Ein christlicher Staat in „Outremer“

Das Königreich Jerusalem (1099-1291)

Eine Woche nach der Einnahme Jerusalems durch die Kreuzfahrer wurde am 22. Juli 1099 das Königreich Jerusalem gegründet. Der erste gewählte Herrscher, Gottfried von Bouillon, lehnte den Königstitel ab, sein Nachfolger Balduin I. (1100–1118), nahm ihn an. Das neue Staatswesen umfasste zur Zeit seiner größten Ausdehnung (um 1153) ein Gebiet, das im Norden bis Beirut, im Süden bis Elat am Roten Meer reichte. Die Nordhälfte war eigentlich nur ein schmaler Streifen Küstenlandes, im Süden dagegen verbreiterte sich das von den Kreuzfahrern gehaltene Gebiet bis tief ins heutige Jordanien hinein. Zu den übrigen Kreuzfahrerstaaten, den Grafschaften Tripolis und Edessa und dem Fürstentum Antiochia, bestanden zeitweilig enge Bindungen.

Einheimische Strukturen blieben

Die Kreuzfahrer machten nur wenig Anstrengungen, eigene Siedlungen zu gründen. In den Dörfern hielten sich meist die einheimischen Strukturen, ebenso die überkommene muslimische Fiskalverwaltung – nur lieferte diese jetzt Erträge und Abgaben bei den neuen Herren des Landes ab. In gleicher Weise verfuhren die „Franken“, wie man sie im Morgenland nannte, in den Städten bei der Besteuerung von Handel und Gewerbe.

„Outremer“, Übersee, so der Begriff, mit dem die Kreuzfahrer ihre Lebensgemeinschaft im Heiligen Land bezeichneten, prägte die Einwanderer in eigener Weise. Sie passten sich an die Sitten und Gebräuche des Ostens an. Das veränderte Lebensgefühl schilderte einer von ihnen: „Wir, die wir Abendländer waren, sind Orientalen geworden. Wir haben schon unsere Geburtsorte vergessen; mehrere von uns wissen sie schon nicht mehr, oder wenigstens hören sie nicht mehr davon sprechen.“

Der christliche Vorposten wirkte gleichwohl als Pfahl im Fleisch der muslimischen Nachbarstaaten. 1187 geriet das Königreich nach einer schweren Niederlage in der Schlacht von Hattin und der folgenden Eroberung Jerusalems durch Truppen unter Saladin an den Rand des Zusammenbruchs. Zwar konnten einige Küstengebiete zurückerobert werden, aber die alte territoriale Ausdehnung war nicht mehr zu erreichen, Jerusalem blieb verloren. Nur dank der Häfen, in denen der transasiatische Handel im 13. Jahrhundert eine Blüte erlebte, konnte das Königreich noch länger sein Dasein fristen. Erst die Offensiven der Mamelucken seit 1263 schnürten seine Lebensbedingungen immer weiter ein, 1291 verlor es mit Akkon seinen letzten Stützpunkt im Heiligen Land.

Der leprakranke König

Das kurze Leben des Königs Balduin IV. von Jerusalem war gezeichnet von der Lepra. Dabei stand gerade in seiner Regierungszeit (1177–1185) das Schicksal des Königreichs auf der Kippe. Es war die Zeit, da Sultan Saladin sich anschickte, die Kräfte der islamischen Welt für den Kampf gegen die Kreuzfahrer zu sammeln. Überliefert ist ein Auftritt in der Ratsversammlung von Jerusalem: „Einem längst Verstorbenen gleich“, entstellt von Geschwüren, erschien der königliche Jüngling unter den Baronen, die sich nicht auf Maßnahmen gegen den heranrückenden Saladin einigen konnten, und stauchte sie in einem ungeheuren Wutanfall zusammen. Persönlich führte er dann das Heer, dessen Kern aus nicht mehr als 500 Rittern bestand, gegen die Muslime. In der Schlacht von Montgisard im November 1177 kämpfte er in der vordersten Reihe und erfocht einen glänzenden Sieg. Zu Weihnachten 1182 befiel den König die Malaria; dadurch verstärkte sich auch die Lepra. Erblindet, kaum noch bewegungsfähig, hinter dichten Tüchern verborgen und von Pflegern umgeben, die zum Schutz gegen den grässlichen Gestank Essigmasken trugen, regierte der lebende Leichnam noch bis zu seinem Tod im März 1185.

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