29
»Vielleicht solltest du lieber das da anziehen.«
Ein Windhauch in ihrem Gesicht. Etwas Hartes, Klobiges unter dem Rücken. Bruchstückhafte Eindrücke. Sie spürte, wie ihr Wasser über die Lippen in den Mund rann, abgestanden und säuerlich. Trieb da irgendjemand Spielchen mit ihr, Wilson oder Kelly vielleicht?
Aber sie war nicht im Schlafsaal. Sie schüttelte den Kopf, um dem Rinnsal zu entgehen, und stöhnte. Ihr Kopf tat weh.
Sie schlug die Augen auf und sah ein Stück blauen Himmel, zwischen den Mauern zweier hoher Gebäude. Das Wasser, das ihr ins Gesicht spritzte, kam aus einem Überlauf hoch oben an der Wand über ihr.
Angewidert rollte sie sich herum. Bei jeder Bewegung blitzten blendende Lichter in ihren Augen auf. Sie saß im Schmutz, auf Pflastersteinen. Und sie war bis auf die Unterwäsche entkleidet. »Scheiße.« Sie schloss die Arme über der Brust und dem Schritt.
»Ich hab gesagt, vielleicht solltest du lieber das da anziehen.«
Sie drehte sich um. Jemand saß im Schatten, an eine Mauer gelehnt. Er war barfuß und trug eine zerlumpte Jeans, eine Jacke mit einem fast zur Unsichtbarkeit verblassten Logo. Sein Haar war ein schwarzer Wust, und er hatte einen dünnen Bart. Er konnte nicht älter als siebzehn oder achtzehn sein. Er starrte ihr auf die Brust.
»Glotz mich nicht so an.«
»Na, du bist doch die mit den nackten Titten. Ich sag’s nochmal, du solltest das da anziehen.«
Sie schaute hin und sah einen Haufen schmutziger Kleider neben ihr, eine Art Overall, ein Unterhemd. Sie stanken. »Das Zeug gehört mir nicht.«
»Ich weiß. Der Kerl, der dich hier abgeladen hat, hat es dagelassen. Gehört seiner Tochter, hat er gesagt. Du würdest das schon verstehen.«
Sie starrte ihn an. »Wo sind meine Sachen?«
»Hat er mitgenommen. Der Kerl mit der Tochter. Schicke rotblaue Klamotten, stimmt’s? Dein Gesicht kam mir gleich bekannt vor. Du bist eine Kandidatin. Wie ist das so, berühmt zu sein?«
Sie hörte laute Rufe, den Klang von Trillerpfeifen, das Knistern und Knastern von Funkgeräten irgendwo in der Nähe. Hunde bellten. Verständnislos starrte sie den Kleidermüll an. »Dieser Kerl – dieser Mann. Was hat der sich dabei gedacht? Wollte er so tun, als wäre seine Tochter eine Kandidatin? Hat er wirklich geglaubt, damit irgendjemand täuschen zu können? Wir kennen einander. Unsere Familien, unsere Tutoren kennen uns – ihr kennt uns.«
»Schon richtig, ist aber irgendwie ’n chaotischer Tag heute, findest du nicht? ’ne Menge Leute werden heute am falschen Platz landen. Da kann man’s einem nicht übelnehmen, dass er’s probiert. Und er hat dir nicht viel getan. Hat dir sogar die Stiefel gelassen.«
Sie sah, dass es stimmte; ihre Füße unten an den nackten Beinen steckten noch in den blauen Plastikstiefeln.
»’türlich hab ich sie dir auch gelassen«, sagte der junge Latino. »Was soll’s, Blau ist eh nicht so meine Farbe.« Er lachte meckernd, und sie sah, dass in seinen Zähnen große Lücken klafften. »Zieh jetzt deine Klamotten an.«
»Das sind nicht meine.«
»Na, das kannst du ja den Treibern erzählen, wenn sie kommen, oder? Die arbeiten sich Block für Block vor.« Er stand steifbeinig auf und wischte sich mit dem Handrücken die Nase ab.
»Was für Treiber? Wo bin ich?«
»Ecke Garfield und East Colfax.«
Nur ein paar Blocks von City Park entfernt, wo das Museum war. Sie stand auf, ohne ihren dröhnenden Schädel zu beachten. Sie hörte, wie die Trillerpfeifen, die Hunde näher kamen. Wenn sie mit den Cops reden konnte, würden sie ihr vielleicht eine Eskorte mitgeben und sie zu ihren Leuten zurückbringen, und dieser Alptraum wäre vorbei.
Der Junge starrte sie erneut an. Sie konnte hier nicht in BH und Höschen herumstehen. Sie schnappte sich die schmutzigen, zerlumpten Kleider und zog sie an. »Heute Nacht spiele ich in einem Pornostreifen in deinem Kopf die Hauptrolle, was?«, fauchte sie.
Er zuckte die Achseln. »Hätte mir deine Stiefel nehmen oder dir sonst was tun können. Du warst komplett weg. Sei froh, dass ich dich gefunden habe. Hätte viel schlimmer für dich ausgehen können.« Die Pfiffe und das Gebell wurden lauter. Er drehte sich zum nördlichen Ende der Straße um. »Schätze mal, die kommen von da. Hör zu. Sag ihnen, du kannst Beton mischen.«
»Was soll ich ihnen sagen?«
»Merk’s dir einfach. Holla, da sind sie schon.«
Ein Trupp Soldaten, vielleicht von der Nationalgarde, kam am Nordende des Blocks um die Ecke marschiert. Sie trugen Schutzwesten und Helme, die ihr Gesicht verbargen. Holle sah ungläubig, dass sie ein Netz dabeihatten, das einem Fischernetz ähnelte; es war an zwei Stangen aufgespannt und erstreckte sich über die ganze Breite der Straße zwischen den Blocks. Hinter Holle brummten Motoren, und als sie sich umdrehte, sah sie einen großen, offenen Lastwagen, der am südlichen Ende des Blocks hielt. Weitere Soldaten sprangen ab und nahmen vor dem Wagen Aufstellung. Sie hatten Handfeuerwaffen dabei und schwangen Schlagstöcke, und ihre Hunde bellten und schnappten.
Nun begannen die Einheiten am Nordende, sich den Block entlang vorzuarbeiten. Nur Holle und der Junge standen auf der Straße, aber die Soldaten traten die Türen der Häuser zu beiden Seiten ein und befahlen den Bewohnern mit lauter Stimme, herauszukommen. Holle hörte Protestrufe, das Kläffen von Hunden, das Knallen von Schüssen – sogar ein dumpfes Krachen, vermutlich von einer Handgranate.
Nach und nach kamen die Leute aus den Häusern, einige zerlumpte Eye-Dees, die zweifellos Hausbesetzer waren, aber auch andere, die wie normale Bewohner aussahen, alte Leute, ein junges Paar mit einem Kind von ungefähr zehn Jahren. Manche hatten ihre Habseligkeiten dabei, andere kamen verwirrt und mit leeren Händen heraus. Es waren nicht viele, vielleicht zwanzig. Holle vermutete, dass die meisten bereits fort waren und sich dem offiziellen Exodus nach Westen angeschlossen hatten.
Eine Familie musste aus dem Haus geschleift werden. Ein Mädchen, noch ein Teenager, hielt ihren Hund umklammert, eine zottelige Promenadenmischung. Haustiere durften auf die Evakuierungsmärsche nicht mitgenommen werden. Vielleicht hatte sich die Familie deshalb geweigert, das Haus zu verlassen. Schließlich packte ein Soldat den Hund und schmetterte ihn gegen die Mauer. Der Vater hielt das schreiende und weinende Mädchen zurück.
Und das Netz glitt die Straße entlang, Schritt für Schritt, unerbittlich wie die Flut selbst, und trieb sie alle zu den wartenden Lastwagen.
Holle drängte sich durch die mürrischen Zivilisten zum Netz durch. Keiner der Soldaten sah wie ein Offizier aus. Sie konnte ihre Gesichter, ihre Augen hinter den Visieren nicht erkennen. »Hey! Können Sie mir helfen? Ich sollte nicht hier sein.«
Dröhnendes Gelächter ertönte. Die Soldaten gerieten nicht aus dem Gleichschritt, und Holle musste zurückweichen.
»Keiner von uns sollte hier sein, Lady. Was will man machen? «
»Ich bin Kandidatin.«
»Ja, so siehst du gerade aus.«
»Ich sollte in einem der Busse sitzen, die nach Gunnison fahren. Vielleicht ist es noch nicht zu spät. Ich bin Holle Groundwater. Mein Vater ist Patrick Groundwater, der …«
»Ja, und ich bin Kelly Kenzies linke Titte. Jetzt steig mit den andern in den verdammten Lastwagen.«
Holle schaute sich um. Sie sah, dass die aus den Häusern getriebenen Menschen widerstandslos auf die Ladefläche des wartenden Lastwagens kletterten. Es war doch nicht möglich, dass dies wirklich passierte. Den anderen, ja. Aber nicht ihr. »Ich bin Kandidatin! Verdammt nochmal, hört mir zu, ihr Idioten …«
Ein Schlagstock kam aus dem Nichts, geschwungen von einer behandschuhten Hand, und traf sie mitten ins Gesicht. Sie wurde zu Boden geschleudert. Vielleicht eine Sekunde lang verlor sie erneut das Bewusstsein. Die Reihe kam auf sie zu, das schwere Netz schleifte über den Boden. Sie versuchte sich zu bewegen, konnte es aber nicht. Ein Tritt gegen die Brust stieß sie aus dem Weg, und sie rollte herum wie ein verrottetes Holzscheit.
Jemand zerrte an ihr. »Komm schon. Hoch mit dir. So ist’s gut …«
Sie stützte sich auf den Arm der Fremden, kam auf die Beine und schaffte es, ein, zwei Meter von der vorrückenden Linie wegzutaumeln. Aber jetzt war sie fast schon beim Lastwagen.
»Alles in Ordnung, Engelchen?« Die Frau, die ihr aufgeholfen hatte, war vielleicht sechzig Jahre alt, stämmig, mit einem Wust grauer Haare. Sie war in einen schweren Mantel gehüllt und trug einen Rucksack auf dem Rücken und festes Schuhwerk an den Füßen. Sie zumindest war auf diesen Tag vorbereitet gewesen.
Holle sagte: »In Ordnung? Ich …«
»Ich weiß. Bei wem ist heutzutage schon noch alles in Ordnung, was? Und jetzt ist es so weit gekommen.« Die Frau kletterte eine kurze Trittleiter zur Ladefläche des Lastwagens hoch. Sie langte nach unten und half Holle herauf. »Ich habe mit meinem Mann hier gelebt, schon vor der Flut, weißt du. Es war unser erstes Zuhause, aber wir hätten nie gedacht, dass wir hierbleiben würden. Irgendwas Schöneres in einem der Vororte, wenn wir’s uns leisten konnten. Davon haben wir geträumt. Und ein Traum ist es auch geblieben. Aber ich beklage mich nicht, und das hat Herb auch nicht getan, bevor ihn Fünfunddreißig die Schwindsucht dahingerafft hat. Wir hatten es besser als viele in dieser leidgeprüften Welt, nicht wahr?«
Weitere Zivilisten kletterten herauf, und die Soldaten schlossen die Ladeklappe. Holle schaute sich nach dem jungen Latino um. Er stand immer noch auf der Straße, umringt von Soldaten. »Was machst du da?«, rief sie.
Er zuckte die Achseln und trat einen Schritt vor. Sein Bein war verkrüppelt, und er hinkte stark. »Kann nicht laufen, kann nicht arbeiten. Konnte ich nie. Sonderbehandlung für mich. Denk daran, was ich dir gesagt habe.«
Der Motor des Lkws erwachte hustend zum Leben, und der Wagen fuhr ruckartig an. Als Holle zurückschaute, sah sie, dass die Soldaten darangingen, die Razzia im nächsten Block zu wiederholen, mit ihrem Netz, ihren Hunden und einem weiteren leeren Lastwagen. Und der Latino wurde weggeführt, dorthin, wo es dunkel war.
Holle stand mit den anderen hinten auf dem schwankenden Lastwagen. Der schwache Gestank der Biotreibstoff-Abgase stieg ihr zu Kopf, während sie nicht süd- und westwärts zur I-285 und nach Gunnison, sondern in die entgegengesetzte Richtung gefahren wurde, auf der East Colfax nach Osten und dann auf der Quebec Street nach Norden zur I-70, der Hauptroute aus dem Osten. Nach ein paar Blocks reihten sie sich in einen größeren Konvoi aus Lkws ein, die hauptsächlich Zivilisten transportierten; ein paar waren jedoch auch mit Soldaten und Ausrüstungsgegenständen beladen.
Überall sah Holle Truppen im Einsatz. Nationalgarde, Army, Heimatschutz und Polizei führten geordnete Ströme von Zivilisten nach Westen, trieben weitere Ausrangierte wie ihre Begleiter zusammen und verwickelten Widerstandsnester in Feuergefechte. Einmal sah sie Schneepflüge, die von Bergstraßen, wo kein Schnee mehr fiel, heruntergebracht worden waren und nun Menschen durch die Straßen der Großstadt trieben. Und sie sah, wie in verlassenen Stadtvierteln Feuer gelegt und Minen ausgebracht wurden. In Sandown, nahe der Bahngleise, sah sie das plumpe Profil eines Panzers.
Mary Green, die ältere Frau, die ihr geholfen hatte, glaubte zu wissen, was die Regierung vorhatte. »Sie haben Denver jetzt aufgegeben. Alle sind nach Westen gegangen, und die Stadt dient nur noch dazu, diese Flüchtlingsströme aus dem Osten aufzuhalten, die uns sonst nachjagen und alles wie Heuschrecken überschwemmen würden.«
»Deshalb bringen sie Minen aus? Um Menschen zu töten?«
»Na ja, die sollten nicht hier sein, nicht wahr?«, sagte Mrs. Green in nüchternem Ton. »Ganz egal, wo sie herkommen, das ist nicht ihr Zuhause und war es auch nie. Wir müssten erst in mehreren Monaten wegziehen, wenn das alles nicht wäre. Nein, sie hätten zu Hause bleiben und Flöße bauen sollen. «
»Wohin fahren wir?«
»Ich denke, das werden wir bald rausfinden, Engelchen.«
Der Lastwagen erreichte einen Zubringer zur I-70 und bog nach Osten ab. Auf der einen Spur, die offen gehalten wurde, waren Militärfahrzeuge unterwegs. Auf den anderen Spuren marschierten Ströme von Fußgängern unaufhaltsam nach Westen, beaufsichtigt von Soldaten und Cops in Pkws und Lkws.
Sie erreichten die Kreuzung der I-70 mit der E-470, Denvers zusammengestückelter Umgehungsstraße. Die Kreuzung war jedoch mit Dynamit gesprengt worden, die Überführungen waren eingestürzt und die Fahrbahnen durch Trümmer blockiert. Ein Drahtzaun mit Geschütztürmen zog sich in nördlicher und südlicher Richtung an der 470 entlang, auf der keinerlei Verkehr herrschte. Hinter dem Zaun sah Holle weitere Stacheldrahtbarrieren und sich bewegende Gestalten, die sich als Silhouetten gegen den Osthimmel abhoben, und sie hörte fernes Geschrei.
Die Lastwagen hielten, und sie mussten absteigen.
»Hilf mir mal, Engelchen, ich bin schon ganz steif vom ewigen Stehen.«
Die Leute aus den Lastwagen mussten eine Schlange bilden und wurden zu einer Art Palisadenzaun aus Stahlträgern und Betonplatten geführt, der sich über den Highway spannte; er ähnelte einer Mautstelle. Holle sah, dass sie nach einer raschen Beurteilung in vier Reihen sortiert wurden. Die Menschen bewegten sich unterwürfig vorwärts und fügten sich dem über sie verhängten Urteil.
Holle und Mary Green stellten sich zusammen in die Schlange. »Warum sind Sie nicht mit den anderen nach Westen gegangen, Mrs. Green?«
»Jeder von uns muss das Seinige tun. Hast du die letzte Rede des Präsidenten nicht gehört? Man muss bis zu den Rockies marschieren. Dann muss man helfen, neue Städte zu bauen, und so weiter. Das kann ich nicht mehr, in meinem Alter. Aber ich konnte ja auch nicht einfach zu Hause sitzen bleiben, nicht wahr? Also bin ich hier und tue mein Bestes, um die anderen zu beschützen. Der Präsident hat versprochen, uns zu helfen, sobald die Krise vorbei ist.«
»Andere beschützen? Wie denn?«
»Es gibt mehr als eine Methode, einen Krieg auszufechten.« Mary Green musterte sie. Der Staub der Straße klebte an ihrem Gesicht, das mit einer dicken Schicht Sonnenschutzcreme überzogen war, und ihre Stimme wurde streng. »Du hast keine Ahnung, wovon ich rede, nicht wahr? Vielleicht bist du wirklich eine Kandidatin. Mir kam’s schon immer so vor, als würden sie diesen Kandidaten nichts Nützliches beibringen. Ich weiß nicht, was sie mit euch vorhaben, niemand weiß das. Aber was für einen Sinn hat es zu überleben, wenn man keine Ahnung hat, was wirklich zählt?«
Sie näherten sich den Tischen. Holle lauschte den kurzen Befragungen und bekam einen ungefähren Eindruck davon, was hier vorging. Jede Person wurde von einem Polizisten und einer Ärztin, wie es schien, ins Verhör genommen. Sie notierten den Namen, stellten Fertigkeiten fest und führten einen flüchtigen Gesundheitscheck durch. Eine Identifizierung nach biologischen, retinalen oder anderen Merkmalen fand nicht statt. Wenn man irgendwelche Papiere hatte, zeigte man sie vor. Die ganz Alten, die ganz Jungen und die Behinderten wurde in einer Kolonne zu einer Reihe von Hütten am Straßenrand geführt. Sonderbehandlung vielleicht. Die relativ Jungen und Gesunden sortierte man in zwei Gruppen. Eine wurde in einen Hof gebracht, wo man ihnen Waffen aushändigte, wie Holle sah – nur Knüppel, Spieße und Messer, keine Schusswaffen –, und ihnen ein rudimentäres Kampftraining angedeihen ließ. Die andere wurde auf dem gesperrten Highway zu den provisorischen Befestigungsanlagen geführt. Ein Bautrupp?
Mrs. Green trat vor Holle an den Tisch und wurde als zu alt zum Bauen oder zum Kämpfen eingestuft. Darum wurde sie der vierten Kolonne zugeteilt – dem »Ehrenkorps«, wie der Polizist es nannte. Er gab ihr ein Abzeichen zum Anstecken. Sie lächelte Holle an. »Sieh einer an, mein eigenes kleines Abzeichen. Sogar mit Sternenbanner.«
»Passen Sie auf sich auf, Mrs. Green.«
»Ich glaube, dafür ist es zu spät, Engelchen. Viel Glück.«
Holle trat an den Tisch vor. Der Polizist musterte sie. Er war vielleicht vierzig Jahre alt und hatte eine blau-rote Narbe auf einer Wange. Er trug eine Uniform, jedoch ohne ein Abzeichen oder eine andere Erkennungsmarke. »Name?«
»Holle Groundwater.«
Er lachte nur. »Die vierte heute. Hast du Papiere?«
»Nein.«
»Da rüber zur ärztlichen Untersuchung.«
Sie erwog, sich zu weigern, auf ihren Rechten zu bestehen, aber sie war von Leuten mit Schusswaffen und Schlagstöcken umgeben. Sie trat einen Meter nach links, wo die Frau, die wie eine Ärztin aussah – sie war nicht älter als dreißig –, sie anlächelte. Die Frau krempelte Holles Ärmel hoch, fühlte ihr den Puls, maß ihren Blutdruck, nahm eine winzige Blutprobe und ließ sie in einen Beutel pusten.
Der Polizist redete weiter. »Wahrscheinlich erzählst du mir gleich, deine Kumpels seien mit der Air Force One weggeflogen und hätten dich zurückgelassen, stimmt’s?«
Holle überlegte. »Nein.«
»Was machst du dann?«
»Beton mischen.«
»Wirklich?« Er lachte, dann sah er sie nüchterner an. »Wo hast du gearbeitet?«
»Zuletzt auf den Schutzwällen um die Akademie. Ich meine, um das Naturkundemuseum. Im Park, wissen Sie?« Sie zwang sich zu einem Grinsen. »Jeden Tag hab ich die Kandidaten gesehen. Hochnäsige Arschlöcher. Sie können’s mir nicht übelnehmen, dass ich’s versucht habe.«
»Okay.« Er machte zögernd einen Haken in ein Kästchen auf seiner Liste. »Sagst du mir jetzt deinen richtigen Namen?«
»Vielleicht lieber nicht. Es gibt Leute, die nicht zu wissen brauchen, dass ich hier war.«
Er machte einen weiteren Haken. »Okay, Jane Doe, deine Sache. Dritte Reihe, hinter mir.«
Sie sah erleichtert, dass es die Schlange der Bauarbeiter war, wie sie sie fürs Erste genannt hatte. Die meisten waren jungen Männer. Einige trugen sogar Helme und Werkzeugkästen. Sie fing sich ein paar schiefe Blicke ein, aber niemand rief sie zurück. Vermutlich war sie nicht die einzige falsche Hilfsarbeiterin, Maurerin oder Elektrikerin in dieser Schlange.
Sie schlurfte zusammen mit den anderen vorwärts.