?«

»Du bist unser einziger Spezialist für die Außensysteme des Moduls. Du bist auch der einzige auf der Erde ausgebildete Shuttle-Pilot, der noch an Bord ist. Du bist also wertvoll, Wilson. «

»Und das ist der Grund, weshalb ich nicht zur Luke rausgeflogen bin, ja?«

»Wir haben nicht über Sanktionen gegen dich gesprochen, Wilson«, sagte Venus leise. »Noch nicht …«

Holle setzte sich über sie hinweg. »Ja. Das ist der einzige Grund, weshalb du noch lebst, Wilson.«

Wilson sah die zornglimmende Venus, die zunehmend in sich gekehrte Grace an. Dann konzentrierte er sich auf Holle, weil er spürte, dass sie die Initiatorin war. »Ich war kompetent«, sagte er kalt. »Ich habe dieses verdammte Wrack zwanzig Jahre lang regiert.«

»Aber du hast dich von der Crew abgesondert. Du hast Steels Rebellion nicht kommen sehen, und du hattest keine Gegenmaßnahmen vorbereitet, als sie ausbrach. Was für eine Kompetenz soll das sein?«

»Also, wenn das hier kein Gerichtsverfahren ist, was dann?«

»Ich glaube, es ist ein coup d’état«, sagte Venus, die Holle beobachtete.

Sie schwiegen alle und warteten darauf, dass Holle sprach. Der Augenblick war also gekommen. Holle holte Luft. Ihr Herz schlug heftig. Sie hoffte, dass keiner der drei ihr die tiefe Unsicherheit und die Selbstzweifel ansah. Aber sie kannten sie bestimmt zu gut.

Sie wusste, worauf sie sich einließ, indem sie auf diese Weise vortrat. Sie hatte gesehen, wie Don Meisel sich verhärtet hatte, als er aus der Akademie verbannt und an die Front geschickt worden war. Sie erinnerte sich daran, was sie selbst an dem Tag gesehen hatte, als sie von ihrem Vater getrennt worden war, damals, als Denver im Wasser versank und man die Akademie evakuierte. Sie erinnerte sich an die Alpträume, die Mel nachts aus dem Schlaf zu schrecken pflegten. Sie war mit der Flut aufgewachsen, aber stets vor dem Schlimmsten beschützt worden – vor der Härte ihrer Folgen für die Menschen, der Grausamkeit, der Willkür von Leben und Tod. Jetzt waren all die Schutzschichten fort, selbst Wilsons brutale Herrschaft. Und sie war an der Reihe.

Sie rief sich jedoch ins Gedächtnis, warum sie das tat. Magdas Baby. Diese langen Minuten in der vollgestopften Raumfähre. Nie wieder, ganz egal, was es sie persönlich kosten würde.

Die anderen warteten darauf, dass sie das Wort ergriff.

»Ich übernehme die Macht«, sagte sie. »Ganz einfach. Es ist mir egal, wie ihr es nennt. Keine Wahlen, keine Prozedur, keine Handzeichen.« Sie schaute sich um. »Wer könnte es sonst tun? Du, Wilson? Die Crew würde dich fertigmachen, so wie sie Dan Xavi fertiggemacht hat. Du, Venus? Wilson hat schon einmal eine Kraftprobe mit dir für sich entschieden; du könntest ihn jetzt nicht unter Kontrolle halten.«

Venus sah sie an wie eine Fremde. »Und wenn ich mich gegen dich stelle, drehst du mir dann die Luft ab?«

»Das ist die Frage, Holle«, sagte Wilson bohrend. »Du hast die Kontrolle über die Luft und das Wasser. Diese Macht kannst du nur einsetzen, indem du der Crew diese grundlegenden Lebensnotwendigkeiten vorenthältst. Willst du das wirklich tun? Es verletzt die elementarsten Prinzipien des Schiffsgesetzes, das wir unter Kelly entwickelt haben, und des Grundrechtskatalogs, den ich ’49 unterzeichnet habe.«

»Ja, so ist es. Aber jetzt kommt es nur auf eines an, Wilson: dass wir überleben. Wir müssen noch dreizehn Jahre bis zur Erde III überstehen. Dreizehn! Wir können uns keine weitere Rebellion wie die von Steel leisten. Und wir können uns keinen weiteren zügellosen Autokraten wie dich leisten, der die Ressourcen aufbraucht und die Kinder verdirbt.«

»Und darum haben wir stattdessen nun dich bekommen«, sagte Venus.

Wilson lachte erneut. »Ich muss dir gratulieren, Holle. Wie lange planst du das schon? Von Anfang an, seit dem Start? Oder hast du es sogar noch früher geplant, damals, als wir uns einen Aspekt der Archen-Konstruktion als Spezialgebiet aussuchen mussten? Vielleicht hast du schon damals die Kontrolle über das Lebenserhaltungssystem als deinen Weg zur absoluten Macht angesehen.«

»Ich plane das, seit ich in diesem verdammten Modul im Vakuum hing. Keine Sekunde länger.«

»Und du würdest die Luft abschalten, wenn es sein müsste.«

»Wenn ich damit die Mehrheit retten könnte – ja.« Sie sah sie an, einen nach dem anderen, zwang sie, ihr in die Augen zu schauen. »Wenn ihr sonst nichts mehr zu sagen habt, ist diese Diskussion damit zu Ende.«

Keiner von ihnen forderte sie heraus. Grace hatte überhaupt noch nichts gesagt.

Aber Wilson grinste weiter. »Sieh an, sieh an. Die harmlose kleine Holle. Die Maus, die brüllte. Also, was steht als Nächstes auf dem Programm?«

»Überlebensfähigkeit«, sagte Holle sofort.

Venus nickte zurückhaltend. »Sprich weiter.«

»Seit dem Unfall haben wir das Schiff und seine Grundsysteme gesichert. Jetzt brauchen wir eine Überprüfung und einen Wiederaufbau vom Bug bis zum Heck. Wir müssen alles reparieren, was bei dem Blow-out kaputtgegangen ist. Und ich möchte weitere Sicherheitsvorkehrungen gegen Schadensmöglichkeiten ergreifen, sogar gegen ein weiteres Loch im Rumpf. Die Aufteilung hat die konstruktive Redundanz beeinträchtigt. Wir müssen das Schiff robuster machen. Gibt es beispielsweise eine Möglichkeit, provisorische lecksichere Innenschotts herzustellen? Und wir brauchen einen Dienstplan von Crewmitgliedern mit geeigneter Ausrüstung, die ständig in den Zufluchtsorten warten, dem Shuttle und der Kuppel. Außerdem mindestens ein Besatzungsmitglied, vielleicht auch zwei, in teilweise angelegten Druckanzügen. Ich möchte das Crew-Training für Dekompressionsfälle und andere Schadensarten wie Brände und Stromausfälle intensivieren. Wilson, du und ich, wir werden daran arbeiten – uns eine Strategie überlegen.«

»Okay. Aber ich möchte dich daran erinnern, dass der Blow-out durch Sabotage verursacht wurde. Davor wird dich auch noch so viel Redundanz letztendlich nicht schützen.«

»Stimmt. Aber vielleicht die vollständige Wiederherstellung der Überwachungssysteme. Venus, ich möchte, dass du mit Grace daran arbeitest.«

Venus runzelte die Stirn. »Warum gerade wir?«

»Weil du das technische Fachwissen besitzt und Grace die einzelnen Crewmitglieder besser kennt als jeder von uns; sie ist ihre Ärztin. Ich möchte etwaige weitere Rebellen erwischen, bevor sie die Chance haben, irgendetwas zu unternehmen. Grace, wenn du seltsame Verhaltensmuster, unentschuldigtes Fernbleiben einzelner Angehöriger von Arbeitstrupps oder was auch immer feststellst, kommst du zu mir.«

Grace sah zutiefst unglücklich aus. Sie hatte seit dem Beginn ihrer Zusammenkunft noch kein Wort gesagt. Jetzt meinte sie: »Wenn ich eine richtige Ärztin wäre, würde ich sagen, das verstößt gegen die ärztliche Schweigepflicht.«

»Tja, du bist aber keine richtige Ärztin, also ist das kein Problem. Oh, und unternimm etwas wegen Zane.«

»Was denn? Soll ich ihn heilen?«

»Nein. Das ist aussichtslos. Stell das Therapieprogramm bis auf irgendeine Form der Überwachung ein. Wir brauchen Zanes Fachkenntnis. Aber halte ihn von der Crew fern, von den jüngeren Schiffsgeborenen.«

»Wie denn? Soll ich ihn in einen Käfig sperren?«

»Wenn es sein muss.«

»Und was noch?«, fragte Wilson.

»Unsere Ressourcen sind knapp. Wir haben bei dem Trauma – dem Blow-out, der Explosion, dem Feuer auf deiner Brücke – eine Menge verloren. Die Belastung war ohnehin schon hoch; durch die Aufteilung sind unsere Wiederaufbereitungs-Kreisläufe halbiert worden. Jetzt werden wir die Verlustrate deutlich reduzieren müssen. Ab sofort müssen wir eine Wiederaufbereitungsquote von hundert Prozent erreichen. Und das fängt mit der Entsorgung der Todesopfer des Blow-outs an.«

»Wir haben schon früher Tote bestattet«, sagte Wilson. »Raus mit ihnen in Richtung Warp-Blase, und bumm.« Er drückte sich flapsig aus, aber bei ihren gelegentlichen »Weltraumbestattungen« hatte er sich immer in respekteinflößender Bestform gezeigt. Mit aller Feierlichkeit wurden die Leichen aus den Luftschleusen in den Raum entlassen, während Wilson die Worte der alten Bestattungszeremonie der US Navy intonierte: »Hiermit übergeben wir den Verstorbenen der See …«

»Sicher«, sagte Holle. »Aber die Dinge haben sich geändert, Wilson. Wir haben die Leute immer aufgefordert, die Wiederverwertung ihrer Toten durch das Lebenserhaltungssystem zu erwägen.«

Wilson grinste finster. »Sie sollen ihre geliebten Angehörigen Stück für Stück in die Öfen schicken.«

»Weißt du, wie viele das bisher getan haben? Nicht mal zwanzig Prozent.«

Wilson zuckte die Achseln. »Bei dem Thema wollte ich mich nicht auf die Hinterbeine stellen.«

»Nun, jetzt müssen wir jeden Tropfen Wasser, jeden Fetzen organisches Material der Wiederverwertung zuführen, und dazu gehören auch Leichen. Wir müssen eine Variante von Wilsons Bestattungsprozedur entwickeln, um diejenigen zu ehren, die ihre Körper den Öfen übergeben. Macht allen klar, dass der größte Beitrag für die Arche darin besteht, sie für die Weiterlebenden funktionsfähig zu erhalten.«

»Wir sollten die Leute dazu bewegen, es testamentarisch zu verfügen«, schlug Venus vor. »Bevor sie sterben. Und ihren Letzten Willen im Archiv aufbewahren. Das könnte die Konflikte nach dem Tod verringern.«

»Gute Idee. Und Grace, du solltest vielleicht an einem Ausbildungsprogramm arbeiten, das dem Tabu des Konsums sterblicher Überreste entgegenwirkt.«

»Für die Schiffsgeborenen wird das nicht gar so schwierig sein«, meinte Grace. »Die sind in dem Wissen aufgewachsen, dass jeder Schluck Wasser, den sie trinken, schon x-mal durch die Blasen anderer Leute gewandert ist. Sie stellen sich da nicht so an wie die älteren Mitglieder der Crew. Wir werden das Problem sein. Ich kümmere mich drum.«

»Ihr müsst an die Verweigerer denken«, sagte Wilson. »Es gibt immer welche.«

»Sie werden keine Wahl haben«, erklärte Holle rundheraus. »Okay. Dann stellt sich die Frage, welche Strafen wir für die Aktionen verhängen wollen, die zum Blow-out geführt haben.«

»Ah.« Wilson lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Das hier ist also doch so eine Art Gerichtsverfahren.«

Holle schüttelte den Kopf. »Nein. Hör zu, Wilson, du bist unverzichtbar. Aber du wirst in diesem Schiff weiterleben müssen, und es ist nun mal verdammt klein. Ich stelle dich nicht vor Gericht, offiziell wirst du nicht bestraft. Ich werde dich nicht mal öffentlich kritisieren. Du musst selbst irgendeine Wiedergutmachung anbieten. Überleg dir, wie du dich bei den Kindern, die du verletzt hast, und ihren Angehörigen entschuldigen kannst. Das liegt allein bei dir.«

Wilson nickte. »Das ist pragmatisch.«

»Wenn wir Wilson nicht bestrafen«, sagte Grace, »wen dann?«

»Steel Antoniadi, nehme ich an«, meinte Venus.

Holle nickte. »Richtig. Für das Verbrechen einer Rebellion, die uns beinahe alle umgebracht hätte. Wir müssen an ihr ein Exempel statuieren.«

Wilson grinste erneut. »Warum sagst du’s nicht offen heraus? Du willst sie hinrichten.«

Grace lachte nervös. Aber Holle verzog keine Miene.

Venus schnappte nach Luft. »Ist das dein Ernst, Holle? Die Kleine ist von diesem Gorilla hier missbraucht worden, Zane hat ihr den Kopf mit lauter Müll angefüllt – welche Chance hatte sie denn? Die Schuld an ihrem Verbrechen liegt bei uns, bei unserer Generation.«

»Und sie hinrichten …«, sagte Grace. »In Walker City gab es Verbrechen, es gab Vergewaltigungen und Morde. Aber wir – die Bürgermeister jedenfalls – haben die Todesstrafe abgelehnt. Dazu waren wir eine zu kleine Gemeinschaft. Jeder von uns hätte dem Henker zu nahegestanden, jeder von uns wäre zum Mörder geworden. Und verglichen mit dieser Crew waren wir eine wahre Menschenmasse. Jeder von uns wird dadurch befleckt werden.«

»Gut«, meinte Holle.

»Außerdem hast du gesagt, Holle, wir könnten uns keine weiteren Verluste leisten«, setzte Venus nach. »Steel gehört zu den Intelligentesten ihres Kaders. Selbst wenn man sich die Rebellion ansieht, hat sie Weitsicht, Führungskraft, strategisches Talent und sogar eine Art militärischer Begabung an den Tag gelegt. Sie hat es fertiggebracht, all diese Teenager-Gangs zu vereinigen. Und sie war gründlich. Sie hat die Funkverbindungen unterbrochen, einschließlich des Reservesystems. Sie hat das Shuttle sabotiert. Alles unter vollständiger Geheimhaltung …«

»Ich will keine Führungskraft«, erwiderte Holle. »Nicht unter den Schiffsgeborenen. Ich will keine Weitsicht, keinen Idealismus, keine Neugier oder Initiative. Ich will keine Courage. Ich will nur Gehorsam. Mehr kann ich mir nicht leisten, bis wir unten auf der Erde III sind und der Tag kommt, an dem wir die Kuppeln öffnen und die Kinder einfach fortgehen lassen können. Ja, sie ist die Beste ihrer Generation, und deshalb ist sie eine solche Gefahr. Wir müssen den Prozess so öffentlich wie möglich durchführen. Das ist sogar der entscheidende Punkt. Aber ja, am Ende wird sie sterben. Grace, ich erwarte von dir Vorschläge, wie wir das schnell und schmerzlos erledigen können.«

Wilson blies die Wangen auf und stieß die Luft aus. »Wow! Du hast das wirklich gründlich durchdacht, was?«

Venus schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«

»Dann sag nichts. Akzeptiere einfach mein Urteil.«

»Ich kann nicht glauben, dass wir dieses Gespräch führen. Ich kenne dich fast dein ganzes Leben lang, Holle. Jetzt errichtest du ein Regime totaler Überwachung, gestützt auf absolute Macht. Bist du das?«

Holle schaute ihr ins Gesicht. »Erinnerst du dich an all diese theoretischen Debatten, damals auf der Akademie? Über den einer Situation wie dieser innewohnenden Konflikt zwischen Menschenrechten und der Notwendigkeit, das Leben selbst aufrechtzuerhalten? Die Wahrheit ist: Ganz gleich, welches System wir ausprobiert haben, am Ende sind wir immer gescheitert. Der einzige Weg, wie wir jetzt überleben können, ist die absolute Herrschaft des Zentrums. Und das einzige Recht, das die Crewmitglieder noch haben, ist das Recht auf eine Chance, die Reise zu überleben.«

»Vielleicht hat Holle Recht«, sagte Grace leise. »Es ist nicht unsere Schuld. Niemand sollte gezwungen werden, eine solche Reise zu ertragen. Niemand sollte eine Generation von Kindern dazu verdammen, in einem Käfig aufzuwachsen.«

»Es war notwendig«, sagte Venus. »Das dachten die Missionsplaner jedenfalls.«

Und vielleicht, dachte Holle, die sich an Graces Worte klammerte, würde die Crew ihr verzeihen können.

»Tja«, sagte Grace. »Das hat … mir die Augen geöffnet. Ist das alles?«

»Momentan ja«, sagte Holle. »Machen wir uns an die Arbeit.«

Ohne ein weiteres Wort, aber offenkundig erleichtert schoss Grace durch die Luke hinaus, mit einem unbewussten Geschick, das von Jahrzehnten im freien Fall herrührte.

Wilson machte sich bereit, ihr zu folgen. »Ich muss zugeben, diese Seite an dir habe auch ich noch nie gesehen, Holle. Schade, dass sie nicht schon früher zum Vorschein gekommen ist. Wir hätten ein großartiges Team abgegeben.«

Als er fort war, zögerte Venus noch einen Moment. »Ich schätze, die anderen haben noch nichts von unserem langfristigen Problem mitgekriegt.«

»Welches Problem meinst du?«

»Den Verlust von Shuttle A. Ich habe keine Lösung dafür. Du?«

»Nein«, flüsterte Holle. »Nein, ich auch nicht.«

Venus nickte. »Na ja, ist noch ein weiter Weg bis zur Erde III. Wir haben Zeit, uns etwas zu überlegen. Was den Rest betrifft …« Sie sah Holle ein paar lange Sekunden an, als hätte sie sie noch nie gesehen. »Ach, zum Teufel damit.« Sie schwebte nach oben, hinaus aus der Kabine, hinter den anderen her.

Holle blieb allein in Wilsons Kabine zurück. Sie saß reglos da. Dann klappte sie zusammen und umschlang ihre Knie. Sie wagte es nicht zu weinen, aus Angst, dass jemand es hören könnte.

Die Letzte Arche
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