Kaufmannschaft als führendes Element
Kampf der Städte um die Selbständigkeit (11./12. Jh.)
Noch um das Jahr 1000 wurde in Europa weitgehend Naturalwirtschaft betrieben: Man tauschte Ware gegen Ware, Geld gab es nicht. Aber ausgehend vom wirtschaftlich fortgeschrittenen Oberitalien änderten sich die Verhältnisse: Das Geld hielt seinen Einzug in Mitteleuropa. Die Städte machten auch hierbei den Vorreiter. In ihnen sammelte sich der Reichtum der neuen Zeit.
Aus kleinen Orten, die sich nur zu Marktzeiten oder „Messen“ (so genannt wegen des Zusammenhanges mit Heiligenfesten) gefüllt hatten, waren Städte mit einer dauernd sesshaften Bewohnerschaft geworden. Die Städte erhielten Zuzug von Landbewohnern, die es leid waren, für ihre Grundherren zu ackern und auch noch alle möglichen Dienste für sie zu leisten.
Bürger schieben Stadtherren beiseite
In den Städten gab es zwar ursprünglich auch überall Stadtherren, die die Bewohner als ihre Hörigen betrachteten, aber die Entwicklung des Handwerks und des Handels machte die Menschen selbständiger. Die Stadtherren, meistens Bischöfe, förderten dies in der Regel auch, denn auch sie profitierten von den höheren Einkünften. Schließlich aber schoben die Bürger ihre Stadtherrn beiseite und nahmen ihre Sache selbst in die Hand. Das war im 11. und 12. Jahrhundert an vielen Orten der Fall. Die Bürger bildeten eine Verteidigungsgemeinschaft, jeder hatte die Pflicht, sich mit der Waffe in der Hand für das Gemeinwesen einzusetzen. Die Städte verwalteten sich selbst, zumeist führte ein „Rat“ die Geschäfte, der von den Berufsgruppen gestellt wurde. So jedenfalls das Ideal, häufig saßen in diesem Gremium aber nur die Angehörigen bestimmter einflussreicher und angesehener Familien, und gewählt wurde nicht, sondern der Rat suchte sich seinen Nachwuchs selbst aus. Führendes Element in der Stadt war fast überall die im Fernhandel tätige Kaufmannschaft, wie es auch schon der Stadtgrundriss klar machte: Die Siedlung gruppierte sich um den Markt. An dem Ort, wo Waren feilgeboten wurden, schlug das Herz der Stadt.
Stadtluft macht frei
Wer länger als ein Jahr in der Stadt lebte, war befreit von allen Bindungen, die er zuvor gehabt haben mochte. „Stadtluft macht frei“, hieß das Zauberwort. Es bedeutete, dass sich gesellschaftliche Veränderungen auch rechtlich auswirkten. Die Leibeigenen, die bisher in einer persönlichen Bindung an ihren Herrn gelebt hatten, streiften diese in der Stadt ab, wo innerhalb der Mauern ein anderes Recht galt: das des Bürgers, der nur seiner Stadt verpflichtet war. Mit der Garantie, „über Jahr und Tag“ Freiheit zu gewähren – vorausgesetzt, der Herr des Leibeigenen erschien nicht vor Ablauf der Frist, um seinen Mann zurückzufordern –, wurde die Stadt zum Magneten für alle, die es danach drängte, selbständig zu leben und zu wirtschaften.
Verpasste Chancen
Die deutschen Städte boten sich als Verbündete des Königtums an; zum ersten Mal war das 1073/74 deutlich geworden, als die Bürger von Worms und Köln Partei für Heinrich IV. ergriffen. Die Stauferherrscher förderten durchaus die Entwicklung des deutschen Städtewesens, doch nur bis zu einem gewissen Grade. Für eine regelrechte Allianz war die Zeit noch nicht reif. Das lag an der staufischen Italienpolitik. Friedrich I. Barbarossa oder seinem Enkel Friedrich II. traten die italienischen Städte nur als Gegner gegenüber, zu ihrer Bekämpfung setzten die Monarchen auf die Waffenhilfe der deutschen Fürsten – die nun wiederum Konkurrenten der deutschen Städte waren und deren Macht nach Kräften einzudämmen suchten. Eine hoffnungsvolle Entwicklung, mit den Städten als Trägern des Reichsgedankens, wurde auf Jahrhunderte abgeschnitten.