„Sammlung der russischen Erde“
Aufstieg des Großfürstentums Moskau (13.-16. Jh.)
1263 vererbte der später als Nationalheld gefeierte Fürst von Nowgorod, Alexander Newski, Sieger über die Schweden (1240) und den Deutschen Orden (1242) die Herrschaft über das Teilfürstentum Moskau an seinen jüngsten Sohn Daniel. Die Stadt Moskau bestand zu dieser Zeit schon etwa 100 Jahre, sie lag verkehrsgünstig, am Schnittpunkt wichtiger Handelsstraßen in einem relativ dicht besiedelten Gebiet. Ansonsten deutete wenig darauf hin, dass sich Moskau zu einem Machtzentrum entwickeln würde.
Bündnis mit der Kirche
Geschickt zwischen den Mächten der Zeit taktierend, dem Reich der Goldenen Horde im Süden und Osten und dem Großfürstentum Litauen im Westen, bauten Daniel und seine Nachfahren, die sich bald Großfürsten nannten, ihre Herrschaft in Zentralrussland aus. Einer von ihnen, Iwan I. (1328–1341), hatte den Beinamen Kalita, d.h. Geldsack, was darauf hindeutet, dass sie nicht nur List und Gewalt, sondern auch Geld einsetzten. Tatsächlich kam manche Gebietserweiterung durch Kauf zustande. „Sammlung der russischen Erde“ hieß das Programm. Es bekam Format durch das Bündnis mit der russischen Kirche. 1327 zog deren Oberhaupt, der Metropolit, nach Moskau um. Die Großfürsten konnten nun mit geistlichem Beistand ihren Führungsanspruch leichter durchsetzen.
1380 wagte Fürst Dimitri Donskoi zum ersten Mal den Waffengang mit den Tatarenherrschern der Goldenen Horde, denen er bisher noch tributpflichtig gewesen war. Er siegte, aber zwei Jahre später rächten sich die Tataren, indem sie Moskau zerstörten und wieder unter ihre Oberhoheit brachten. Doch Fürst Dimitri Donskoi und sein Geschlecht genossen seitdem den Nimbus von Vorkämpfern gegen die verhassten heidnischen Unterdrücker.
Heimtücke und Gewalttätigkeit
Mit Iwan III. (1462–1505) kam die Einigung Nordost-Russlands weiter voran. Der Großfürst hatte es dabei umso leichter, als sich das Reich der Goldenen Horde zur selben Zeit auflöste und ihm von dort keine Gefahr mehr drohte. Die wichtigste Eroberung gelang ihm mit der Unterwerfung von Nowgorod. 1494 ließ Iwan die dortige Hanseniederlassung schließen, was bedeutete, dass Russland den Handel mit dem Westen in die eigene Hand nehmen wollte. Im Verkehr mit auswärtigen Mächten trat Iwan III. bereits als Herrscher von ganz Russland auf, in Anlehnung an byzantinische Gepflogenheiten führte er den Titel „Autokrator“, Selbstherrscher. War Heimtücke und Gewalttätigkeit schon bei seinen Vorgängern keine unbekannte Erscheinung, so prägte sich bei Iwan III. das Bild des grausamen Monarchen weiter aus. Die Zeitgenossen verliehen ihm den Beinamen „der Schreckliche“, der dann allerdings – und mit noch größerer Berechtigung – auf seinen Enkel Iwan IV. (1533–1584) überging.
Das Dritte Rom
Mit dem Fall von Konstantinopel an die Türken im Jahr 1453 verlor die orthodoxe Kirche ihre Führung. Hier schlug die Stunde für die Moskauer Kirche. Sie hatte schon 1439 die von Rom und Byzanz angestrebte Einigung verurteilt. Nun beanspruchte sie als größte der verbliebenen orthodoxen Kirchen die Führung innerhalb der Glaubensgemeinschaft. Der große Einiger Russlands, Iwan III., verheiratet mit einer griechischen Prinzessin, übernahm die byzantinische Weltreichs- und Kaiseridee, die von der Moskauer Kirche vehement propagiert wurde. In seiner Regierungszeit erschienen zum ersten Mal die Aufrufe, die Moskau zum „Dritten Rom“, zum Erben des Byzantinischen Reiches und Schutzherrn der Rechtgläubigen erklärten – eine religiös-politische Idee, die in Russland jahrhundertelang wirksam bleiben sollte.