Indie
Noch immer hält mich Gabe von hinten fest an seine Brust gedrückt. Pius ist bewusstlos in den Schnee gerutscht und wir sind allein, allein zwischen den Zigeunerwagen und den steif gefrorenen Leintüchtern. Gabes warmer Atem streift meine Wange und seine Lippen berühren mein Kinn.
»Du musst bei ihnen bleiben«, flüstere ich. »Bis zu meinem Geburtstag. Sie dürfen nicht wissen, was du weißt. Sie dürfen nicht ahnen, was ich dir bedeute …«
Seine Arme schließen sich noch fester um meine Taille, gefangen und geborgen zugleich schmiege ich meinen Rücken in diese Höhle. Seine Wange drückt sich an meine, die Bartstoppeln kratzen ein wenig.
»Sie müssen sich in Sicherheit wiegen, sie müssen denken, dass sie deinen Willen dominieren und nicht du ihren.«
Er räuspert sich, seine Stimme klingt tief und rau, als er zu sprechen beginnt. »Ihr dürft nichts Falsches tun …«
»Falsch?«, frage ich, während ich seine Lippen an meinem Hals spüre.
Denn die Liebe ist es, die euch rettet …, wispert es in mir. Die Zweifel an Gabe flammen wieder auf. Ich halte das nicht aus, denke ich, ich halte es nicht aus, wenn er mich jetzt noch einmal täuscht.
Um uns herum scheint sich ein tiefes Schweigen auszubreiten. Erst jetzt fällt mir auf, dass wir keine Kampfgeräusche mehr hören. Beunruhigt blicke ich auf. Das Laufen und Rennen hat ein Ende, man hört kein Geschrei und kein Weinen mehr. Was ist passiert?
Ich winde mich aus Gabes Umarmung und drehe mich zu ihm um. Die Zeit des Abschieds ist gekommen und es wird ein langer Abschied sein.
»Du weißt, dass ich dich liebe.« Hart umfasse ich mit meiner linken Hand seinen Unterarm und drücke zu. Zwischen meinen Fingern quillt das Blut meiner Initationsnarbe hervor, aber ich lasse nicht los. Es gibt nur einen in meinem Herzen, es wird nie einen anderen geben. Wenn er sich noch einmal von mir abwendet, werde ich sterben.
»Ich liebe dich auch«, flüstert Gabe. »Und niemand kann mir diese Gewissheit mehr nehmen.«
Als ich meine Hand von seinem Unterarm nehme, sehe ich, dass mein Blut über der schwarzen Feder verschmiert ist. Gabe zieht ein Messer heraus und macht einen schnellen Schnitt durch die Feder hindurch, auf seinem Arm mischt sich mein Blut mit seinem Blut.
»Mehr als mein Leben«, setzt er hinzu, dann beugt er sich vor und küsst mich. Hart und wild, und die Sehnsucht nach ihm scheint mich zu zerreißen. Plötzlich höre ich zwei Männer im Gleichschritt näher kommen, ihre schweren Stiefel knirschen im Takt im Schnee und im nächsten Moment biegen in den schmalen Gang zwischen den Zigeunerwagen zwei der Dunklen ein. Wir taumeln auseinander, als hätten wir gekämpft, und ich schlage sofort zu. Mein harter Haken trifft Gabe am Kinn, dann bringe ich ihn mit einem schnellen Chassé-Kick zu Fall.
Wir sehen uns, sagen seine Augen, dann laufe ich los.