44. Kapitel
11.17 Uhr
Platte River State Park
Tommy Pakula saß in seinem Explorer und hielt sein Handy auf dem Schoß. Durch das Fenster der offen stehenden Fahrertür beobachtete er, wie die breitkrempigen Hüte der Deputys von Sarpy County zwischen den Bäumen verschwanden. Inzwischen waren die Spürhunde eingetroffen, doch Pakula glaubte nicht daran, dass die Männer in den Wäldern etwas finden würden. Wären sie nicht einer falschen Fährte gefolgt und hätten nach dem vermeintlich gestohlenen Pick-up gefahndet, hätten sie die verdammten Hunde schon früher eingesetzt. Obwohl er nicht sicher war, ob sie bei dem Regen gestern Witterung hätten aufnehmen können. Sogar der Hubschrauber hatte die Suche ja wegen des Gewitters abbrechen müssen. Diese Mistkerle hatten wirklich verdammtes Glück.
Pakula strich sich mit der Hand über seine Glatze.
Immerhin hatten sie kein frisches Grab hinter der Hütte gefunden. Doch hieß das noch lange nicht, dass sein Freund außer Gefahr war. Er hatte kurz überlegt, Andrews Namen an die Medien zu geben, doch die würden ihn anhand des Kennzeichens des roten Saab schon früh genug herausbekommen. Und es wäre besser, wenn Andrews Foto nicht schon jetzt über jeden Bildschirm flimmerte. Einerseits könnte sich so zwar jemand melden, der ihn vielleicht gesehen hatte, andererseits bestand natürlich die Gefahr, dass die Täter sich dann in die Enge getrieben fühlten. Pakula war sich sicher, dass diese Psychopathen nicht lange zögern würden, sich einer Geisel zu entledigen, die das Risiko erhöhte, entdeckt zu werden.
Pakula wollte nicht weiter darüber nachdenken. Er schlug die Tür zu und fuhr den kurvigen Weg hinunter zur Parkeinfahrt, wo Ben Hertz und die Techniker des kriminaltechnischen Labors die Umgebung absuchten, zwischen den Maisreihen stand noch immer Regenwasser, überall war Schlamm.
Er stieg aus, ging auf den zerrissenen Stacheldrahtzaun zu und sah das mit Lehm bespritzte Schild ›Betreten verboten‹ im Wind baumeln – diese Typen hatten wirklich keinerlei Respekt, weder vor Privateigentum noch vor Menschenleben.
»Wir sammeln ein, was wir können«, rief Ben Hertz ihm zu, als Pakula auf den Wagen zuging und vergeblich versuchte, die Schlammlöcher zu meiden. »Dann ziehen wir den Wagen raus und nehmen ihn auseinander.« Ben fingerte eine Zigarette aus der Packung. Als einer der Kriminaltechniker ihm einen rügenden Blick zuwarf, zuckte er mit den Schultern und stapfte durch den Matsch von dannen.
Pakula erkannte den großen schlanken Jungen, Wes Howard, und murmelte ein Hallo. Er beneidete seine Kollegen von der Spurensicherung nicht. Mit Latexhandschuhen an den Händen krochen sie im Schlamm herum und suchten Quadratmeter für Quadratmeter ab. Pakula blieb einige Meter vor dem Saturn stehen und versuchte sich auszumalen, was nach dem Unfall passiert sein mochte. Was hatten die Kerle getan, und wie waren sie zu Andrews Hütte gelangt?
»Ist der Airbag aufgegangen?« fragte er.
»Gott sei Dank nicht«, erwiderte Wes. »Diese Dinger vernichten manchmal sämtliche Spuren.«
»Manchmal liefern sie uns ein paar Blut- oder Schleimtropfen für eine DNA-Analyse.«
»Blutspuren haben wir auch so genug, und dazu jede Menge Erbrochenes auf dem Rücksitz.«
»Das ist ja interessant«, erwiderte Pakula. »Sonst noch was?«
»Sobald wir den Wagen rausgezogen haben, suchen wir den Innenraum nach Fingerabdrücken ab. Die Fußspuren ringsherum sind ziemlich weggewaschen. Allerdings habe ich, glaube ich wenigstens, ein paar brauchbare Teilabdrücke auf dem Teppichboden hinten. Das ist alles ziemlich voll gekotzt.«
»Haben die nichts zurückgelassen?« Pakula kam nah genug heran, um einen Blick ins Wageninnere zu werfen.
»Zwei blutverschmierte Overalls und ein Halstuch. Keine Waffen. Aber ich habe das hier gefunden.« Wes hielt einen Plastikbeutel hoch, in dem sich eine Art Anhänger oder Medaillon befand. »Es sind keine Witterungsspuren zu erkennen, deshalb glaube ich kaum, dass es vor dem Unfall schon hier gelegen hat. Es ist nur voller Lehm. Da ist übrigens eine Gravur auf der Rückseite.« Er reichte Pakula den Beutel.
»TLC und JMK, sagt Ihnen das was?«
»Nein. Hätten Sie was dagegen, wenn ich das mitnehme?«
»Von mir aus kein Problem. Aber sprechen Sie das mit Darcy ab. Wenn ich mich recht entsinne, wurde in der Bank eine zerrissene Halskette gefunden.«
»Von einem der Opfer?«
»Keine Ahnung.«
»Wo, sagten Sie, haben Sie das gefunden?«
»Neben dem Wagen, es steckte in diesem verdammten Schlamm. Ziemlich tief sogar. Vielleicht hätte ich es gar nicht entdeckt, wenn ich nicht gerade da eine Erdprobe genommen hätte. Falls es jemand verloren hat, muss er anschließend ganz schön darauf rumgetrampelt haben.«
»Heißt das, Sie vermuten, einer von denen hat es absichtlich in den Schlamm gesteckt, um es loszuwerden?«
»Wäre immerhin möglich.«
Pakula starrte auf den Wagen, als sähe er ihn zum ersten Mal. Irgendetwas kam ihm seltsam vor. Die Kühlerhaube des Saturn war verbeult, die vordere Stoßstange hing herab. Der Lack war vom Stacheldraht zerkratzt, und der Kühlergrill war vermutlich hin. Die Windschutzscheibe allerdings war intakt, also schien niemand mit dem Kopf dagegen geschlagen zu sein. Irgendetwas an dem Bild schien nicht zu stimmen.
»Haben Sie den Wagen genau so vorgefunden?«
»Ja. Die Täter sind wahrscheinlich rausgesprungen und weggerannt. Die Türen standen offen, also sind sie wohl ziemlich überstürzt geflüchtet.«
Das ist es, dachte Pakula.
»Aber warum stehen dann drei Türen offen?« fragte er.
»Haben sie vielleicht etwas mitgenommen, das auf der Rückbank lag?«
»Möglich«, antwortete Wes. »Aber hinten hat definitiv auch jemand gesessen.«