54. Kapitel

21.07 Uhr
Südlich von Nebraska City

»Heilige Scheiße!« sagte Pakula, als er in die Küche des Farmhauses trat. Draußen herrschte bereits tiefe Dunkelheit, doch das Innere des Raums war gleißend hell ausgeleuchtet.

Die Kriminaltechniker waren bereits vor ihm eingetroffen.

Darcy Kennedy und Wes Howard hatten den Eingang zur Küche abgesperrt, doch Pakula fragte sich, wie viele der draußen Versammelten schon hier durchgetrampelt waren. Die Leiche lag zusammengesackt in einem Küchensessel, und der nach hinten gefallene Kopf ließ die Wunde an der Kehle weit auseinander klaffen. Wahrscheinlich lag der Mann noch genauso, wie man ihn gefunden hatte. Pakula dachte unwillkürlich daran, was seine Frau wohl empfunden haben musste, als sie ahnungslos durch diese Tür in die Küche gekommen war.

»Was ist mit dem Wagen?« fragte er den Sheriff, der in der Tür stehen geblieben war. Als Dawes nicht antwortete, drehte sich Pakula um und sah, dass der Sheriff nicht etwa zurückgeblieben war, um ihnen Platz zu lassen, sondern weil er offenbar kurz davor war, sich zu übergeben. Der Mann war fast eins neunzig groß und schlank und sah jetzt ebenso kalkweiß aus wie der Tote in der Küche. »Wo ist der Saab, Sheriff Dawes?«

»In der Garage. Den hat niemand angerührt. Die Schlüssel stecken im Schloss.« Er schien erleichtert, nicht über die Leiche reden zu müssen. »Die State Patrol hat von hier bis Kansas City Straßensperren errichtet. Die Fahndung nach dem Chevy läuft. Wir kriegen diese Bastarde. Vielleicht noch vor dem Morgen.«

Pakula wollte den Optimismus des Sheriff nicht dämpfen, aber wenn der Wagen inzwischen ebenfalls ein anderes Kennzeichen trug, minderte das ihre Chancen erheblich.

»Schieben Sie eine Doppelschicht, Wes?« Pakula machte einen weiten Bogen um die Leiche, damit er den Kriminaltechniker nicht behinderte.

»Dasselbe könnte ich Sie fragen.« Der junge Man lächelte, ohne den Blick von der Arbeitsplatte abzuwenden, von der er gerade einen Fingerabdruck abnahm.

»Warum hat er sich die Mühe gemacht, den Mann zu fesseln? Und warum hat er ein Messer benutzt?« fragte Pakula, während er das rot verschmierte Fleischermesser betrachtete, das jetzt in einem Klarsichtbeutel steckte.

»Die Munition war ihm jedenfalls nicht ausgegangen«, erklärte Sheriff Dawes von seinem sicheren Posten vor der Küchentür aus. »Sonst hätte er die Verkäuferin an der Tankstelle ja nicht erschießen können.«

»Man sollte meinen, dass er gerade dort bedacht darauf gewesen wäre, dass niemand einen Schuss hört.« Pakula ging vor der Leiche in die Hocke und betrachtete die tiefe Schnittwunde aus der Nähe. »Und hier draußen, wo niemand ihn hören konnte, benutzt er ein Messer?«

»Will er uns damit vielleicht irgendetwas sagen?« fragte Darcy.

»Sagen Sie es mir.« Pakula richtete sich auf und rieb sich die Augen.

Darcy deutete auf die klaffende Wunde, die unter dem linken Ohr begann. »Er hat den Schnitt von hinten ausgeführt, von links nach rechts. Demnach ist er Rechtshänder. Das ist keine große Überraschung. Aber der Schnitt ist weit länger als nötig. Er hat den Mann fast enthauptet. Mir sieht das ganz danach aus, als hätte ihm die Sache Vergnügen bereitet. Trotzdem denke ich, dass er den Mann nicht mal kannte.«

Pakula sah sich in der Küche um, als suche er hier nach der Lösung des Rätsels. »Wurde etwas entwendet?«

»Die Ehefrau steht noch völlig unter Schock«, erklärte Sheriff Dawes. »Ich habe sie noch nicht befragen können.«

»Offenbar steckt seine Brieftasche noch in der Gesäßtasche.« Wes deutete auf die Hose des Mannes.

Pakula war enttäuscht, denn damit schwand auch die Chance, dass der Mörder vielleicht unvorsichtig genug war, die Kreditkarte seines Opfers zu benutzen und sich dadurch zu verraten. Andrews Konten hatte er jedenfalls sofort überwachen lassen.

»Wann haben wir die Analyse der Fingerabdrücke aus dem Saturn und von hier?«

»Im Wagen gibt es jede Menge Abdrücke, das wird eine Weile dauern«, erklärte Darcy. »Wir haben einen Daumen-und einen Zeigefingerabdruck von der Innenseite des Rückfensters abgenommen. Ich vermute, die stammen von den Entführern, denn wir haben dort auch Reste von Erbrochenem gefunden. Ich lasse die Abdrücke gerade durch den Computer laufen, aber bisher gibt es noch keine Ergebnisse.«

»Und was ist mit der Küche?«

»Hier drauf müssten wir jede Menge finden.« Wes hielt Pakula den Plastikbeutel mit dem Fleischermesser entgegen.

»Der Mistkerl hat sich nicht mal die Mühe gemacht, es abzuwischen.«