Montag, 13. September

69. Kapitel

10.30 Uhr

Grace Wenninghoff hatte ihre Zweifel, ob es etwas bringen würde, der Aussage von Melanie Starks nachzugehen. Aber schließlich hatten sie nichts Handfestes gegen Max Kramer in der Hand und konnten ihn nicht mit dem Banküberfall in Verbindung bringen. Er hatte zwar zugegeben, eine Affäre mit Tina Cervante gehabt und ihr den Anhänger geschenkt zu haben, aber das war auch alles. Er beharrte darauf, nicht die geringste Ahnung zu haben, warum Jared Barnett sie ermordet hatte.

Pakula marschierte voran. Corinne Starks hatte sie hereinlassen müssen, da sie einen Durchsuchungsbeschluss hatten. Einer der beiden uniformierten Beamten, die er mitgebracht hatte, blieb unten bei Mrs. Starks, damit sie sie bei der Durchsuchung nicht behinderte. Doch ihr Zetern drang bis hinauf ins obere Stockwerk. Lautstark verfluchte sie ihre Tochter, die ihr den Sohn genommen hatte.

Der andere Officer führte Melanie am Ellbogen, obwohl ihre Hände mit Handschellen gefesselt waren.

»Hier?« fragte Pakula und zeigte auf die geschlossene Tür am Ende des Flurs.

»Ja«, bestätigte sie.

Pakula öffnete die Tür, und während er in das Zimmer ging und sich umsah, streifte er sich Latexhandschuhe über.

»Jared hat gesagt, er hätte für eine Rückversicherung gesorgt«, erklärte Melanie. »Es muss etwas sein, das Max Kramer in Schwierigkeiten bringt, und was immer es ist, ich bin sicher, es ist hier in seinem Zimmer.«

Es war ein kleiner Raum, in dem sich Berge schmutziger Wäsche, Zeitschriften und leerer Fast-Food-Packungen stapelten. Der einzige Schmuck war eine an der Schranktür befestigte Dartscheibe.

Grace fragte sich, ob sie hier tatsächlich etwas finden würden oder ob Melanie nur versuchte, einen Handel für sich herauszuschlagen. Sie und ihr Sohn sahen einer Reihe von Anklagen entgegen, die im Falle einer Verurteilung die Todesstrafe bedeuten konnten. Beide bestanden jedoch darauf, dass Jared Barnett für das Massaker in der Bank verantwortlich war, wobei Charlie sich nicht ganz so überzeugend anhörte wie seine Mutter. Der Bericht der Ballistiker bewies, dass zwei Waffen benutzt worden waren.

Die zweite Waffe war allerdings noch nicht gefunden worden.

So sehr Grace auch davon überzeugt war, dass Barnett ein kaltblütiger Killer war, so wenig konnte sie sich vorstellen, dass er in Wildwest-Manier mit zwei Waffen in den Händen in die Bank gestürmt war und aus allen Rohren gefeuert hatte.

»Wenn er etwas verstecken musste, hat er es immer in ganz unauffällige Sachen gestopft«, sagte Melanie zu Pakula. »Zum Beispiel in einen Fußball oder in ein Kissen.«

Grace wunderte sich immer noch, wie wenig es Melanie offensichtlich zu bekümmern schien, dass ihr Bruder sechs unschuldige Menschen getötet hatte. Sieben, wenn sie Danny Ramerez hinzuzählte. Seine Leiche war Samstagnacht in einer Mülltonne hinter dem Logan Hotel entdeckt worden, nachdem sich jemand über den Gestank beschwert hatte. Immerhin war Barnett offenbar pietätvoll genug gewesen, sein Opfer in einen schwarzen Müllsack zu stopfen, genau wie die Leiche von Rebecca Moore vor sieben Jahren. Carrie Ann Comstock, Max Kramers dubiose Zeugin in der Supermarkt-Sache, wollte Barnett angeblich gesehen haben, wie er einen schwarzen Müllsack aus dem Hotel geschleift hatte.

Was die Überfälle auf die Supermärkte betraf, hatte Charlie sogar zur Überraschung seiner Mutter zugegeben, dass er und Jared hatten ausprobieren wollen, wie gut sie zusammenarbeiten konnten. Charlie hatte die Läden ausgespäht, während Jared draußen eine günstige Gelegenheit abgewartet hatte. Der Junge hatte das mit einer Unbefangenheit erzählt, als handele es sich um einen dummen Jungenstreich.

Grace lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Türrahmen und beobachtete, wie Pakula Barnetts Schrank durchsuchte und Schuhkartons voller Baseballkarten ausleerte.

Sie musterte Melanie und fragte sich, ob sie nicht einfach nur versuchte, etwas für sich und ihren Sohn herauszuschlagen: Eine Haftstrafe mit Aussicht auf Bewährung für Charlie und ein geringeres Strafmaß für sich selbst. Aber Grace und ihr Chef waren übereingekommen, dass es nichts schaden konnte, der Sache nachzugehen.

Vielleicht fanden sie ja tatsächlich etwas, das Max Kramer belastete.

Was für eine Ironie, wenn ausgerechnet Max Kramer, der verurteilte Mörder aus der Todeszelle holte, der Anstiftung zum Mord bezichtigt und am Ende selbst in der Todeszelle landen würde.

»Ich glaube, hier ist nichts«, sagte Pakula, nachdem er die Schubladen durchsucht hatte. Er ging zum Bett, sah darunter, schüttelte den Kopf und schlug dann die Decke zurück.

Und da war es. Im gleichen Moment, in dem Grace den weißen Plüschhund sah, wusste sie, dass sie gefunden hatten, wonach sie suchten.

»Das ist Mr. McDuff«, sagte sie, ohne sich bewusst zu sein, wie albern das in dieser Situation klang.

»Wie bitte?« fragte Pakula.

Grace nahm Emilys Plüschhund auf. »Meine Tochter vermisst ihn seit Mittwoch. Sie hat die ganze Zeit behauptet, der Schattenmann hätte ihn mitgenommen.«

»Der Schattenmann?« Pakula sah sie an, als habe sie den Verstand verloren. Sogar Melanie schien irritiert zu sein.

Grace fühlte es, noch bevor sie den Schnitt in Mr. McDuffs Rücken entdeckte. Vorsichtig drückte sie den Schlitz auseinander und sah, dass es eine Audiokassette war.

»Er muss sich gedacht haben, dass ich in dem Fall, dass ihm etwas zustößt, seine Sachen durchsuchen lasse und mir Emilys Hund natürlich nicht entgehen wird. Ich glaube, wir haben unseren Beweis.«

Dann warf sie Melanie einen Blick zu: »Okay, Sie haben Ihren Handel.«