15. Kapitel

16.33 Uhr

Melanie wünschte sich, endlich aufzuwachen. Das konnte doch alles nur ein verdammter Albtraum sein. Wieso ging das so schnell, was war verdammt noch mal schief gelauten? Das war doch alles nicht wahr.

Ihr Blick schien zu verschwimmen. Die Straße flog graugrün an ihr vorbei. Sie suchte nach etwas, das sie hätte fixieren können, vergeblich, und auf einmal wurde ihr klar, dass sie es war, die in diesem Tempo durch die Gegend schoss. Das Gefühl, zu schlingern und zu gleiten, als sei der Wagen auf dickem Eis außer Kontrolle geraten, versetzte sie in Panik.

Jareds Worte pochten wie gedämpfte Hammerschläge an ihr Ohr. »Schneller … drehen«. Nur einzelne Worte durchdrangen das Aufheulen des Motors, das Quietschen der Reifen und das Geräusch, das von hinten kam, als Charlie die Rückbank voll kotzte. Sie riskierte einen Blick in den Rückspiegel, doch er war nicht zu sehen. Sie sah nur rote und blaue Blinklichter und den Kühlergrill des Streifenwagens -

Haifischzähne, die zubeißen und sie verschlingen wollten.

Säuerlicher Geruch erfüllte den Wagen, und Melanie spürte ihren Magen rebellieren. Doch es war nicht der Geruch nach Erbrochenem, der ihr Übelkeit verursachte, da war noch etwas anderes, Warmes, Widerliches, fast Süßliches.

»Fahr zurück zum Highway 50!« schrie Jared. »Verdammt! Nur raus aus diesem Irrgarten.«

Sie riss das Steuer nach rechts und merkte erst dann, dass das, was sie für eine Kreuzung gehalten hatte, eine Parkplatzzufahrt war.

»Scheiße!« schrie Jared. »Da vorne! Da vorne rein!«

Er zeigte auf etwas, das nach einem weiteren Parkplatz aussah. Sie verfehlte die Einfahrt, schoss über den Bordstein, und das Chassis schrammte mit einem elenden Kreischen über den Beton. Jared schrie sie an, sie solle endlich auf den Highway 50 zurückfahren, doch sie hatte inzwischen völlig die Orientierung verloren und keine Ahnung, wo der war. Sie sah nur noch Autos und Gebäude um sich herumwirbeln, kurbelte am Lenkrad, bis das Kreischen der Reifen ihr Einhalt gebot, schleuderte um die eigene Achse, und auf einmal sah sie vor sich den Highway.

»Großer Gott!« stöhnte Jared.

Melanie hielt den Atem an. Der Streifenwagen hatte aufgeholt, schlingerte und hätte sie um ein Haar gerammt. Der Wagen schoss so dicht an ihr vorbei, dass sie das Gesicht des Officers unter dem breitkrempigen Hut erkennen konnte. Er war jung, und er wirkte eher verblüfft als zornig. Wieder das Knirschen von Metall. Sie schloss die Augen, doch der Aufprall, den sie erwartete, blieb aus. Als sie die Augen wieder öffnete, hatte Jared sich im Sitz umgedreht und sah aus dem Rückfenster.

»Du hast es geschafft, Mel! Verdammt, du hast es geschafft!«

Sie drehte sich nicht um und sah auch nicht in den Rückspiegel. Sie wollte gar nicht wissen, was passiert war.

Stattdessen trat sie aufs Gas und fuhr auf die Kreuzung zu. An der Ampel zögerte sie.

»Nach Süden«, sagte Jared. »Rechts abbiegen, wir wollen aus Douglas County raus, weißt du noch?«

Sie warf ihm einen Blick zu und merkte erst jetzt, dass die Vorderseite seines Overalls fleckig war. Im gleichen Moment erkannte sie auch den Geruch. Der stammte nicht nur von Charlies Mageninhalt, es war Blut.