Marquessac, 1. August 2013
Kurz nach Mitternacht.
»Kann ich kommen? Meldung an mich, wenn Raum feindfrei«, schreit jemand vor ihrem Zimmer. Danach die blecherne Stimme aus einem Funkgerät. »Deckung!« »Feuer!«
Ein Trupp Kämpferinnen läuft an ihr vorbei, ohne sie zu beachten. Die erste bleibt an einer Verzweigung des Gangs stehen und drückt sich an die Wand.
»Eins. Zwei. Drei«, brüllt sie und alle anderen drücken sich auch an die Wand.
Die Bombe rollt mit einem blechernen Klirren über den Boden, ein Zischen, eine Explosion und roter dichter Nebel zieht durch den Raum. Die vorderste der Kämpferinnen tritt die Tür ein und vier von ihnen stürmen, sich gegenseitig sichernd, in das nächste Stockwerk.
»Zurück. Zurück in Ihr Zimmer«, brüllt Lubaya Mbele die Oberin und Marie an.
Mit erhobenem Kopf bleibt die Oberin stehen, sieht die Kämpferin eisig an.
»Verzeihung«, stößt sie hervor. »Wir versuchen, das Obergeschoss zu sichern. Könnten Sie in Ihrem Zimmer Schutz suchen?«
»Sei vernünftig«, fleht Marie und zieht ihre Schwester zurück ins Arbeitszimmer. »So kann es nicht weitergehen!«
»Wie ist die Lage?«, will die Oberin von Lubaya wissen.
»Ich habe keinen Überblick mehr über Verwundete und Verletzte«, sagt Lubaya mit steinerner Miene. »Sieht so aus, als müssten wir uns zurückziehen. Sie sollten hier in diesem Zimmer bleiben.«
Die Oberin schüttelt den Kopf, sieht ihre Schwester an. Im nächsten Moment taumelt Emilia Ponti in den Raum.
»Wie viele Verletzte?«, fragt die Oberin mit scharfem Ton, aber Emilia Ponti, die Leiterin der Krankenstation, sieht nur ins Leere. Als sie den Mund öffnet, ergießt sich ein Schwall Blut über ihre Brust, danach bricht sie zusammen.
»Wir haben keine andere Wahl«, flüstert Marie, während sie neben Emilia auf die Knie geht und versucht, sie umzudrehen, wohl wissend, dass hier jede Hilfe zu spät kommt. »Emilia …« Verzweifelt hebt sie den Blick zu ihrer Schwester. »Komm zur Besinnung, Aubrey, es muss ein Ende haben.«
Emilia scheint etwas zu sagen, aber es kommt nur ein Zischen über ihre Lippen.
»Wir haben keinen Zugang mehr zum Tor«, sagt Lubaya sachlich, als würde keine Sterbende vor ihnen liegen.
»Aber … wir können das Tor nur schließen, wenn wir beide … vor dem Tor…«, stößt Marie hervor, die Oberin schüttelt noch immer den Kopf.
Irgendwo im Untergeschoss rattern Maschinengewehre, Befehle werden gebrüllt.
»Wir müssten uns den Weg dorthin freischießen«, erwidert Lubaya ruhig. »Mit Nebelgranaten die Sichtweite stark herabsetzen und danach… würden wir Ihnen Feuerschutz geben. Wenn Sie das wünschen. Mutter Oberin.«
Die Augen von Emilia Ponti brechen. Die Oberin senkt ihren Blick auf den Leichnam, dann bekreuzigt sie sich und legt ihre Hand auf ihren Bauch.
»Mutter Oberin?«, fragt Lubaya nach, noch immer ruhig.
Diese reißt wieder die Tür auf und stürmt hinaus.
»Wir haben versagt«, schreit sie, »er hat uns dorthin geführt, wo er uns haben wollte!«
Im nächsten Moment reißt Lubaya die Oberin zu Boden und brüllt: »Deckung.«
Eine Vierergruppe Frauen kommt um die Ecke und Lubaya entschuldigt sich verlegen. Die Oberin sitzt neben der Kämpferin und ihrer Schwester, der Rauch kratzt im Hals, das Geschrei der Kämpfenden, das Weinen der Verletzten erfüllt das ganze Kloster. Eine weitere Explosion erschüttert das Gebäude. Durch das Fenster sieht man die nachtschwarzen Vögel in den Himmel ziehen.
»Dann lasst es uns tun«, sagt die Oberin ruhig, während sie sich über die Augen wischt, als wolle sie einen Albtraum verscheuchen. »Solange dies noch möglich ist.«