47. Kapitel
11.46 Uhr
Omaha
Tommy Pakula fand das Haus, nachdem er in etwa ein halbes Dutzend Sackgassen eingebogen und wieder hinausgefahren war. Er hasste diese neuen Wohnsiedlungen.
Da war ihm sein Haus im Süden der Stadt lieber, wo die Straßen gerade waren und man sich noch an Häuserblocks orientieren konnte, anstatt durch ein Labyrinth zu irren, das heutige Stadtplaner offenbar für originell hielten.
Auf dem Weg zur Haustür sah er sich um und fragte sich, wie sich Tina Cervante dieses Haus hatte leisten können.
Selbst wenn sie sich die Kosten mit zwei Mitbewohnerinnen geteilt hatte, musste die Miete doch mindestens doppelt so hoch sein wie für ein Apartment. Er dachte an das Mädchen, das er in der Gerichtsmedizin gesehen hatte, daran, dass es offenbar regelmäßig zur Maniküre gegangen war und sich die Nase hatte richten lassen. Tinas Vater war Mechaniker bei einer Spedition in Dallas, ihre Mutter stellvertretende Geschäftsführerin eines Hummer-Restaurants. Beide verdienten nicht schlecht, trotzdem bezweifelte er, dass sie ihre Tochter derartig großzügig hatten unterstützen können, da sie noch vier weitere Kinder zu versorgen hatten.
Die Tür wurde von einer jungen Frau geöffnet, die ihm wie ein Britney-Spears-Verschnitt vorkam.
»Sind Sie Danielle Miller?«
Sie fuhr sich gähnend mit den Fingern durch das wirre Haar, ohne eine Hand vor den Mund zu legen. »Ja. Wollen Sie endlich die Klimaanlage in Ordnung bringen? Sie haben sich ja wirklich Zeit gelassen, wir haben schon vor zwei Tagen angerufen.«
Pakula war verdutzt. Er hatte befürchtet, Tinas Mitbewohnerinnen wären angesichts des Todes ihrer Freundin vielleicht gar nicht in der Lage, seine Fragen zu beantworten.
Doch wie sich nun zeigte, belastete Danielle die defekte Klimaanlage weitaus mehr als die Nachricht, dass ihre Mitbewohnerin ihr Leben auf dem abgetretenen Teppichboden einer Bank ausgehaucht hatte.
»Nein, Miss Miller. Ich fürchte, ich kenne mich mit Klimaanlagen nicht besonders gut aus.« Pakula griff in die Tasche und holte seine Dienstmarke heraus, während sie die Augen verdrehte, weil sie ihn offenbar für einen Vertreter hielt. »Ich bin Detective Pakula vom Police Department Omaha. Ich möchte mich mit Ihnen über Tina Cervante unterhalten.«
»Oh, Sie meinen, wegen dieser Sache in der Bank gestern?«
»Ja, wegen dieser Sache in der Bank gestern«, wiederholte er und bemühte sich, sie sein Unverständnis nicht zu deutlich spüren zu lassen. Er musste an seine älteste Tochter Angie denken, obwohl die etwas jünger war als Danielle Miller.
Dennoch rechnete er sie derselben Generation zu, die es offenbar unheimlich cool fand, ihre Umgangsformen dem Sozialverhalten von Küchenschaben anzupassen, und die anderen Menschen ihren Respekt dadurch ausdrückte, indem sie ihnen ins Gesicht gähnte.
»Was wollen Sie denn wissen?«
»Dürfte ich für ein paar Minuten hereinkommen?«
»Klar doch.« Sie drehte sich um, ging ins Haus zurück und hielt das anscheinend für eine Aufforderung, ihr zu folgen.
Pakula entschied sich, die freundliche Einladung anzunehmen, und trat ein. Auch die Inneneinrichtung ließ sich nicht lumpen, stellte er fest. Die Möbel waren ausgesuchte Designerstücke, an den Wänden hingen signierte Lithografien, und die Füße wärmte ein teurer Orientteppich.
»Wie haben Sie und Ihre Freundinnen dieses Haus gefunden?« erkundigte er sich. »Es ist sehr schön eingerichtet. Ist eine von Ihnen Innenarchitektin?«
»Ach du meine Güte, nein!« Lachend ließ sich Danielle in eine Ecke des Ledersofas fallen und schlug die nackten Füße übereinander. »Tina hat es gefunden.« Sie zuckte die Achseln, was wohl bedeuten sollte: So einfach ist das. »Eigentlich ist das nicht mein Stil. Es kommt mir ein bisschen so vor, als würde ich bei meinen Eltern leben. Verstehen Sie, was ich meine?«
Er nickte und verkniff sich die Frage, was sie denn für ihren Stil hielt. Verglichen mit ihrem Verhalten jedenfalls hatte die Einrichtung eindeutig zu viel Klasse. Aber wenigstens hatte er sie zum Reden gebracht.
»Tina hatte ein Faible für so was, wissen Sie?« Schließlich meinte Pakula doch so etwas wie einen feuchten Schimmer in ihren Augen zu erkennen. »Sie hat Leute immer dazu gebracht … na ja, ihr Sachen zu geben oder sie wenigstens benutzen zu lassen.«
»Wirklich? Was für Sachen denn?«
»Ach, ich weiß nicht. Autos und so Zeug zum Beispiel.«
»Sie meinen Jungs, Freunde von ihr?«
Danielle verdrehte die Augen, der feuchte Schimmer war entweder verschwunden, oder er hatte ihn sich eingebildet.
»He, sie stand auf Männer in Ihrem Alter. Aus irgendeinem Grund fuhr sie auf solche Typen ab. Oh Gott, ich meine natürlich nicht, dass Sie alt sind oder so.«
»Und wo traf sie diese älteren Herren gewöhnlich?« Er gab sich Mühe, nicht gekränkt zu wirken.
»Keine Ahnung, wo sie den Letzten kennen gelernt hat. Aber ich glaube, dass er ziemlich sauer auf sie war und sie Schluss gemacht haben.«
»Wieso glauben Sie das?«
»Weil sie in letzter Zeit nicht mit ihm sprechen wollte, wenn er anrief. Ich musste mir immer Ausreden für sie ausdenken. Aber ich glaube, er hat das gemerkt.«
»Demnach hat er hier angerufen.«
»Na klar.«
»Kennen Sie seinen Namen?«
»Ich weiß nur, dass er Jay heißt.«
Pakula zog den Plastikbeutel aus seiner Jackentasche und reichte ihn ihr. »Hat er Tina das hier geschenkt?«
»Ja. Zu ihrem Geburtstag im Juli. Seitdem ging die Sache übrigens den Bach runter. Nach diesem Geschenk meinte Tina wohl, er wolle mehr von ihr als sie nur zu … na ja, ich meine … mit ihr ins Bett zu gehen.«
»Wenn jemand einem ein teures Schmuckstück wie das hier zum Geschenk macht, würde ich doch annehmen, dass er damit etwas ausdrücken möchte.«
»Ja, sollte man meinen. Aber wissen Sie, es ist, wie ich ihr immer sage … gesagt habe. Gott, ich kann einfach nicht glauben, dass sie tot ist.«
Sie wirkte, als würde ihr der Tod ihrer Freundin erst jetzt richtig bewusst werden. Pakula senkte den Kopf und wartete ab. Er wusste, dass die meisten Menschen in einer solchen Situation keine hohlen Phrasen wie »Es wird schon wieder«
hören wollten. Die meisten wollten einfach in Ruhe gelassen werden, bis sie sich wieder gefangen hatten. Das Schweigen fiel ihm nicht leicht.
»Das klingt fast, als hätten Sie lange vor Tina gewusst, dass diese Beziehung nicht funktionieren konnte.«
»So was funktioniert nie«, erwiderte sie und zog ein Papiertuch aus einer Box hinter einer Vase hervor. »Das ist ja das Problem, wenn man sich mit alteren Männern einlässt. Am Ende bleiben die dann doch bei ihren Ehefrauen.«