39

Matts Zelle war primitiv, eine Höhle in einem Betonblock, die Wände rau und unverputzt. Er hatte eine Chemietoilette, ein Waschbecken, einen Schrank mit Büchern, ein Bett, einen Fernseher. Aber es gab keine Fenster, kein natürliches Licht.

Matt saß auf seinem Bett, als Gordo die Tür öffnete. Liu und Gordo folgten Holle hinein; Patrick blieb draußen.

Matt stand auf und wandte dabei den Blick ab, als schämte er sich. Er trug einen Overall aus einem groben Recyclingmaterial. »Hätte nicht gedacht, dass du kommst«, sagte er zu Holle. »Ich weiß, ich habe gesagt, dass ich mit dir reden würde, wenn du kämst, aber …«

Sie rang sich ein Lächeln ab. »Hätte auch nicht gedacht, dass ich hierherkommen würde.« Sie wusste immer noch nicht, was die drei von ihr wollten. Sie setzte sich aufs Bett, und Matt nahm neben ihr Platz. Liu Zheng setzte sich auf den einzigen Stuhl im Raum, einen harten Plastikstuhl mit senkrechter Lehne, und Gordo lehnte sich mit verschränkten Armen an die Wand.

»Tut mir leid, dass es hier drin so stinkt«, sagte Matt. »Ich dusche alle drei Tage. Aber die Zelle ist nun mal winzig.«

»In ein paar Wochen wird die ganze Arche wahrscheinlich genauso stinken.«

»Vielleicht. Ich werd’s nie erfahren, oder? Du hast bestimmt nicht gewusst, dass es auf dem Startgelände ein Gefängnis gibt.«

Sie zuckte die Achseln. »Überrascht mich nicht. Das ganze Gelände ist jetzt so was wie ein Gefängnis. Es wimmelt nur so von Cops, Soldaten und Nationalgardisten. Sie halten dich hier fest, seit …«

»Seit ich den Mord an Harry gestanden habe, ja.«

»Wie wär’s mit einem Prozess?« Sie hob den Blick zu Gordo.

»Wir haben eine Menge zu tun«, sagte Gordo. »Prozessvorbereitungen stehen da nicht gerade an oberster Stelle.«

»Ich will keinen Prozess«, erklärte Matt mit fester Stimme. »Wozu sollte das gut sein? Das Ergebnis wäre doch dasselbe.«

Holle hob die Schultern. »Okay. Aber wie geht’s jetzt weiter? Sie werden dich von hier wegbringen, nehme ich an.« In dieser Zelle waren sie nicht mehr als vierhundert Meter von der Orion entfernt.

Liu Zheng beugte sich vor. »Darüber müssen wir mit Ihnen sprechen, Matt. Wir brauchen Freiwillige.«

»Freiwillige?«

»Sehen Sie …« Liu zeigte nach oben und nach draußen, ungefähr dorthin, wo die Arche stand. »Sie wissen ja, wenn sich der Vogel in die Lüfte erhebt, wird im Umkreis von mehreren Hundert Metern um die Startrampe herum alles zerstört werden. Die Zone wird dem Erdboden gleichgemacht werden, ebenso wie ein großer Teil des Hinterlands …«

»Ich weiß, ich weiß. Nichts, was sich in der Nähe der Orion befindet, wird den Start überstehen. Und?«

»Aber jemand muss ›in der Nähe‹ bleiben«, sagte Gordo. »Bis zum Ende, bis zu dem Moment, wenn diese Kanonen anfangen, ihre thermonuklearen Geschosse durch die Prallplatte nach unten zu spucken.«

Liu Zheng seufzte. »Die Arche ist eine experimentelle Maschine, Matt. Es ist ein makabrer Witz, dass wir bis zu dem Moment, in dem sie abhebt, weiter an ihr herumbasteln werden. Aber es trifft zu. Reihe Modifikationen. Die meisten davon werden wir nicht mehr installieren, geschweige denn testen können. Sie wissen, dass der Startvorgang von einem Bunker beim Pikes Peak aus überwacht wird. Aber diese Kontrolle und Unterstützung aus der Ferne werden nicht reichen. Wir gehen davon aus, dass in den letzten Stunden des Countdowns etliche Fehlermöglichkeiten auftreten werden – einige davon können wir voraussehen, aber viele sicherlich auch nicht.

Darum werden wir ein Team zusammenstellen. Ein Team, das bis zur letzten Minute hier bleibt, bis es zu spät ist, aus der Explosionszone zu entkommen – das verstehen Sie bestimmt –, ein Team, das möglicherweise in der Orion herumkriecht und Lecks abdichtet, noch während die Atombomben zünden.«

»Ein Selbstmordkommando also«, sagte Matt langsam. »Und Sie wollen, dass ich dabei bin.«

Holle merkte, wie ihr die Luft wegblieb. Nach einem Tag voller Schocks war dies nun eine weitere Entwicklung, die sie nicht erwartet hatte.

Gordo sagte: »Deinen Eignungstests zufolge warst du ziemlich gut in Mathe, Physik und Nukleartechnik, aber vor allem warst du einer der besten Mechaniker im Kandidatenkorps. Also, das ist deine Chance, mein Junge. Eine Chance, etwas für das Projekt zu tun, dem du dein Leben gewidmet hast.«

Liu Zheng streckte die Hand aus und fasste ihn an der Schulter. »Und ich«, sagte er, »werde bei euch sein. Ich werde die Leitung übernehmen. Dies ist schließlich mein Projekt.« Er lächelte. »Es wird eine Ruhmestat sein. Denken Sie an die Ehre. Denken Sie an das Schauspiel, wenn der Vogel abhebt, eingebrannt in Ihre Netzhäute …«

»Bevor mein Gehirn verdampft.«

»Du wirst in vollem Umfang begnadigt«, erklärte Gordo. »Schriftlich, vom Präsidenten, wenn du willst. Wir brauchen dich, mein Junge. Holle braucht dich.«

»Was ist das für eine miese Manipulation«, fuhr Holle auf. »Es ist ein Todesurteil!«

Matt blickte sie an. »Fliegst du mit?«

Gordo und Liu sahen Holle ebenfalls an. Jetzt verstand sie, weshalb die beiden sie hergebracht hatten. Elend sagte sie: »Ja, Matt. Ja, ich fliege mit.«

Matt nickte. Er ergriff Lius Hand und schüttelte sie. »Geben Sie mir einen Schraubenschlüssel, und ich bin Ihr Mann, Boss.«

Holle konnte es nicht mehr ertragen. Sie lief zur Tür, die sich öffnete, um sie freizulassen, und fiel ihrem Vater in die Arme.

 

Auf dem Weg zum Wagen roch sie Feuer. Überall am Horizont stieg Rauch empor, schwarz und hässlich. Wie sich herausstellte, hatte Präsident Peery angeordnet, einen mehr als sechs Kilometer langen, mit kostbarem Öl gefüllten Graben anzuzünden, der die gesamte Kernzone umgab. Der Graben würde am Brennen gehalten werden, bis ihn das Triebwerk der aufsteigenden Arche auslöschte.

Die Letzte Arche
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