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Grace Gray fand Kelly Kenzie an ihrem Platz auf dem vierten Deck von Seba, ein paar Minuten, bevor die Sitzung des Crew-Rats beginnen sollte. Grace zog sich an einem der Seile, die zwischen den Decks gespannt worden waren, um die Mobilität während dieser schwerelosen Reise zu erleichtern, von Deck fünf herauf und drehte sich, um mit den Beinen voran anzukommen. Sie hatte einen Handheld dabei und ließ ihn nun durch die Luft trudeln.
Kelly fing ihn mühelos auf und begann, ihn zu inspizieren. Sie saß neben Holle Groundwater und Zane Glemp, die Beine um die Haltestange ihres T-Hockers geschlungen. Auf dem Tisch vor ihr lagen Handhelds und Notizblöcke, festgehalten von Klettstreifen; ein paar Griffel schwebten auch in der Luft. Kelly wirkte gestresst und übernächtigt. Grace wusste, dass sie die ersten paar Monate ihres Kommandos dieser Trans-Jupiter-Mission härter als erwartet gefunden hatte. Aber schließlich war sie auch mit Problemen konfrontiert, mit denen keiner von ihnen gerechnet hatte.
Holle lächelte Grace zu und schenkte ihr Kaffee ein. Dazu musste sie die Flüssigkeit aus einer Thermosflasche in einen Becher mit einer Tülle spritzen, der der Schnabeltasse eines Babys ähnelte.
»Danke.« Grace nippte vorsichtig an dem Kaffee. Er schmeckte ziemlich widerlich und würde wahrscheinlich noch widerlicher werden, wenn ihnen in ein paar Jahren die komprimierten, gefriergetrockneten Ingredienzien ausgingen. Sie nahm mit dem Rücken an einer Wand Platz.
Kelly hackte auf dem Handheld herum und scrollte durch Graces Bericht, wobei sie hin und wieder unterdrückte Flüche vor sich hin murmelte. »Ist das die komplette Erhebung?«
»Ich habe mit jedem in beiden Modulen gesprochen«, sagte Grace. »Ich habe ihre Bordmarken, soweit vorhanden, und ihre biometrischen IDs überprüft. Ich habe sogar ihre Namen von unabhängiger Seite verifizieren lassen und ihre Behauptungen bezüglich ihrer Qualifikationen und ihres genetischen Hintergrunds mit Gordo am Boden gecheckt.«
»Hattest du keine Schwierigkeiten, die Daten zu kriegen?«, fragte Grace.
Grace zuckte die Achseln. »Es ging schon. Ich schätze, die Tatsache, dass ich zu keiner der Fraktionen gehöre, war von Vorteil. Alle misstrauen mir gleichermaßen.«
Holle musterte Graces Bauch. »Du bist jetzt im neunten Monat, aber du kommst mit der Schwerelosigkeit besser zurecht als manch anderer von uns Kandidaten. Das Leben im All ist echt ätzend, was? All die Kleinigkeiten. Man kann sich nicht so waschen oder duschen wie auf dem Boden. Man kann sich nicht mal die Zähne putzen, ohne dass einem Zahnpasta in die Augen fliegt …«
Grace lächelte vorsichtig. Holle war so ziemlich die offenste unter den Kandidatinnen und Kandidaten, und sie war immer freundlich gewesen, seit Gordo ihr Grace letztes Jahr aufs Auge gedrückt hatte. Aber selbst Holle kam ihr verwöhnt vor. Die Kandidaten meckerten ständig über ihr Los und zeigten nur selten Mitgefühl mit der schrecklichen Lage jener Millionen, vielleicht sogar noch Milliarden, die auf der im Wasser versinkenden Erde litten. Grace tätschelte ihren Bauch. »Ich finde das nicht so tragisch. Die Raumkrankheit war nicht schlimmer als die morgendliche Übelkeit. Und die Schwerelosigkeit hilft mir, diesen Klumpen herumzuschleppen, schätze ich.« Allerdings traten andere Nebenwirkungen auf. Manchmal gab ihr Körper erschreckende gurgelnde Geräusche von sich, wenn er das Fehlen des Schwerefelds zu kompensieren versuchte, in das jedes andere Baby seit Kain und Abel hineingeboren worden war. Aber zumindest würde sie nicht die Erste sein, die hier draußen im Weltraum ein Kind bekam; zwei bei der Einschiffung ebenfalls schon schwangere Kandidatinnen hatten bereits erfolgreich in Doc Wetherbees fachkundigen, wenn auch überlasteten Händen entbunden, und die genetische Diversität der Crew hatte folglich zugenommen.
»Da kommen sie«, sagte Kelly. »Wird Zeit, die Schutzwesten anzulegen, Amigos.«
Grace schaute sich um. Die Leute kamen von allen Seiten auf Kellys Platz zu, über die Rutschstange durch die Decks oder durch den Verbindungstunnel vom zweiten Modul.
Kelly hatte ihre engsten Verbündeten bereits bei sich, Zane, Holle und Venus, die per Monitor aus der Kuppel zugeschaltet war, wo sie Wilson Argents Außenbordeinsatz überwachte. Nun erschienen auch andere Kandidaten: Joe Antoniadi, großäugig wie immer, als wäre die Welt eine unausgesetzte Überraschung, Thomas Windrup und Elle Strekalow, die aneinanderklebten, und Cora Robles, die missmutig und gelangweilt dreinschaute, ein Partygirl, fünf Lichtminuten vom nächsten Club entfernt. Doc Wetherbee kam ebenfalls; er brachte einen eigenen Handheld mit und trug eine wütende Miene zur Schau.
Dann trafen ein paar der »Eindringlinge« ein, wie die Kandidaten abschätzig Leute wie Grace nannten, die der Crew in einem späten Stadium des Auswahlprozesses durch spezielle Interessengruppen aufgezwungen worden waren. Theo Morell wirkte noch nervöser als sonst. Und es kamen auch einige der noch beleidigender etikettierten »Illegalen« – abtrünnige Elemente aus den Sicherheitstruppen, die, angeblich mit der Aufgabe betraut, das Schiff zu bewachen, in den letzten Momenten selbst an Bord gestürmt waren. Grace kannte mittlerweile ihre Namen, zum Beispiel die Shaughnessy-Brüder sowie Jeb Holden und Dan Xavi, zwei knallhart aussehende ehemalige Eye-Dees. Die Illegalen wurden inoffiziell von Masayo Saito angeführt, einem jungen japanisch-amerikanischen Lieutenant, dem höchstrangigen Militärangehörigen an Bord. Masayo behauptete, er sei nicht freiwillig hier, sondern einfach von den anderen mitgerissen worden. Grace glaubte ihm sogar; sie hatte Bilder der Frau und des Babys gesehen, die er auf der Erde zurückgelassen hatte und jetzt vermutlich nie wiedersehen würde.
Nachdem das Triebwerk der Orion erloschen war und sie angefangen hatten, sich frei im Schiff und durch den Verbindungstunnel zwischen den beiden Modulen zu bewegen, war Grace erstaunt über den Anblick der Illegalen in ihren verschmutzten, blutbesudelten Militäruniformresten gewesen. Sie kannte nicht einmal die Hälfte der Eindringlinge. So viele Leute hatten es aufs Schiff geschafft, die sie noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Aber alle waren jung, fast alle jünger als Grace mit ihren sechsundzwanzig Jahren. Nun, die meisten Militärangehörigen, die an vorderster Front kämpften, waren jung, also war das vielleicht nicht weiter überraschend.
Der Raum begann sich zu füllen. Die Mitglieder der Crew drängten sich um Kellys Tisch, suchten sich Streben an der Wand oder der Decke, wo sie wie Fledermäuse hingen, und kleckerten herum, indem sie Kaffeebecher von einem zum anderen segeln ließen. Von den Decks über und unter ihnen, gut sichtbar durch die Gitterabtrennungen, kam ein konstanter Radau. Das Modul maß von einer gekrümmten Wand zur anderen nur acht Meter. Racks mit rundem Rücken, die an jeder Wand standen – Ausrüstungslager und Magazine, die alles enthielten, was man für einen bis zu zehnjährigen Aufenthalt auf einem Sternenschiff brauchte –, reduzierten das verfügbare Volumen noch mehr. Grace hatte genug von der Konstruktion des Moduls gesehen, um zu glauben, dass es ein Wunderwerk der Packkunst, der Raum- und Speichereffizienz war. Es gab einfach nur nicht genug freien Raum, verdammt nochmal. Manchmal kam es ihr so vor, als lebten sie in einem riesigen, überfüllten Treppenschacht, oder vielleicht in einem Gefängnis.
Als gestiefelte Füße vor ihrem Gesicht herumwedelten, kauerte Grace sich zusammen und träumte davon, über eine leere Prärie zu wandern.
Schließlich waren sie vollzählig versammelt, und Kelly klopfte mit einem Griffel auf die Tischplatte, um sie zur Ordnung zu rufen.
»Okay, Sitzung des Schiffsrats heute, am vierzehnten Februar 2042. Den Vorsitz führt Kelly Kenzie.«
»Alles Gute zum Valentinstag, Schnuckelchen«, rief einer von Masayos Jungs, und es gab gedämpftes Gelächter.
Kelly ignorierte es mit steinerner Miene. »Die Diskussion wird später nach Alma übertragen, zwecks Anmerkungen und Ratschlägen. Beginnen wir mit den Sektionsberichten. Zane, willst du den Anfang machen?«
Zane war der offizielle Leiter eines Teams, das sich mit den exotischeren technischen Angelegenheiten befasste. Der Antrieb der Orion sei fürs Erste abgeschaltet und gesichert worden, ohne dass größere Defekte aufgetreten seien, berichtete er, und vorbehaltlich des Ergebnisses von Inspektionen wie derjenigen, die Wilson gerade durchführte, scheine es keinen Grund zu geben, warum der Antrieb ihnen nicht ebenso gute Dienste leisten solle, wenn sie zum Jupiter kamen. »Am Ende werden wir wahrscheinlich noch einen Haufen Atombomben übrig behalten«, sagte er.
Unterdessen sollten die Prometheus-Reaktoren bald einsatzfähig sein. Das waren hoch entwickelte Triebwerke, die auf Konstruktionsentwürfen für ein dann doch nicht gebautes unbemanntes Raumfahrzeug namens Jupiter-Eismonde-Orbiter beruhten. Wenn sie die Arbeit aufnahmen, würden die Treibstoffzellen entlastet werden. Und die vorläufig in den unteren Sektionen der Module untergebrachte Warp-Blasen-Ausrüstung, die im Jupiterorbit montiert werden sollte, schien durch die Ereignisse beim Start keine Schäden davongetragen zu haben.
Venus meldete sich aus der Kuppel und berichtete, ihr Planetensuchprojekt sei probehalber gestartet worden. Eigene Forschungen sollten die Beobachtungen von Teleskopen in der Erdumlaufbahn wie dem Hubble und noch vorhandenen terrestrischen Instrumenten wie denen in Chile ergänzen. Die nützlichste Arbeit würde in den Monaten geleistet werden, die sie im Jupiterorbit in einer konstanten Entfernung von der Erde verbrachten; dann würden sie ernsthaft daran gehen, das Ziel der Arche auszuwählen. Zugleich trug Venus auch die Verantwortung für GN & C, ein NASA-Acronym für »guidance, navigation and control« – das Leit-, Navigations- und Kontrollsystem des Schiffes. Sie gab die Ergebnisse ihrer jüngsten Kurskorrektur hinsichtlich der Exaktheit ihrer Flugbahn auf drei Achsen bekannt: »Minus eins, plus eins, plus eins. Viel besser geht’s nicht.«
»Okay. Holle?«
Holle Groundwater leitete ein Team, das für prosaischere Aspekte der Schiffssysteme zuständig war, aber sie rasselte ihre Akronyme ebenso lässig herunter wie die anderen. »Comms« – Kommunikationssysteme – verstand Grace ohne Weiteres. »EPS« stand für »electrical power system«, die Schiffselektrik. »ECLSS« – »environmental control and life support system« – war das Lebenserhaltungssystem, ein Verbund komplizierter Mechanismen zur Reinhaltung der Luft und zur Wiederaufbereitung des Wassers, von denen ihrer aller Leben abhing. Das Ziel war hoch gesteckt. Zwar würde es immer Lecks und Schwund geben, aber sie strebten danach, die Kreislaufsysteme der Luft, des Wassers und anderer lebenswichtiger Stoffe so weit geschlossen zu halten, dass sie jahrelang funktionierten. Momentan führte Holle mit ihrem Team eine aufwendige Abfolge von Konfigurationen und Tests durch, um ihre Systeme in den Normalzustand für den Flug zu versetzen. Dazu gehörte auch die Einrichtung eines Hydro-Gartens auf dem untersten Deck von Seba. Bisher, meldete sie, laufe alles gut.
Die Ungebetenen und Illegalen hörten sich das alles schweigend an. Die Sektionsleiter waren natürlich allesamt Kandidaten und für ihre Aufgabe ausgebildet. Allein das machte schon die Spaltungen in der Crew deutlich.
Doc Wetherbee berichtete als Letzter. Er war erst vierundzwanzig Jahre alt und ebenfalls Kandidat. Zusätzlich zu seiner formalen Ausbildung war er als praktischer Arzt in Denver tätig gewesen, in Notaufnahmen sowie in Triage-Teams in Eye-Dee-Camps und Auffangzentren. Während er mit einem Auge seinen Handheld im Blick behielt, gab er einen kurzen Überblick über den allgemeinem Gesundheitszustand der Crew; nur drei Personen litten noch unter der Weltraumkrankheit, weitere zwei hatten Probleme mit dem Flüssigkeitshaushalt. Die Frau, die sich das Bein gebrochen hatte, als ihre Liege beim Start zusammengebrochen war, befand sich auf dem Wege der Besserung – wie auch ein Illegaler, der sich einen Knöchel gebrochen hatte, als er einen Kandidaten verprügelte. Wetherbees medizinische Vorräte waren bisher weniger stark beansprucht worden als erwartet.
»Unseren beiden neuen Müttern und ihren Babys geht es gut«, schloss er. »Damit bleibt mir nur noch eine Frage: Gibt es einen Arzt im Haus? Außer mir, meine ich.«
Eine allgemeine Unruhe entstand; der kritische Punkt der Zusammenkunft näherte sich. Wetherbee war verständlicherweise wütend über das Ergebnis des Starts, denn zu denen, die nicht an Bord gelangt waren, gehörte auch Miriam Brownlee, eine fähige Psychiaterin und Chirurgin – und Wetherbees Geliebte.
»Grace, du hast die Erhebung durchgeführt«, sagte Kelly und warf ihr den Handheld zu. »Willst du das beantworten?«
Grace fing das Gerät auf. »Okay. Ihr wisst alle, dass der Einschiffungsprozess am Starttag völlig chaotisch abgelaufen ist. Auf Kellys Bitte habe ich eine simple Überprüfung durchgeführt, wer tatsächlich an Bord dieses Schiffes ist – wer ihr seid, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten ihr besitzt, welche Krankheiten oder anlagebedingten Störungen ihr habt und so weiter. Ich habe euch alle um Daten gebeten, wie auch um eine Bestätigung dessen, was eure Freunde mir erzählt haben.
Hier kurz zusammengefasst die Ergebnisse. Die Details lade ich ins Schiffsarchiv hoch, wenn der Rat einverstanden ist. Die offizielle Crew bestand aus achtzig Erwachsenen. Tatsächlich sind achtundsiebzig Erwachsene an Bord. Das hat die Zählung ergeben, die wir gleich am ersten Tag durchgeführt haben.«
»Die Meuterei hat also dazu geführt, dass wir die Erde mit zwei leeren Kojen verlassen haben«, sagte Kelly. »Sprich weiter.«
»Von den achtundsiebzig sind neunundvierzig Kandidatinnen und Kandidaten. Von den Übrigen sind neunundzwanzig später zur Crew hinzugekommen, aber mit formeller Billigung des Kommandoteams unter Gordo Alonzo auf dem Boden. Dazu gehöre ich selbst. Bleiben also acht, die in diesen letzten Augenblicken, bevor die Gangway hochgezogen wurde, an Bord gekommen sind.«
»Sprich es doch aus«, sagte Masayo Saito. »Wir haben alle gehört, wie ihr uns nennt. Illegale.«
»Was das Sanitätspersonal angeht«, fuhr Grace ungerührt fort, »so war ursprünglich geplant, drei Ärzte mit Fachkenntnissen in Chirurgie, Psychiatrie, Kinderheilkunde und anderen Gebieten an Bord zu haben.«
Wetherbee fragte: »Und nach deiner sorgfältigen Umfrage beträgt die Anzahl ausgebildeter Ärzte, die es tatsächlich an Bord geschafft haben …«
»Einer. Du, Mike. Ist einfach Pech, schätze ich. Tut mir leid.«
Er lachte bitter. »Ist ja nicht deine Schuld.«
»Was für ein Schlamassel«, sagte Kelly. »Was noch, Grace? Wie steht’s mit Erste-Hilfe-Kenntnissen?«
»Da stehen wir besser da. Alle Kandidaten haben eine ordentliche Ausbildung in Erster Hilfe oder Erstversorgung. Ebenso wie Masayo und einige seiner Jungs.«
»Da habt ihr’s«, sagte Masayo. »Ihr braucht uns also doch.«
»Aber wir sind in hohem Maße auf Doc Wetherbee hier angewiesen«, meinte Kelly. »Gordo Alonzo wird uns ganz schön aufs Dach steigen, damit wir eine Möglichkeit finden, ihn zu unterstützen. Hör mal, Mike, ich will dich nicht noch zusätzlich unter Druck setzen. Aber vielleicht könntest du zusammen mit Grace die vielversprechendsten Sanitäter unter den Kandidaten herauspicken. Überleg dir ein Ausbildungsprogramm. Vorläufig haben wir noch Fernunterstützung vom Boden; solange es nicht um Chirurgie oder um Traumafälle geht, wird das wohl eine Hilfe sein.«
»Aber wir werden den Kontakt verlieren, sobald wir in den Warp-Modus wechseln«, sagte Zane kalt. »Und wenn die Wellen sich über Alma schließen.«
»Das weiß ich, Zane«, blaffte Kelly. »Aber bis dahin haben wir noch Zeit, Lösungen zu finden. Wie steht’s mit der genetischen Diversität, Grace? Die Sozialingenieure haben ihre Auswahlparameter sogar bei den Eindringlingen beizubehalten versucht. «
»Um das umfassend beantworten zu können, müssen wir eine DNA-Analyse durchführen«, sagte Grace. »Aber von den Militärangehörigen ist nur eine Person weiblich. Und zwei sind sogar Brüder, die Shaughnessys.«
»Brüder.« Mike Wetherbee lachte bellend. »Herr im Himmel! Selbst das haben wir verbockt.«
»Soll das jetzt bis zum Scheiß-Jupiter so weitergehen?«, fragte Masayo grollend.
Kelly verschränkte die Arme. »Ich mag euch nicht, und auch nicht die Art, wie ihr euch Zutritt zum Schiff verschafft habt. Aber jetzt sitzen wir alle in diesem Kahn fest, und zwar für den Rest unseres Lebens. Und wir haben keinen Platz für Leute, die nichts leisten, Masayo.«
»Schön«, sagte Masayo. »Wir wollen ja arbeiten.«
»Gut. Holle?«
Holle ließ den Blick lächelnd über die Gruppe schweifen. Sie sah aus, als machte ihr die Versammlung Spaß. Die Spannung ließ merklich nach. Grace bewunderte ihr unauffälliges Geschick. »Wir müssen dringend eine Wartungsroutine einführen. Wir sind achtundsiebzig Personen, in einen engen Raum gezwängt. «
»Ja, und mir scheint’s ein verdammt enger Raum zu sein«, sagte Masayo. »Wie viel Platz haben wir eigentlich?«
Holle tippte auf ihrem Handheld herum und suchte nach Zahlen. »Ihr wisst ja, dass die beiden Module auf Ares-Treibstofftanks basieren – ihrerseits abgeleitet vom Außentank der alten Space Shuttles. Jedes ist ein Zylinder von ungefähr acht Metern Durchmesser und fünfzig Metern Länge. Ein Teil des Durchmessers wird von den Wassertanks unter der Hülle, den Ausrüstungs-Racks und so weiter eingenommen. Uns bleiben ungefähr viertausendsiebenhundert Kubikmeter Wohnraum in den Modulen. Das ist ungefähr das Dreifache der Druckkabine einer Boeing 747. Ungefähr das Fünffache des verfügbaren luftgefüllten Raums in der ISS …«
»Aber eine dreizehn Mal so starke Crew«, warf Kelly ein.
»Und leider steht uns momentan noch nicht einmal der maximale Raum zur Verfügung, weil wir im unteren Drittel jedes Moduls die Komponenten des Warp-Generators unterbringen mussten.
Es wird harte Arbeit sein, ein solch geringes Raumvolumen bewohnbar zu erhalten. Wir werden dir und deinen Jungs die Grundlagen des Raumflugs beibringen, Masayo. Zum Beispiel: All das Zeug, das bei Schwerkraft zu Boden fällt, der Staub, der sich absetzt, also, in der Mikrogravitation tut er das nicht, und darum ist unsere Atemluft voller Unrat – darunter auch Stückchen von uns selbst. Wir werden jeden Tag die Wände abschrubben müssen, wenn wir uns nicht Algenwachstum und Schimmel zuziehen wollen. Außerdem müssen wir Brennstoffzellen reinigen, Batterien aufladen, Abwasser sammeln, Kohlendioxid-Scrubber-Behälter auswechseln, Trinkwasser chlorieren und so weiter. Wir müssen Dienstpläne aufstellen. Ich poste Entwürfe ins Schiffsarchiv, wenn wir fertig sind.«
Masayo verschränkte die Arme. »Wir sollen für euch die Putzkolonne machen. Das willst du doch sagen.«
Kelly beugte sich vor. »Wenn ihr Fertigkeiten besitzt, die wir auf diesem interstellaren Raumschiff gegenwärtig dringender brauchen, dann lasst es mich wissen. Auf längere Sicht, mit Hilfe vom Boden, können wir herausfinden, wie wir das Beste aus den Fähigkeiten und Erfahrungen machen können, die jeder von uns mitbringt. Aber vorläufig, ja, da werdet ihr putzen. Und ich auch, so wie wir alle. Wenn du deine Dienstpläne aufstellst, Holle, setz mich und Lieutenant Saito für die erste Periode an die Spitze der Wandschrubbertruppe.«
Holle nickte.
Kelly schaute auf den Tisch und sah dann die Anwesenden an, die in verschiedenen Winkeln in der Luft um sie herumschwebten. »Okay, ich schätze, diese Versammlung war produktiv. Aber sie ist nur ein Anfang. Wir werden einfach lernen müssen, miteinander auszukommen. Und füreinander wie auch für das Wohl des Schiffes zu arbeiten. Ganz egal, welche Differenzen wir sonst haben, ich hoffe, wir können uns darauf einigen. Noch irgendwas? Nein? Dann sind wir hier fertig.«
Doch als die Versammlung sich auflöste, bedeutete Kelly Holle und Grace, noch zu bleiben.
Sobald Masayo und seine Jungs außer Hörweite waren, sagte sie leise: »Wie steht’s mit Waffen? Diese Gang kleiner Soldaten muss bewaffnet an Bord gekommen sein. Grace, hast du irgendeinen Hinweis darauf, wo sie ihre Kanonen versteckt haben?«
Grace schüttelte den Kopf. »Bin nicht auf die Idee gekommen, danach zu fragen. Da musst du mit Masayo reden.«
Kelly wirkte geistesabwesend. »Nein«, sagte sie. »Ich kann mir in dieser Sache keine Konfrontation leisten. Holle, ich möchte, dass du dir ein paar Leute holst. Mindestens zwei für jeden Illegalen. Führt eine Razzia durch. Drückt sie zu Boden und nehmt ihnen die verdammten Knarren ab. Such dir ein paar kräftige Typen, denen du vertrauen kannst. Wilson zum Beispiel.«
Holle machte ein skeptisches Gesicht. »Das wird auf lange Sicht Probleme verursachen.«
»Soll Masayo ruhig keifen. Besser als Waffen im Innern der Druckmodule. Erledige das.« Sie schaute auf eine Uhr, die auf Alma-Zeit eingestellt war, so wie alle Uhren im Schiff. »Ich muss nachsehen, wie Wilson mit seiner EVA vorankommt.«